Welterbe in Deutschland

Die bedeutenden Kurstädte Europas sind Welterbe

Elf europäische Städte, in denen geschlossene architektonische Ensembles bis heute von der Bäderkultur zeugen, gehören seit kurzem als transnationales Projekt „Die bedeutenden Kurstädte Europas“ zum UNESCO-Welterbe. Drei davon liegen in Deutschland: Baden-Baden, Bad Kissingen und Bad Ems.

Die Tradition der Kur hat sich in Europa auf besondere Art herausgebildet. Rund um die Heilquellen entstand ein eigener städtebaulicher Typ: die Kurstadt. Alles hier ist üppig, nobel, herausragend. Stuck, Marmor, Samt, wohin das Auge blickt. Gebäude mit schlossartigen Ausmaßen, hohe Kolonnaden, historisierende Rundbögen und Säulenkapitelle, üppige Gärten mit alten Bäumen und weißen Bänken, Kunstwerke im freien Raum, Springbrunnen, Anlagen für Sport, Spiel und Unterhaltung – in den Kurvierteln von Baden-Baden, Bad Kissingen und Bad Ems ist alles opulent. Das kleine Wort mit großem Inhalt drängte sich ebenso in den Sinn, durchwanderte man Bath in England, Vichy in Frankreich, Spa in Belgien, Montecatini in Italien, Baden bei Wien in Österreich, Karlsbad, Franzensbad und Marienbad in Tschechien. „Wer heute an eine Kurstadt denkt, denkt an diese Städte“, sagt Volkmar Eidloth, Spezialist für das europäische Bädererbe und pensionierter Hauptkonservator im Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg. Als transnationales, serielles Projekt, als beispielhaft für einen Stadttypus, gehören diese elf „Bedeutenden Kurstädte Europas“ deshalb zu den jüngsten Mitgliedern der großen Familie der UNESCO-Welterbestätten.

Alles beginnt wie so oft mit dem Wasser. Mineralische Quellen, heiß oder kalt, sprudeln aus der Erde hervor. Die Römer bauen öffentliche Thermalbäder darüber, etwa in Baden-Baden. Soldaten sollen darin die geschundenen Knochen kurieren, an einem Tag der Woche darf auch die Familie mit ins Bad. Im europäischen Mittelalter lädt der Landesherr schon mal zum Festmahl in die Badestube. Auch getrunken wird das Wasser. Je nach Lage im Gestein und damit seinen Inhaltsstoffen soll es gegen Magen-Darm-Probleme, Atemwegserkrankungen und Knochenschmerzen helfen.

Brunnenhalle, Bad Kissingen

Wasser sprudelt aus blankgeputzten Bronzehähnen. Lange, nicht weniger glänzende Rohre transportieren es aus den direkt unter der Halle liegenden Quellen mit den klangvollen Namen Rakoczy und Pandur. Wie schon im 19. Jahrhundert schenken die Brunnenfrauen morgens und am Nachmittag das heilende Nass aus, je nach Beschwerden mit natürlicher Kohlensäure oder still, leicht angewärmt oder kalt. Früher wurde nach dem Trunk gewandelt. Dafür hat der Architekt Max Littmann die Trink- und Wandelhalle direkt an die Brunnenhalle gebaut, ebenso wie den Regentenbau mit mehreren Sälen für Konzerte und Veranstaltungen, während Spielbank und Luitpoldbad auf der gegenüberliegenden Seite der Fränkischen Saale zur Erweiterung des Kurbereiches entstanden. Die Erhabenheit der Architektur verlangsamt auch heute noch den Schritt in der Wandelhalle, ähnlich wie beim Betreten einer Kirche. Littmanns Bau wartet mit Superlativen auf: erstes Gebäude seiner Art in Stahlbeton, erste geschlossene Trinkhalle, die größte ihrer Art weltweit sowieso. Technische Finesse ist die Bühne, auf der ein Salonorchester täglich Kurkonzerte gibt: Das drehbare Kunstwerk kann sowohl im Inneren als auch außen für Freiluftkonzerte im Kurpark genutzt werden. Das Wandeln ist zwar ein bisschen aus der Mode gekommen. Doch die Bewegung, der Spaziergang im angrenzenden Kurpark, die Wanderung raus zum Gradierwerk, wo das salzhaltige Wasser über hohe Wände aus Reisig fließt und Freiluftinhalationen dient – das alles gehört noch immer zum Kuren dazu.

Mit dem Beginn der Neuzeit, mit Aufklärung und Naturwissenschaften, wird das überlieferte Wissen um die Heilkraft des Wassers sowohl beim Baden als auch beim Trinken systematisch untersucht und angewandt. Die Balneologie als eigene Wissenssparte wird geboren. Die Städte mit ihren Quellen werden zu Orten der Heilung und Erholung. Kaiser, Zaren und Adlige, aber auch das aufstrebende Bürgertum verbringen vom ausgehenden 18. bis zum beginnenden 20. Jahrhundert ganze Sommer in ihren Lieblingsbädern. Man lustwandelt im Kurgarten und erwandert die Umgebung, besteigt Aussichtstürme und rastet in historisierenden Tempelchen. Man lauscht Konzerten und Lesungen, vergnügt sich im Casino oder auf der Pferderennbahn, spielt Tennis und Golf, Sportarten, die gerade erst aus England aufs Festland geschwappt sind.

