UNESCO Creative City of Media Arts im Porträt

Karlsruhe: wo Kunst und Technologie zusammentreffen

Karlsruhe ist Standort des weltweit einmaligen Zentrums für Kunst und Medien (ZKM), des renommierten Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) sowie bereits seit 1951 des Bundesverfassungsgerichts. Seit Oktober 2019 ist die zweitgrößte Stadt Baden-Württembergs außerdem UNESCO Creative City of Media Arts. Den Titel verdankt Karlsruhe nicht nur seinen vielen hochrangigen Einrichtungen, sondern auch dem weltoffenen Geist, mit dem Politik, Institutionen und die Stadtgesellschaft zusammenarbeiten.

99 Globen verbinden sich zu einem großen quadratischen Netz, kleine und große, mit blauen Ozeanen. Viele der Weltkugeln stammen aus Privathaushalten. Mal ist noch die Sowjetunion eingezeichnet, andere sind erst nach der deutschen Wiedervereinigung hergestellt worden. In jedem Globus steckt eine individuell steuerbare Lampe.

Wer nach Einbruch der Dunkelheit auf dem Karlsruher Marktplatz zu diesem Lichtkunstwerk an der Rathausfassade hochblickte, konnte erkennen, dass sich die leuchtenden Kugeln zu Buchstaben zusammenfügten. „UNESCO Creative City of Media Arts“ flackerte da zum Beispiel über die Installation des Lichtkünstlers Rainer Kehres. Dann wieder blinkten die Globen Nachrichten im Morsecode. Das Medienkunstwerk „Kaskade“ hing ab Dezember 2019 drei Monate lang am Rathaus – als leuchtendes Zeichen an die Bürgerinnen und Bürger, dass die Stadt UNESCO Creative City of Media Arts ist.

Dass alle Weltkugeln mit dem Südpol nach oben befestigt waren, fiel erst auf den zweiten Blick auf. „Das lädt zu einem Perspektivwechsel ein und lenkt den Blick stärker auf den Globalen Süden“, erklärt Susanne Asche, Leiterin des Kulturamts der Stadt. „So verstehen wir auch unsere Aufgabe als Creative City.“ Für Asche ging es bei der Bewerbung nie nur darum, die medienkünstlerische Expertise der Stadt herauszustellen. Auch der breite Auftrag der UNESCO liegt ihr am Herzen: der Einsatz für eine demokratische und offene Gesellschaft. In Karlsruhe ist ein konstruktives Miteinander längst gelebte Praxis und zugleich die Basis, auf der sich die Medienkunstszene der Stadt erst entfalten konnte.

Denn eigentlich nahm die Geschichte der Medienkunst in Karlsruhe erst mit einem Glaubenssprung Fahrt auf. So richtig verstanden, was da geplant sei, habe er nicht, soll Oberbürgermeister Gerhard Seiler Ende der 1980er-Jahre gesagt haben, als ihm die „Projektgruppe ZKM“ Pläne für ein neuartiges Zentrum präsentierte, das Kunst, Technologie und Wissenschaft zusammenführen sollte. Computer waren damals noch Luxusgüter. Die Idee, Medientechnologie und Kunst zusammenzubringen, war visionär. Trotzdem gab OB Seiler dem Projekt seinen Segen. 1989 nahm das ZKM, je zur Hälfte von Stadt und Land finanziert, seine Arbeit auf.

Heute ist es eine feste Größe in der internationalen Kunstszene. Erst im April 2019 setzte die renommierte Kunstdatenbank artfacts.net das Zentrum auf Platz vier der bedeutendsten Kunstinstitutionen der Welt, direkt nach dem Museum of Modern Arts in New York, dem Pariser Centre Pompidou und der Biennale di Venezia.

Karlsruhe wird UNESCO City of Media Arts

Medienkunst bestimmt das Stadtbild

Zum Konzept des ZKM gehört auch die Idee, Medienkunst in die Stadtgesellschaft hineinzutragen. Sichtbares Beispiel dafür sind die alljährlichen Schlosslichtspiele, ein Gemeinschaftsprojekt mit der Stadt: Medienkünstlerinnen und -künstler tauchen sechs Sommerwochen lang die Fassade des Karlsruher Schlosses in beeindruckende Lichtprojektionen.

