UNESCO-Welterbe

UNESCO-Welterbestätten als Labore der Nachhaltigkeitswende

In einem Gastbeitrag im Dossier „Guten Morgen! Heimat & Nachhaltigkeit“ der Zeitschrift „Politik & Kultur“ zeigt Prof. Maria Böhmer, Präsidentin der Deutschen UNESCO-Kommission, auf, wie UNESCO-Welterbestätten zur Umsetzung der Agenda 2030 beitragen können.

Vor fünf Jahren wurde die Agenda 2030 verabschiedet: ein globaler Zukunfts­ver­trag, der 17 Ziele nachhaltiger Entwicklung umfasst, die Sustainable Develop­ment Goals (SDGs). Er verpflichtet uns dazu, die endlichen Ressourcen un­seres Planeten sowie un­ser natürliches und kulturelles Erbe zu schützen und be­wah­ren. Wichtige Elemente der Agen­da 2030 finden sich bereits 1972 in der UNESCO-Welterbekonvention: Der Schutz und Erhalt unseres Natur- und Kul­tur­erbes als zentrale UNESCO-Ziele sind nach­haltig per se. Doch die Agen­da 2030 macht deutlich, dass unser Auftrag weit über den rei­nen Erhalt un­se­res Erbes hinausgeht: Wir brauchen eine nachhaltige Gestaltung aller Pro­zes­se, die in Zusammenhang mit Welterbestätten stehen. Folgerichtig wurde die Welt­erbekon­vention 2015 um ein Richtlinienpapier ergänzt, das eine ganz­heit­li­che Trans­formation vorsieht.

Fünf Jahre sind seitdem vergangen – die Zwischen­bi­lanz zeigt, dass uns die Zeit aus­geht: Um die Agenda 2030 noch erfüllen zu können, ist die schnelle Um­setzung innovativer Lö­sun­gen unabdingbar. Die Vereinten Nationen haben da­her das Jahr­zehnt des Han­delns aus­ge­ru­fen – Anlass für die Deutsche UNESCO-Kommission, mit Beteiligten aus ganz Deutsch­land auszuloten, wie die Transformation in Welterbestätten umgesetzt wer­den kann. Wie ein roter Fa­den zog sich bei der im Herbst 2019 veranstalteten Tagung „Welterbe und Nach­haltigkeit – Gesellschaftlicher Auftrag und Potenziale“ die Erkenntnis durch die Vorträge, dass die größte Innovations­kraft, die klügsten Lö­sungs­an­sätze und die bestmöglichen Synergien ent­ste­hen, wenn ein offener Dialog mit allen Beteiligten geführt wird.

Ein Besuch in der Bamberger Altstadt, die seit 1993 Weltkulturerbe ist, zeigt, wie ein solch komplexer Entwicklungsprozess gelingen kann. Die Bamberger Ver­ant­wortlichen nahmen das Richtlinienpapier zum Anlass, ihren ur­sprüng­li­chen Managementplan für die Welterbestätte konsequent zu überarbeiten. Ein­ge­bun­den waren alle, die mit dem Welterbe zu tun haben – Fachleute ge­nau­so wie die Bürgerschaft und In­teressens­ge­mein­schaf­ten. Entstanden ist die Strategie für einen Weg der Nachhaltigkeit, den alle Beteiligten ge­meinsam gehen. So ver­netzen sich beispielsweise Stadtplanungs- und Umweltamt mit der In­teres­sens­gruppe Bamberger Gärtner zum Erhalt von Gärtnerflächen in der Alt­stadt. Bam­bergs urbane Gärtnertradition bringt uns zu dem zweiten wich­tigen Auf­trag der Welterbestätten: Vermittlung und Bildung – ein Schlüssel­instrument zur Um­setzung der Nachhaltigkeitsziele. Die Stätten ver­mit­teln Identität, Stabilität und Ge­mein­samkeit, sie zeu­gen von Errun­gen­schaf­ten der Vergangenheit und stehen für nachhaltige Ent­wick­lung. Sie sind ganz be­son­dere Lernorte, die uns Geschichte als stetigen Wan­del zeigen, so dass wir ver­stehen, dass die Gegenwart das Resultat einer Ent­wicklung ist, deren Fortsetzung wir selbst in der Hand haben. Wer Bamberg be­sucht, ent­deckt in der historischen Gärtner­tra­dition einen Schlüssel zur Zu­kunft. Seit dem 14. Jahrhundert wird dort auf öffent­li­chen Flächen Gemüse an­gebaut, ein Phä­nomen, das heute in Großstädten weltweit als „Urban Gar­de­ning“ wieder­ent­deckt wird. Kein Wunder, ist es doch ein Beispiel par ex­cel­len­ce für nach­hal­tige Entwicklung: Die regionale Sortenvielfalt wird er­hal­ten, tra­di­tionelles Gärt­nerwissen weitergegeben, die regionale Wirtschaft durch lokale Dienst­leister gestärkt und das Klima durch kurze Wege ge­schützt.

