Biosphärenreservate als Modelllandschaften für den Insektenschutz
Direktorin Biodiversitätspolitik beim WWF Deutschland stellt das Projekt im Interview vor.
Prof. Dr. Diana Pretzell
Direktorin Biodiversitätspolitik, WWF Deutschland
Frau Pretzell, Sie wollen neuartige Maßnahmen zum Insektenschutz erproben. Was will Ihr Projekt verändern?
Biosphärenreservate dienen als Modellregionen auch für die Landwirtschaft. Daher möchten wir erproben, wie sie insektenschonender gestaltet werden kann. Der Fokus liegt klar auf der Einbeziehung der Landwirtschaft, aber auch weitere Landnutzer, die für den Insektenschutz wichtig sind, werden beteiligt. Dazu zählen beispielsweise Unterhaltungsverbände, die für die Pflege der Landschaft zuständig sind. Gemeinsam sollen Maßnahmen entwickelt werden, die nicht nur den Rückgang der Insekten stoppen, sondern diese Entwicklung sogar umkehren können. Wichtig ist, dass diese Änderungen keine langfristigen finanziellen oder anderweitigen Einbußen für Landwirtinnen und Landwirte bedeuten.
Wie hat sich die Insektenzahl und die Vielfalt der Insektenarten in den letzten Jahrzenten verändert?
Die uns bekannten Daten sind alarmierend: Die Anzahl der Fluginsekten ist in den letzten 27 Jahren um 75 Prozent zurückgegangen. Diese Angabe kann allerdings nicht auf einzelne Insektenarten beschränkt werden, der rückläufige Trend muss daher als Gesamtaufgabe betrachtet werden, die wir gemeinsam schultern müssen. Als Bestäuber haben Insekten eine sehr wichtige Rolle inne – auch ein Großteil der Landwirtschaft hängt von ihnen ab. Der beobachtete Verlust und die daraus resultierenden weitreichenden Konsequenzen müssen benannt werden. Ein Ausfall der Bestäubungsleistung von Insekten würde allein für die Nahrungsmittelbranche weltweit einen jährlichen Verlust von mindestens 235 Milliarden US-Dollar bedeuten. Aber auch außerhalb der Landwirtschaft muss man sich die Dimensionen ins Bewusstsein rufen: 80 Prozent der wildwachsenden Pflanzen werden von Insekten bestäubt, 60 Prozent aller Vogelarten ernähren sich von Insekten.
Werden Sie sich in Ihrem Projekt auf bestimmte Insektenarten konzentrieren?
Natürlich wird es je nach Biosphärenreservat bestimmte Arten oder Gattungen geben, die wir genauer beobachten werden, einige wurden bereits festgelegt. Je nachdem, welche Insektenspezies in den Biosphärenreservaten vorzufinden sind, werden aber noch weitere zur Betrachtung hinzukommen. Was wir jetzt schon wissen, ist, dass die Insektengruppen der Heuschrecken und der Schwebfliegen in allen fünf Gebieten vorkommen und somit im Rahmen des Projekts untersucht werden. An dieser Stelle kann angesetzt werden, um den Einfluss beispielsweise verschiedener Mähtechniken oder Beweidungsformen auf die Insektenfauna zu messen.
Welche konkreten Ziele und Maßnahmen verfolgen Sie mit Ihrem Projekt?
Wir starten nicht bei null. Bereits heute sind Maßnahmen bekannt und schon in verschiedenen Regionen erprobt. Diese werden auch in unserem Projekt zur Anwendung kommen. Sie werden jedoch nur einen kleinen Teil der Aktivitäten darstellen, die von uns insgesamt umgesetzt werden. In den kommenden sechs Jahren werden sowohl Maßnahmen zur Anwendung in der Landwirtschaft als auch allgemein für die Arbeit vor Ort in den Biosphärenreservaten entwickelt werden. Das umfasst auch eine stärkere Einbindung der Bevölkerung und der lokalen Politik in alle Arbeitsschritte. Grundsätzlich soll Insektenschutz als Querschnittsthema verstanden werden.
Wie wurden die fünf Biosphärenreservate ausgewählt?
Die Biosphärenreservate Mittelelbe, Bayerische Rhön, Schaalsee, Schorfheide-Chorin und Schwarzwald wurden aus den insgesamt 16 deutschen Biosphärenreservaten/-gebieten nach zwei Kriterien in Zusammenarbeit mit dem Bundesumweltministerium ausgewählt. Erstens: Wie wichtig ist die landwirtschaftliche Nutzung in den Gebieten? Zweitens: Wie modellhaft sind die Gebiete für unterschiedliche Regionen Deutschlands?
Die ausgewählten Biosphärenreservate repräsentieren fünf Landschaften mit sehr unterschiedlichen Rahmenbedingungen. Dadurch weisen die Ergebnisse Modellcharakter auf und ermöglichen eine Übertragung auch auf andere Gebiete, nicht nur auf Biosphärenreservate.
Wie ist das Projekt entstanden und wie haben sich die Partner zusammengefunden?