2019 riefen ZKM und Stadt anlässlich der Bewerbung als UNESCO Creative City of Media Arts zeitgleich die „Seasons of Media Arts“ aus, bei denen sich interaktive Medienkunstprojekte im öffentlichen Raum präsentierten. In Zukunft sollen diese „Seasons of Media Arts“ ganzjährig laufen. „Wir wollen Medienkunst wie ein Netz über die Stadt ausbreiten“, sagt Christiane Riedel, geschäftsführende Vorständin des ZKM, „und weitere Ebenen und virtuelle Räume in der Stadt öffnen.“ Passantinnen und Passanten könnten dann etwa über einen QR-Code eine Augmented-Reality- Anwendung auf ihren Smartphones öffnen, in der sie etwas über die Stadtgeschichte erfahren, erklärt Riedel.

Perspektiven

Christiane Riedel, geschäftsführende Vorständin des ZKM Karlsruhe „Die Würdigung der Stadt als Creative City
und die finanzielle Förderung – das ist eine große Bestätigung für die lokale Kunstszene“

Was genau die zukünftigen „Seasons of Media Arts“ bieten  werden, hängt vom Einfallsreichtum der Künstlerinnen und Künstler ab. Die Stadt hat Fördergelder für Projekte ausgeschrieben, zwölf Bewerbungen haben den Zuschlag erhalten. Die Jury hat mit der Auswahl viel zu tun gehabt, insgesamt 60 Projekte hätten sich beworben, erzählt Riedel. „Die Würdigung der Stadt als Creative City und die finanzielle Förderung – das ist eine große Bestätigung für die lokale Kunstszene und auch eine Motivation, weil sich die Künstlerinnen und Künstler gesehen und ernst genommen fühlen.

Von computergenerierter Dichtung bis zum Coding für alle

Wie sich Medienkunst im Lauf der Jahrzehnte verändert hat, zeigt das ZKM in der Ausstellung „Writing the history of the future“. Sie stellt Kernstücke der Sammlung vor, viele davon interaktiv. So zum Beispiel die Installation „Interactive Plant Growing“ von Christa Sommerer und Laurent Mignonneau von 1993: Vor einem wandgroßen Display stehen verschiedene Pflanzen in hohen Blumentöpfen. Streicht man über die Blätter, beginnen auf dem Bildschirm digitale Pflanzen zu wachsen. Möglich machen das Sensoren unterhalb der Blumentöpfe: Diese wandeln die Berührungen in digitale Pflanzenbilder um. Andere Exponate sind deutlich älter, darunter etwa die „Stochastischen Texte“ von Theo Lutz: computergenerierte Zufallsgedichte von 1959, zusammengestellt aus Wörtern aus Franz Kafkas Roman „Das Schloss“. Im ZKM steht sogar der Computer, der sie damals hervorgebracht hat – der Zuse Z22 nimmt etwa so viel Raum ein wie ein Kleiderschrank für zwei Personen.

Klassische Medienkunst ist indes nur ein Teil der Themen, zu denen das ZKM arbeitet. Auch an der aktuellen gesellschaftlichen Debatte um die Digitalisierung nimmt die Institution teil. Sie kooperiert dafür mit Akteurinnen und Akteuren, die sich selbst nicht in der Medienkunstszene verorten. Aus einer solchen Zusammenarbeit ist etwa das Projekt „Open Codes. Leben in digitalen Welten“ entstanden, das ab 2017 zwei Jahre lang im ZKM lief – ein „ungewöhnliches bildungspolitisches Experiment“, so war es in der Ausstellungsbroschüre zu lesen.

Zu den Partnern von Open Codes gehörten der Hacking-Verein Entropia, die Open-Data-Initiative OK Lab und die offene Werkstatt FabLab. „Wir haben uns mit den Initiativen zusammengesetzt und gefragt, was sie brauchen, damit ‚Open Codes‘ für sie funktionieren kann. Sie wünschten sich Sofas, freies WLAN und längere Öffnungszeiten“, erzählt Barbara Kiolbassa von der Museumskommunikation des ZKM. „Die längeren Öffnungszeiten waren eine Herausforderung. Aber es hat geklappt. Die Initiativen haben den Raum hier intensiv genutzt und zum Beispiel Workshops angeboten.“ Die anfängliche Skepsis, ob das Experiment funktionieren würde, wich schnell großer Begeisterung. Wegen der hohen Nachfrage lief „Open Codes“ sogar anderthalb Jahre länger als geplant.

