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Medienschaffende auch in Deutschland zunehmend bedroht

Anlässlich des 10-jährigen Jubiläums des Aktionsplans der Vereinten Nationen zur Sicherheit von Journalisten und zur Frage der Straflosigkeit diskutierten am 12. Oktober in der österreichischen Botschaft in Berlin Fachleute zur Situation in Deutschland.

Vor zehn Jahren verabschiedeten die Vereinten Nationen den Aktionsplan zur Sicherheit von Journalistinnen und Journalisten. Dennoch sind Medienschaffende immer wieder Angriffen ausgesetzt. Verbrechen gegen sie bleiben viel zu oft ungestraft.

Vor diesem Hintergrund diskutierten Fachleute auf Einladung der Österreichischen Botschaft Berlin und der Deutschen UNESCO-Kommission im Rahmen einer Podiumsdiskussion am 12. Oktober die Situation in Deutschland und gingen der Frage nach, wie die freie und ungehinderte Berichterstattung besser geschützt werden kann und welche Kompetenzen bei Justiz und Polizei dafür gestärkt werden müssen.

Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen in Deutschland, stellte fest, dass die Selbstorganisation des Journalismus in Deutschland besser sei als in anderen europäischen Ländern und damit auch die Widerstandsfähigkeit gegenüber Sicherheitsbedrohungen ausgeprägter erscheine. Dennoch seien insbesondere freie Medienschaffende gefährdet, da ihnen häufig der institutionelle Schutz größerer Sender oder Verlage fehle. Einen nationalen Aktionsplan zur Sicherheit von Journalistinnen und Journalisten, wie 2021 in Großbritannien verabschiedet, hält Christian Mihr in Deutschland nicht für notwendig.

Diese Einschätzung teilte auch Prof. Dr. Frank Überall, Vorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbandes, speziell mit Blick auf die in Deutschland vorhandene Binnenpluralität des Journalismus, die eine breite und ausgewogene Berichterstattung zur Folge habe. Allerdings gebe es in Deutschland noch zu häufig Sicherheitslücken für Medienschaffende. So seien nach seiner Erfahrung als freier Journalist Polizistinnen und Polizisten im Umgang mit Medienschaffenden oft überfordert. Häufig fehle es an Kenntnissen über die Rechte und Pflichten von Medienschaffenden und der Polizei. Der Presseausweis werde nicht immer als solcher erkannt und akzeptiert.

Das gerade in Berlin häufig angewandte Konzept der Schutzzonen für Medienschaffende bei Demonstrationen ist nach den Erfahrungen von Prof. Überall nicht immer förderlich für eine freie Berichterstattung. Gerade bei Demonstrationen und kontroversen Themen müsse eine Berichterstattung möglich bleiben. Generell wünschte er sich mehr Aufmerksamkeit für die Arbeitsbedingungen von Medienschaffenden als Grundrechtsträger. Seit 2015 habe sich das Klima gegenüber Medienschaffenden vor allem bei Demonstrationen verschärft. Oft sei die Arbeit vor Ort mittlerweile auch körperlich gefährlich.

Unabhängige und freie Berichterstattung der Presse als Fundament der Demokratie

Aus Sicht von Sebastian Fiedler, SPD-Bundestagsabgeordneter im Innenausschuss und Kriminalbeamter, mischen sich in letzter Zeit Verschwörungstheoretiker und Rechtsextreme. Dies könne die demokratische Gesellschaft durchaus gefährden. Diese Gruppen versuchten gezielt, die Presse als vierte Gewalt im Staat zu delegitimieren. Eine unabhängige und freie Berichterstattung der Presse sei aber das Fundament der Demokratie, auch um bei Wahlen informierte Entscheidungen treffen zu können.

Relativierend äußerte sich Sebastian Fiedler zur Bedeutung der BKA-Statistiken zur Gewalt auch gegen Medienschaffende. Die Statistiken würden häufig überinterpretiert. Gleichzeitig gebe es vermutlich eine sehr hohe Dunkelziffer, die in der Statistik gar nicht auftauche.

Nicole Diekmann, Hauptstadtkorrespondentin des ZDF, berichtete von ihren Erfahrungen als Journalistin für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Berlin. Sie und ihr Team würden grundsätzlich nur noch mit eigenem Sicherheitspersonal zu Demonstrationen gehen. Dies schaffe logischerweise eine physische Distanz und sei der unmittelbaren Berichterstattung nicht zuträglich. Gerade der beitragsfinanzierte öffentlich-rechtliche Rundfunk müsse bürgernah sein. Deshalb nutze sie auch ganz bewusst die sozialen Medien für die Rückkopplung mit den Menschen, auch wenn ihr dort viel enthemmter Hass entgegenschlage.

Wunsch nach mehr Bewusstsein für Bedeutung der freien Presse

Abschließend wünschte sich Prof. Überall eine breite Bewegung für den freien Journalismus in Deutschland, ähnlich den Märschen für die freie Wissenschaft seien Märsche für eine freie Presse wichtig. Ebenso eine breite Medienkompetenz für die demokratische Gesellschaft. Ähnlich äußerte sich Nicole Diekmann mit dem Wunsch nach mehr Bewusstsein für die Bedeutung der freien Presse und entsprechend auch mehr finanzielle Ressourcen. Sebastian Fiedler betonte den Wert des Journalismus für die Demokratie. Er könne sich auch gut periodische Berichte der staatlichen Stellen zur Sicherheit von Medienschaffenden in Deutschland vorstellen. Christian Mihr erinnerte an die Forderung nach einer UN-Sonderbeauftragten Person für die Sicherheit von Medienschaffenden. Dies müsse endlich umgesetzt werden. Darüber hinaus sei die Intensivierung der Fortbildung der Polizei zum Umgang mit Medienschaffenden in Deutschland notwendig.

Die Diskussion fand im Vorfeld der Wiener Konferenz zur Sicherheit von Journalistinnen und Journalisten statt, die von der Republik Österreich, der UNESCO sowie dem Büro des UN-Hochkommissars für Menschenrechte am 3. und 4. November ausgerichtet wird.

Publikation

Aktionsplan zur Sicherheit von Journalisten und zur Frage der Straflosigkeit.
Vereinte Nationen, 2012