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Künstliche Intelligenz in Kunst und Kultur – Potenziale und Risiken | Auftakt zur Werkstatt-Gesprächsreihe 2023/24

Neue, kreative Leistungen mit Hilfe Künstlicher Intelligenz (KI). „Content-Schwemme“. Gefährdung von Arbeitsplätzen. Urheberrechts-Verletzungen. Die Potenziale und Risiken von generativer Künstlicher Intelligenz (KI) für Kunst, Kultur und die Kreativwirtschaft werden derzeit leidenschaftlich diskutiert; denn KI beeinflusst Kunst und Kultur von der kreativen Schöpfung über die Post-Production und Kuratierung bis zur Archivierung.

Auf Einladung der Deutschen UNESCO-Kommission diskutierten 80 Expertinnen und Experten aus Politik, Wissenschaft und Kultur in einem virtuellen Werkstattgespräch über solche Risiken, aber gerade auch über Chancen der Ermöglichung neuer, kreativer Leistungen. Die Veranstaltung am 4. Oktober 2023 war der Auftakt zu einer Reihe digitaler Werkstattgespräche der Deutschen UNESCO-Kommission. Dr. Helga Trüpel, die Vorsitzende des Fachausschusses Kultur der Kommission, führte durch die Veranstaltung

Prof. Dr. Benjamin Jörissen, Inhaber des UNESCO-Lehrstuhls für digitale Kultur und Kunst in der Bildung an der Universität Nürnberg-Erlangen, skizzierte die Entwicklung des gesellschaftlichen Umgangs mit technischen Innovationen in der Kunst (und gerade KI) von der vordigitalen Zeit bis heute. Er betonte, dass KI die rasch zunehmende Datafizierung (Kategorisierung, Quantifizierung und Digitalisierung) unserer Lebenswelt, einschließlich (Alltags-)Kultur, Persönlichkeit und Individualisierung der Gesellschaft weiter enorm beschleunigt. Jeannine Hausmann vom Sekretariat der Deutschen UNESCO-Kommission erläuterte Aussagen der UNESCO-Empfehlung zur Ethik der Künstlichen Intelligenz zu Kunst und Kultur. Deren Anregungen betonen vor allem Chancen von KI im Kultursektor, beispielsweise für den Schutz kultureller Vielfalt oder kultureller Teilhabe. Octavio Kulesz, Direktor des argentinischen e-Publishing Wissenschaftsverlags Teseo, erläuterte globale Entwicklungen in Bezug auf KI und Kultur. Er betonte, dass Kunst und Kultur von KI-Strategien zu selten berücksichtigt werden. Auch er sah trotz aller Herausforderungen vor allem Chancen und Nutzen von KI in Kunst, Kultur und Kreativwirtschaft.

KI-Regulierung unumgänglich

In der anschließenden Diskussion wurden viele Fragen zur Regulierung von KI gestellt. Wie können die EU und die deutsche Regierung die Entwicklung und Anwendung von KI-Systemen regulieren, ohne Kreativität und Innovation zu behindern? Ist das heutige Urheberrecht den Herausforderungen der KI gewachsen – oder wird es obsolet und muss völlig neu gedacht werden? Reichen Selbstverpflichtungen der Tech-Konzerne zu Transparenz und Urheberschutz aus oder führen sie zu gestärkten Monopolen?

Trotz unterschiedlicher Perspektiven herrschte Einigkeit, dass Regulierung für eine ethische Entwicklung und Nutzung von KI unumgänglich und libertäres Laissez-faire keine Option ist. Trotz aller Chancen kann KI gesellschaftliche Konfliktlinien auf allen Ebenen verschärfen, den demokratischen Diskursraum schwer beschädigen, strukturelle Diskriminierung und Rassismus reproduzieren, kleine Unternehmen sowie gemeinnützige Einrichtungen noch stärker benachteiligen und neue Formen der Ausbeutung schaffen. KI sollte je nach Anwendungsfeld differenziert reguliert werden.

Gerade bis zum Inkrafttreten der EU-KI-Verordnung sollten auch UNESCO-Instrumente wie die Konvention über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen und die Empfehlung zur Ethik der Künstlichen Intelligenz genutzt werden. Einig waren sich die Diskussionsteilnehmenden insbesondere in einem Punkt – die Zeit drängt. Regeln zur Entwicklung und Nutzung von KI für Kunst und Kultur dürften nicht erst in drei bis vier Jahren greifen. "Im KI-Zeitalter entspricht ein Monat einem Jahrhundert", appellierte Octavio Kulesz. KI sei vergleichbar mit dem Kolonialismus in ihrer gleichmacherischen Indifferenz gegenüber Kultur – genau jetzt müssten Entscheidungen getroffen werden, die die nächsten Jahrhunderte prägen, so Benjamin Jörissen.