 

 

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Publikation

Jahrbuch der Deutschen UNESCO-Kommission 2019-2020.
Deutsche UNESCO-Kommission, 2020

Dreh- und Angelpunkt der Kreativwirtschaft

Auch wenn das ZKM eine zentrale Rolle für die Medienkunstszene in Karlsruhe spielt, ist dies bei Weitem nicht der einzige Grund, warum die Stadt sich nun Creative City of Media Arts nennen darf. Über die Jahre hat sich Karlsruhe zu einem wichtigen Dreh- und Angelpunkt der Kreativwirtschaft entwickelt. Die Stadt unterstützt Kreative aktiv dabei, sich eine Existenz aufzubauen.

Seit 2006 ist dafür das weitläufige Areal „Alter Schlachthof“ im Osten von Karlsruhe zentraler Treffpunkt. In mehreren Bauphasen hat die Stadt die alten Schlachteinrichtungen umgebaut. Heute mieten kleine Unternehmen und Einzelpersonen hier Büroflächen. Die Arbeitsfelder der Mieterinnen und Mieter reichen von Do-it-yourself-Projekten und Design-Dienstleistungen bis hin zu ausgefeilten KI-Anwendungen.

Auch die städtische Initiative „K³“ hat ihr Büro auf dem Areal. Ihr Name steht für „Kultur- und Kreativwirtschaft Karlsruhe“. Sie unterstützt und berät die Kreativen in zahlreichen praktischen Fragen. „Steuer, Akquise, Businessplan – das sind Bereiche, in denen sich Kreative mitunter nicht so gut auskennen“, sagt Sabrina Isaac-Fütterer von „K³“.

Besondere Unterstützung bekommen Gründerinnen und Gründer im „Perfekt Futur“, einem eigenen Komplex auf dem Areal, können sie günstig einen der 68 zu Büros umgebauten Seefrachtcontainer anmieten. Bis zu fünf Jahre lang dürfen sie hier ihre Selbstständigkeit zu Vorzugsbedingungen vorantreiben. Die Geschäftsideen im „Perfekt Futur“ sind vielfältig und oft originell – etwa Fliegen aus Kork oder eine KI-basierte Software, die automatisiert Bücher lektoriert. Die Chancen, dass sie am Markt bestehen, sind hoch – die Erfolgsquote der Gründungen im „Perfekt Futur“ liegt bei 80 Prozent.

Auch Unterstützung beim Networking gehört zu den Aufgaben von „K³“. Zweimal im Jahr organisiert die Initiative etwa ein kreatives Speeddating. Dabei können Kreative in jeweils sechsminütigen Pitches potenziellen Auftraggeberinnen und -gebern ihre Angebote und Leistungen vorstellen. Ebenfalls zweimal jährlich organisiert „K³“ außerdem die Veranstaltung „7x7“, bei der sieben Gründerinnen und Gründer je sieben Minuten lang ihre Geschäftsideen präsentieren – allerdings weniger zum Networking. „‚7x7‘ ist vor allem ein Unterhaltungsformat“, stellt Isaac-Fütterer klar. „Das Interesse ist groß. Die Veranstaltung zieht jedes Mal 300 bis 400 Menschen an.“

Mitarbeit im Netzwerk der Creative Cities

Zurück im ZKM, ist derweil Besuch aus einer anderen UNESCO Creative City of Media Arts eingetroffen. Die Professorin und Künstlerin Christa Sommerer – dieselbe, die gemeinsam mit Laurent Mignonneau die Installation „Interaktive Plants Growing“ erdacht hat – ist mit Studierenden aus Linz angereist, um das Zentrum zu besuchen. Sie arbeitet seit vielen Jahren mit dem ZKM zusammen. Auf die Frage, ob sie für die Bewerbung Karlsruhes mitgefiebert habe, lacht sie. „Natürlich habe ich die Daumen gedrückt. Ehrlich gesagt war ich aber vor allem überrascht, dass Karlsruhe nicht längst Creative City of Media Arts ist.“

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