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Prof. Dr. Heribert Nacken RWTH Aachen | © LFI-RWTH-Aachen

Prof. Dr. Heribert Nacken

Inhaber des UNESCO-Lehrstuhls für Hydrologischen Wandel und Wasserressourcen-Management an der RWTH Aachen

Sie forschen zum hydrologischen Wandel. Was ist damit eigentlich gemeint?

Prof. Dr. Heribert Nacken: Das kann man relativ einfach klar machen. Die Summe des Wassers, das auf der Welt zur Verfügung steht, ist endlich und eine konstante Größe. Anders als Geld, kriegen Sie Wasser weder kaputt, noch können Sie mehr daraus machen. Wenn wir davon ausgehen, dass die Weltbevölkerung, die aktuell bei rund 7,5 Milliarden Menschen liegt und in Prognosen bis auf zehn Milliarden hoch gehen kann, dann wird der Anteil des Wassers, der für jeden Einzelnen zur Verfügung steht, immer kleiner. Das alleine ist schon ein Sinnbild für den hydrologischen Wandel. Mit hydrologischem Wandel ist also gemeint, dass wir auch unabhängig von den aktuell massiv diskutierten Klimawandel-Problemen im Wassersektor bereits enorme Schwierigkeiten bekommen, die es gilt zu bewältigen.

Seit einiger Zeit nutzen Sie Avatar-basiertes Lernen für die Vermittlung und Ausbildung in Ihrem Forschungsfeld, haben sogar eine eigene Software dafür entwickelt. Was wollen und können Sie mit dieser Technologie speziell in der Wasserforschung erreichen?

Prof. Dr. Heribert Nacken: Wir probieren technische Neuerungen aus, um herauszufinden, ob dadurch die Qualität der Lehre besser wird. An der RWTH Aachen haben wir sehr früh begonnen, das Thema „Blended Learning“ aufzugreifen, um festzustellen, was man neben der klassischen Präsenzlehre computer- und mediengestützt für eine gute Lehre realisieren kann. In der Corona-Zeit mussten die Hochschulen sehr schnell auf reine online Lehre umschalten. Da saßen wir allen in Videokonferenzen mit vielen Bildkacheln vor uns, die oftmals auch noch schwarz waren. Ich möchte da jetzt nicht auf die Details eingehen, denn es gab sowohl gute als auch schlechte Konsequenzen, aber insgesamt haben wir gesagt: das geht auch besser. Mit der Technik der Virtual Reality können wir immersive 3D Lehr- und Lernsettings generieren, bei denen die Studierenden den Eindruck haben, wirklich vor Ort präsent zu sein und wie im normalen Leben mit anderen zu interagieren. Unsere Studierenden sind sehr begeistert von dieser Form der Lehre. Ein ganz einfacher Grund, wieso wir als UNESCO-Lehrstuhl die VR-Software erstellt haben, ist das Ziel bis 2030 die Nachhaltigkeitsziele der UN zu erreichen. Der Einsatz derartiger VR-Lehr- und Lernsettings verringert unsere Reisezeiten, die damit verbundenen Reisekosten und reduziert den individuellen CO2-Fußabdruck enorm.

In unser aller Alltag ist der Begriff des CO2-Fußabdrucks sehr präsent. Es gibt aber auch den weniger bekannten „Water Footprint“. Was ist damit gemeint und warum sollten wir ihn alle kennen?

Prof. Dr. Heribert Nacken: Ich persönlich bin davon überzeugt, dass wir für das Ziel der Nachhaltigkeit für jedes Produkt und jede Dienstleistung eigentlich drei Preisschilder brauchen. Was meine ich damit? Wenn Sie in einen Laden gehen, sehen Sie heute ein Preisschild, das ihnen angibt, was zum Beispiel die Avocado oder das T-Shirt kostet. Gesellschaftlich akzeptiert wäre sicher auch das zweite Schild, das den CO2-Fußabdruck ausweist. Das dritte Preisschild wäre die Ausweisung, wieviel Wasser mit dem Produkt verbunden ist. Das klassische Beispiel wäre, dass man ausweist, das rund 3.500 Liter Wasser notwendig sind, um einen Hamburger herzustellen. Der Water Footprint gibt somit Aufschluss darüber welchen Einfluss unser Konsum auf den Wasserverbrauch hat und zwar weltweit, da wir ja Produkte und Dienstleistungen aus anderen Regionen der Welt importieren und damit auch das virtuelle Wasser, das für die Produktion notwendig war. Dieser Water Footprint ist in der Gesellschaft leider noch nicht allgemein angekommen.