Die Konkurrenz untereinander ist groß: Seit dem 18. Jahrhundert gehört es zum guten Ton, dass jede noch so kleine Herrschaft ein Kurbad hat. So entstehen entlang der Alpen und Pyrenäen und im Mittelgebirgsgürtel quer durch Europa von England bis Rumänien rund 1500 größere und kleinere Kurorte. Das wiederum begünstigt deren städtebauliche Entwicklung. Rund um die Heilquellen werden exklusive Kurgebiete angelegt. Damit werden Touristen angelockt, die bald die Einwohnerinnen und Einwohner an Zahl übertreffen. Jedes Kurbad soll vergleichbare Annehmlichkeiten bieten und zugleich ein bisschen mondäner, glitzernder, heilender, bedeutsamer sein als die anderen. „In den Kurstädten wurden immer schon technische und architektonische Innovationen ausprobiert“, sagt Anna Maria Boll, die sich als Site Managerin in Bad Kissingen um das dortige UNESCO-Welterbe kümmert.

Concordia-Turm, Bad Ems

Kurhaus, Kolonnaden, Kursaal, Kasino, Kurpark – wie hingegossen reihen sich die Insignien der Kurstadt am Ufer der Lahn. Die aktuell 15 Thermalquellen liegen eng beieinander an eben diesem Fluss. Allein fünf von ihnen sprudeln in und unter der Brunnenhalle, die heute Teil des Grand-Hotels ist. Das Wasser ist vor allem heilsam für Atemwegserkrankungen, die bekannten Emser Salz-Pastillen werden daraus hergestellt. „Das Besondere an Bad Ems ist, dass wir seit dem Mittelalter eine ungebrochene Badetradition an dieser Stelle haben“, erzählt Hans-Jürgen Sarholz. Der Bad Emser leitet seit mehr als 30 Jahren das städtische Museum und ist in Personalunion Site Manager der Stadt. Dort, wo heute das Grand-Hotel steht, erzählt er, erhoben sich erst mittelalterliche Badetürme, dann die Paläste der Landgrafen von Hessen-Darmstadt und Fürsten von Oranien-Nassau. Seite an Seite badeten die Hoheiten in dieser Stadt, die sie gemeinsam regierten. Seit dieser Zeit ist Bad Ems einer der berühmtesten Badeorte Deutschlands. Im 19. Jahrhundert wächst es gar zum „Weltbad“, ebenso wie Bad Kissingen und Baden-Baden. Das internationale Publikum – bis heute ein wesentliches Merkmal der „Bedeutenden Kurstädte Europas“ – wird angeführt vom russischen Zaren Alexander II. und Preußens König Wilhelm I. Hier zeigt sich der spätere deutsche Kaiser bürgerlich ohne Uniform und ist seinem Volk so nahe wie nur selten. Reichkanzler Otto von Bismarck kurt hingegen lieber in Bad Kissingen, wo er am Stadtrand eine mondäne Wohnung bezieht, das Kissinger Diktat verfasst und über eine Sozialversicherung für die Deutschen nachdenkt. „Die gesellschaftliche Lücke zwischen Adel und Bürgertum wurde in den Kurstädten geschlossen“, sagt Volkmar Eidloth.

Politiker und Monarchen halten sich jedoch nicht allein zu Erholungszwecken in den Kurorten auf. Sie machen auch Politik. Die sogenannte diplomatie thermale war geboren. Hochzeiten werden arrangiert und politische Bündnisse geschmiedet, aber auch Kriege ausgelöst. Die weltberühmte Emser Depesche, die zum Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges 1870 führt, nimmt ihren Ursprung im Kurpark von Bad Ems. Und wenn ein Hamburger Kaufmann wie der Kaffee- und Tabakhändler Ernst von Merck in Baden-Baden seine Sommer in eigener Villa verbringt, dann wohl vor allem, um internationale Geschäfte anzubahnen.

Im Gefolge der Reichen, Schönen und Mächtigen in den Modebädern: Schriftsteller wie Fjodor Dostojewski und Iwan Turgenjew, der seiner Geliebten, der Opernsängerin Pauline Viardot-Garcia nachreist, die Pianistin Clara Schumann, Komponisten wie Jacques Offenbach, Franz Liszt und Johannes Brahms. Sie leben oft jahrelang in den Kurstädten, bauen eigene Villen und lassen sich zu Meisterwerken inspirieren. Architekten von Rang werden verpflichtet, Trinkhallen, Kurhäuser, Kolonnaden, Grand Hotels, aber auch private Villen und Sakralbauten für die verschiedenen Glaubensgemeinschaften zu entwerfen. Es entstehen orthodoxe russische und rumänische Kirchen und Kapellen ebenso wie evangelische, anglikanische oder katholische Gotteshäuser in sonst katholischen oder reformierten Gebieten. In den europäischen Kurbädern des 18. und 19. Jahrhunderts werden die Gedanken der Aufklärung in Werke und Werte übersetzt. „Die Kurbäder waren das Experimentierfeld des modernen Europa“, sagt Volkmar Eidloth, der Historische Geograph.