Auch bei einem Besuch in Augsburg ent­decken wir Verbindungen zwischen histo­rischer und zukünftiger Ent­wick­lung. Wer Augs­burg besichtigt, findet überall Zeugnisse der über 500 Jahre al­ten Geschichte nach­haltiger Was­ser­nutzung. Zu bestaunen ist ein komplexes Zu­sammenspiel von Ka­nä­len, Pum­pen, Türmen, Kraftwerken bis hin zu kunst­voll gestalteten Renaissance-Brun­nen, aus denen bis heute sauberes Trink­was­ser sprudelt. Seit 2019 ist das Was­ser­management-System Weltkulturerbe, als einzigartiges Beispiel dafür, wie in­dustriel­les Fach- und Praxiswissen über Jahr­hunderte weiterentwickelt wur­de. Somit ist Augsburg geradezu prä­de­sti­niert dazu, sich aktiv für das Ziel 6 der Agenda 2030 ein­zu­setzen und den Dialog mit Län­dern des globalen Sü­dens zu suchen, in denen bis heute nicht alle Men­schen Zu­gang zu sauberem Trink­wasser haben.

In einem weiteren Bereich können Welterbestätten maßgeblich zur Um­setzung der Agenda 2030 beitragen: als Motoren nachhaltiger wirt­schaft­li­cher Ent­wick­lung. Denn eine Aufnahme in die Welterbeliste fördert die wirt­schaft­liche Ent­wick­lung der Region enorm. Gleichzeitig können die Be­sucher­strö­me auch zu einer Be­dro­hung für die Welterbestätten werden, werden sie nicht nach­haltig ge­steuert. Ein ein­drucks­vol­les Beispiel dafür, wie nachhaltiger Tourismus und in­klusives Wirt­schafts­wachs­tum über Grenzen hinweg im­ple­men­tiert werden kön­nen, ist der Naturraum Wat­ten­meer. Hier hat die trinationale Ko­ope­ration zwischen Deutschland, Dänemark und den Nieder­lan­den eine sekto­ren­über­grei­fende Nachhaltigkeitsstrategie ausgehandelt, die allen Be­tei­lig­ten nützt und direkt zur Umsetzung der SDGs 8 und 11 beiträgt: Sie schützt die Welt­er­be­stätte selbst, stärkt die regionale Wirtschaft und sichert der lo­ka­len Be­völ­ke­rung eine nachhaltige Lebensgrundlage und Einkommen in zu­kunfts­fähigen Ge­werben.

Gera­de in Bezug auf die wirtschaftliche Situation stellt die durch COVID-19 ent­stan­de­ne Krisensituation viele Welterbestätten vor große Heraus­for­de­run­gen, für die es gilt, Lösungen zu finden. Während Wattwanderungen und Alt­stadt­führungen in kleineren Gruppen stattfinden können, müssen Stätten, die nicht im Freien zu besichtigten sind, Flexibilität beweisen. Ein Beispiel ist das ehe­malige Erzbergwerk Rammelsberg im Harz: Führungen unter Tage waren hier lange nicht möglich, doch dann entstand die Idee, die geschlossenen Be­su­cher­wagen umzubauen und jetzt fährt man offen – ein Paradebeispiel für die Widerstandskraft der Stätten in der Krise. Gemeinschaftlich setzten die Welt­erbestätten beim diesjährigen Welterbetag innovative Akzente: Die He­raus­forderung, digitale Formate zu finden, löste eine ungeheure Kreativität bei den Verantwortlichen aus, die durch eine enorm positive Resonanz der Öffent­lich­keit belohnt wurde. Fazit ist, dass digitale Formate auch zukünftig von An­fang an mitgedacht und gezielt eingesetzt werden können, beispielsweise wenn multi­la­teraler, weltweiter Austausch oder die Partizipation junger Men­schen im Vor­der­grund stehen.

All diese Beispiele zeigen: Welterbestätten sind Labore für nachhaltige Ent­wick­lung. Labore, in denen die Verantwortlichen gemeinsam mit allen Be­tei­lig­ten aus Kultur, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Politik im wahrsten Sinne des Wor­tes ex­perimentieren. Labore, in denen mit Mut und Offenheit, neue nach­hal­tige Lö­sungen gefunden oder alte wiederentdeckt werden. Geschieht dieser Pro­zess im offenen Dialog eines weltweiten Netzwerks, so können erfolgreiche nach­haltige Lö­sungen aus Welterbestätten verbreitet und in andere Bereiche über­tragen wer­den und so weltweit zur Umsetzung der Agenda 2030 bei­tra­gen.

Der Artikel erschien zuerst in „Guten Morgen! Heimat & Nachhaltigkeit“ der Zeitschrift „Politik & Kultur“ im Oktober 2020.