Welche drängenden Aufgaben gibt es im Wasserressourcenmanagement zu bewältigen?

Prof. Dr. Heribert Nacken: Wir können die Themen Wasser, Energie und Ernährung nicht länger unabhängig voneinander deklinieren, wenn wir nachhaltig werden wollen. Wir müssen das Thema Wasserressourcenmanagement also größer denken. Dafür hat sich der Begriff Water-Food-Energy-Nexus eingebürgert. Wenn wir über Ernährung reden, reden wir weltweit immer auch über die notwendige Bewässerung. Wenn wir über Wasser reden, müssen wir auch über die Energieproduktion nachdenken – zumindest in Deutschland, wo die Energieversorgung der größte Wasserverbraucher ist. Die Themen sind also immer miteinander gekoppelt. Das ist mittlerweile auch Bestand in der Wissenschafts-Community. Diese drei Bereiche zusammenzudenken, das ist glaube ich die Herausforderung für die nächsten Jahre. Denn wir haben auf der einen Seite die Hydrologinnen und Hydrologen, die sind aber keine Fachleute für Ernährung und auch nicht für Energietechnik und andersherum. Wir müssen diese inter- und transdisziplinären Gesichtspunkte sowohl in der Forschung als auch speziell in der Lehre berücksichtigen.

In der Ringvorlesung der UNESCO-Lehrstühle in Deutschland sagten sie kürzlich, dass sich die Aufgaben im Wassermanagement regional stark unterscheiden aufgrund der jeweiligen Bedarfe und Herausforderungen in der Wasserwirtschaft. Wie kann die Wasserforschung vor diesem Hintergrund von internationalen Kooperationen profitieren und was können wir daraus lernen?

Prof. Dr. Heribert Nacken: Tatsächlich ist die Wasserforschung jeweils auf die aktuellen Gegebenheiten der Regionen aber auch auf kulturelle Dinge bezogen, so dass man Erkenntnisse zum Beispiel aus der Bundesrepublik Deutschland nicht eins zu eins irgendwo anders hin übertragen kann. Daher sind auch die Techniken, die wir generiert haben, zum Beispiel in der Abwasserreinigung, aus vielen Gründen nicht einfach so übertragbar. Ich glaube, dass die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler heute sehr viel breiter aufgestellt sein müssen, als das früher der Fall war. Sie kennen den Begriff T-Shape Scientist aus der Wissenschaft. Das sind Personen, die einerseits eine sehr breit angelegte Ausbildung in unterschiedlichen Themenfeldern genossen haben und in ganz speziellen Bereichen richtig in die Tiefe gehen können. Wir müssen uns weniger nur auf unsere fachspezifischen Probleme konzentrieren, sondern den Blick sehr viel stärker weiten. Wir müssen vor allen Dingen in der Wissenschaft auch darüber nachdenken, wie wir das Wissen in die Gesellschaft transportieren können. Wenn wir zum Beispiel wieder auf den virtuellen Wasserfußabdruck schauen, macht es überhaupt keinen Sinn, wenn meine Studierenden lernen, was der virtuelle Wasserfußabdruck ist, aber sie nicht in der Lage sind, ihrer Oma oder ihrem Opa zu erklären, was das ist, beziehungsweise es auch so zu erklären, dass sie es verstehen. Da lohnt auch wieder der Rückschluss zu Virtual Reality. Wir verwenden die VR, um unseren Studierenden die Möglichkeit zu geben in Rollenspiele Situationen zu erleben, die sie ansonsten nicht im Studium kennen lernen. Zum Beispiel wie sie ein wasserwirtschaftliches Projekt in einem Bürgertermin vorstellen können und dabei durchaus auf massive Kritik stoßen können. Die Studierenden erlernen mit der VR Kommunikationskompetenzen, die als eine der Future Skills angesehen werden. Der nächste Schritt ist es, diese Technologie auch im internationalen Kontext zu verwenden, um Studierende und Lehrende, unabhängig von ihrem tatsächlichen Aufenthaltsort, miteinander zu verbinden.

Die Fragen stellte Sharon Hodge.

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