Volkmar Eidloth, Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg, im Interview

Bedeutende Kurstädte Europas - UNESCO-Welterbe seit 2021
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Lichtenthaler Allee, Baden-Baden

Gemütlich fließt die Oos durch ihr steiniges Bett. Kleine Treppenstufen lassen das Wasser plätschern, ein wenig nur, nicht zu laut. Links und rechts des schon im frühen 19. Jahrhundert verlegten und im Zeitgeist gestalteten Flussbettes zieht sich bis zum mittelalterlichen Kloster Lichtenthal ein Landschaftspark mit Springbrunnen und schmiedeeisernen Brücken, mit alten Bäumen und frischen Blumenrabatten. Dort stehen die Luxushotels, von denen Baden-Baden einige mehr hat als die anderen Städte, und einige der imposantesten Villen, die sich in ausgedehnten Vierteln an den grünen Hängen der Stadt fortsetzen. An der Oos, wohin das Kurviertel um 1800 verlagert wird, finden sich auch die Staatliche Kunsthalle und das Kunstmuseum Frieder Burda. „Diese private Sammlung zeitgenössischer Kunst schließt direkt an das Mäzenatentum an, das es in Baden-Baden seit dem 19. Jahrhundert gibt“, sagt Lisa Poetschki, Site Managerin der Welterbestätte bei der Stadt. Damals zeigt sich der Franzose Jacques Bénazet besonders spendabel: Ende der 1830er Jahre pachtet er die Spielbank der Stadt – und lässt die Säle nach dem Vorbild französischer Paläste gestalten. Noch heute spielt man französisches Roulette beispielsweise in einem der Säle, der dem Boudoir der Madame Pompadour nachempfunden ist. Im Casino treten die Stars der damaligen Zeit auf. Bis heute hat der dortige Florentiner-Saal die beste Akustik in Süddeutschland, weshalb dort etwa die Berliner Philharmoniker zu sommerlichen Matineen aufspielen. „Jacques und später sein Sohn Édouard machten aus Baden-Baden die Sommerhauptstadt Europas“, sagt Lisa Poetschki. Das Theater, die Galopprennbahn, die neue Trinkhalle, der Ausbau der Lichtenthaler Allee – alles finanziert aus der Schatulle der Bénazets, die die Stadt vor allem in Frankreich bewerben und berühmt machen. Wer in der Mitte des 19. Jahrhunderts in Paris etwas auf sich hält, verbringt den Sommer in Baden-Baden, wo es garantiert die neuesten sportlichen Trends und die schicksten Boutiquen gibt.

Palais Biron, Baden-Baden

In Baden-Baden ist es die Bürgerschaft, die ihre Kurstadt für so einzigartig und weltweit bedeutsam hält, dass sie eine Eintragung auf der UNESCO-Welterbeliste anstrebt. Schnell zeigt sich, dass Baden-Baden nicht allein ist in diesem Bestreben. Auch in der tschechischen Partnerstadt Karlsbad (Karlovy Vary) arbeitet man an einem Antrag. Eine internationale Konferenz in Baden-Baden macht 2010 deutlich: Neben diesen beiden gibt es weitere Städte, die stellvertretend für den Typus Kurstadt stehen, Paradebeispiele, nach deren Vorbild andere Städte angelegt wurden. Das Wesentliche jedoch: Die Gebäude, die Badeanlagen, die Unterhaltungsstätten sind erhalten, die Ensembles erkennbar. Und: Sie werden bis heute für Kurzwecke genutzt. Im Baden-Badener Friedrichsbad etwa, einem Prachtbau im Stil der Neo-Renaissance, wird noch immer ein römisch-irischer Badegang angeboten. Im Palais Biron schließlich, dort, wo der Hamburger Kaufmann Merck einst seine Geschäfte anbahnte, reift die Idee, einen transnationalen Antrag zu formulieren. Die Federführung übernimmt Tschechien mit seinem böhmischen Bäderdreieck. Zehn Jahre später bestätigt die UNESCO: Die europäischen Kurstädte mit ihrem einzigartigen Erbe – sie gehören zum Welterbe der Menschheit.

Interviews mit Anna Maria Boll, Site Managerin Bad Kissigen; Hans-Jürgen Sarholz, ehemaliger Leiter des Städtischen Museums Bad Ems; Lisa Poetschki, Site Managerin Baden-Baden

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