Das Projekt entstand aus einem Termin der Bundesumweltministerin mit dem Nationalkomitee des UNESCO-Programms „Der Mensch und die Biosphäre“. Dort wurde diskutiert, wie sich Biosphärenreservate stärker zu Modellregionen für nachhaltige Landwirtschaft entwickeln lassen. So keimte eine erste Projektidee auf. Da wir als WWF Deutschland den Gedanken der Biosphärenreservate als Pilotgebiete unterstützen, wurden wir im Anschluss des Termins darum gebeten, ein Konsortium zur Durchführung dieses Vorhabens zu bilden. Als das Bundesumweltministerium dann ein Insektenprogramm mit einem Schwerpunkt auf Biosphärenreservaten ins Leben gerufen hat, haben wir die Idee gemeinsam mit unseren Partnern ausgearbeitet und uns mit diesem Projekt beworben.
Wie sind die Aufgaben unter den Partnern verteilt?
Die verschiedenen Arbeitsschwerpunkte der Partner sind klar. Die Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde wird das Monitoring der einzelnen Maßnahmen übernehmen und daneben die gegebenen und notwendigen Lebensraumstrukturen in den Modellregionen erforschen.
Das Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung wird insektenschützende Maßnahmen anpassen, verbessern und auch neue Maßnahmen aufsetzen. Außerdem ist es für die ökonomische Betrachtung der Maßnahmen und für die Umsetzbarkeit in den Betrieben zuständig.
Der Nationale Naturlandschaften e.V. kümmert sich um die Übertragbarkeit der im Projekt erlangten Ergebnisse in andere Schutzgebiete, langfristig gesehen aber auch in die Gesamtfläche Deutschlands.
Als WWF Deutschland werden wir die Koordinierung des Projekts sowie die politische und kommunikative Arbeit übernehmen. Ein Fokus liegt hier auf der Entwicklung eines Maßnahmen-Handbuchs, das die Projektergebnisse zusammenfasst und Landnutzern wie politischen Akteuren eine Entscheidungsgrundlage bietet.
Und nicht zu vergessen, auch die Verwaltungen der Biosphärenreservate spielen eine zentrale Rolle, denn dort wird aktiv geforscht und umgesetzt.
Wie möchten Sie Landwirtinnen und Landwirte in den Biosphärenreservaten gewinnen?
Die in den Biosphärenreservaten bestehenden Strukturen bilden bereits einen guten Grundstein, von dem aus angesetzt werden kann. Wir werden gemeinsam mit unseren Ansprechpartnern im jeweiligen Gebiet über das Projekt und die damit verbundenen Potenziale informieren und so hoffentlich Landnutzer als Mitwirkende gewinnen. Schließlich hat Insektenschutz nicht nur ökologisch einen positiven Effekt, er schützt auch die Ressourcen und Ökosystemdienstleistungen, auf die wir in der Landwirtschaft und in anderen Bereichen angewiesen sind. Mit dem partizipativen Ansatz des Projektes haben Landnutzer und Flächeneigentümer die Gelegenheit, sich an der Entwicklung geeigneter Maßnahmen zu beteiligen und deren Umsetzbarkeit und Wirkung selbst zu testen. Der andauernde Austausch ist nicht nur wichtig für den Einzelnen, durch unsere Politikarbeit tragen wir die Diskussionen über Nutzen und Probleme der Landnutzer auch auf eine Ebene, die einen entscheidenden Einfluss auf die Wirtschaftsweise und Förderlandschaft in Deutschland hat.
Rechnen Sie damit, dass Ihre Erkenntnisse in anderen Biosphärenreservaten, in Deutschland in der Fläche und womöglich darüber hinaus umgesetzt werden könnten?
Ein wichtiges Ziel des Projektes ist es, die Erfahrungen auch auf andere Bereiche und Gebiete zu übertragen, dazu werden unterschiedliche Methoden und Schulungsmodule entwickelt. Oft besteht schon eine sehr gute Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Akteuren. Wir möchten zusätzlich herausfinden, welche Faktoren bei der Zusammenarbeit mit Landwirtschaft und weiteren Landnutzern im Rahmen des Insektenschutzes wichtig sind und wie diese in einer größeren Dimension genutzt und unterstützt werden können. Die lange Laufzeit des Projektes ermöglicht uns eine breitgestreute Kommunikation, die die Projektergebnisse überregional bekannt macht und deren Eingang in die Praxis erleichtert. Und durch die Beteiligung der Landnutzer werben Betroffene selbst für den Insektenschutz und können dessen Auswirkungen belegen, um die Akzeptanz für solche Maßnahmen überall zu erhöhen.
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Pretzell.
Überblick
- Laufzeit: sechs Jahre
- Etwa 6,5 Mio. Euro: Förderung Bundesumweltministerium
- Etwa 1,5 Mio. Euro: von Partnern getragen
- Fünf UNESCO-Biosphärenreservate: Bayerische Rhön, Mittelelbe, Schaalsee, Schorfheide-Chorin, Schwarzwald
- Partner: WWF Deutschland, Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde, Leibniz-Zentrum für Agrarlandforschung, Nationale Naturlandschaften e.V.