Nutzung der Potentiale

Die Meinungen gingen deutlich auseinander zur Frage, ob KI mehr Bedrohung oder mehr Chance für Kunst- und Kulturschaffende in Deutschland ist. Kann ein „Opt-out“ aus Trainingssätzen kontrolliert werden? Wie kann menschengemachte Kunst von KI-generierten Inhalten unterschieden werden? Ersetzt KI menschliche Kreativität? Kann für KI Co-Urheberschaft beansprucht werden? Ist KI selbst kreativ? Die letzte Frage wurde einhellig mit Nein beantwortet: KI kann Kreativität nur vortäuschen.

Dennoch wurden auch viele Chancen genannt: KI kann helfen, Kunst und Kultur zugänglicher zu machen, kulturelle Angebote besser an die Bedarfe der Gesellschaft anzupassen und kreative Prozesse von Kunstschaffenden zu unterstützen. Die kreative Produktivität ist jetzt schon enorm beschleunigt. KI kann zum Instrument und Dialogpartner von Künstlerinnen und Künstlern werden. Neue Formen der Nutzung von KI zu gestalten und zu entdecken, kann selbst zur künstlerischen Leistung werden. Kulturelle Einrichtungen und Kommunen können Räume und Möglichkeiten eröffnen. Klar ist: Um die Potenziale von KI zu nutzen, brauchen Kunst- und Kulturschaffende eine offene Haltung.

Als Kernproblem auch bei chancenorientierter Haltung zu KI wurde diskutiert, dass sich Kunst und Kultur durch die Verwendung von KI-Systemen von Tech-Konzernen abhängig machen. Dazu gehört, dass sie ihnen wichtige Daten mit unklaren Eigentumsverhältnissen verfügbar machen, weil gemeinnützige bzw. Open Source generative KI-Systeme bisher kaum existieren.

Selbstermächtigung durch KI-Verständnis

Wichtig ist vor allem die angemessene Nutzung von KI. Zu ihr gehört ein kritisches Bewusstsein, auch für die Risiken ihres Einsatzes. Ein Beispiel ist, dass nur eine reflektierte Verwendung die Reproduktion von Vorurteilen durch KI-Systeme minimiert oder eliminiert. Ebenso sollten KI-generierte Inhalte gekennzeichnet werden. So ist bereits sprachlich wichtig, nicht von "künstlerischen" oder "kreativen" "Werken" der KI oder von "KI-Fotos" zu sprechen.

Künstlerinnen und Künstler sowie Kultureinrichtungen brauchen Wissen und Expertise, wie sie sich KI in ihrer Arbeit zunutze machen können. Neben Gesetzen braucht es vor allem schnell und zahlreich Aus- und Weiterbildungsangebote.

Publikation

Deutsche Übersetzung der UNESCO-Empfehlung zur Ethik der Künstlichen Intelligenz.
Deutsche UNESCO-Kommission e. V., 2023

Publikation

UNESCO-Übereinkommen über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen (2005) | dt./eng..
Deutsche UNESCO-Konvention, 2023

Hintergrund

Die UNESCO hat Ende 2021 mit ihrer „Empfehlung zur Ethik der Künstlichen Intelligenz“ den ersten weltweit gültigen Völkerrechtstext zu dem Thema verabschiedet. Darin sind konkrete Handlungsaufträge enthalten, um sicherzustellen, dass KI der Gesellschaft und dem Planeten im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung dient. Kunst und Kultur ist eines von elf Feldern, das die UNESCO-Empfehlung ausdrücklich behandelt.

Die Deutsche UNESCO-Kommission arbeitet seit 2021 daran, dass die Empfehlung als regulatorische Richtschnur verstanden und genutzt wird. Sie führt 2023/2024 eine Reihe von Werkstattgesprächen zur Rolle von KI in Kunst, Kultur und Kreativwirtschaft durch. Dabei sollen Kulturschaffende aus Deutschland, aber auch aus vielen anderen Regionen der Welt zu Wort kommen, die Chancen und Herausforderungen der Künstlichen Intelligenz reflektieren und Handlungsansätze für wichtige Schwerpunktbereiche erarbeiten.