Auf ein Wort,

Welterbe bedeutet Verantwortung übernehmen!

Clara Rellensmann

Clara Rellensmann
Akademische Mitarbeiterin am Fachgebiet Denkmalpflege der BTU Cottbus-Senftenberg

Glaubwürdigkeit, interkulturelle Sensibilität, Nachwuchsförderung – Aktuelle Herausforderungen für Denkmal- und Welterbeschutz im 21. Jahrhundert

Das Europäische Kulturerbejahr 2018 bietet Anlass und Rahmen, den Umgang mit unserem gemeinsamen kulturellen Erbe auf Zukunftsfähigkeit zu prüfen: Wie können Denkmalpflege und -schutz attraktiv kommuniziert werden? Und wie gestaltet sich die Teilhabe von Nachwuchskräften? Wie sehen denkmalpflegerische Ansätze im internationalen Kontext aus, die auf kulturelle Diversität eingehen? Diese und weitere Fragen stellen sich im besonderen Maße für ICOMOS – der internationale Rat für Denkmalpflege – als die Beraterorganisation des UNESCO-Welterbekomitees für Kulturerbestätten. Wie die Organisation mit diesen Herausforderungen umgeht und was sie sich persönlich für die Denkmalpflege wünscht, erläutert Clara Rellensmann, Mitglied des Boards von ICOMOS International und Akademische Mitarbeiterin am Fachgebiet Denkmalpflege der BTU Cottbus-Senftenberg.

Frau Rellensmann, vor einigen Jahren waren Sie für die UNESCO in Südostasien und insbesondere in Myanmar tätig. Was waren Ihre Tätigkeiten dort?

Ich habe damals unter anderem an dem ersten großen Kulturprojekt nach Öffnung des Landes in 2011 mitgearbeitet: der Welterbe-Nominierung „Historische Städte der Pyu“. Wie bei den meisten UNESCO-Projekten in der Region hatte auch dieses Projekt eine starke Capacity-Building-Komponente. Ziel solcher Projekte ist es, nationale und lokale Denkmal- und Naturschutzbehörden sowie lokale Gemeinschaften zu stärken und bei der Vorbereitung von Welterbe-Nominierungen zu unterstützen. Ohne solche internationalen Kooperationsprojekte sind Nominierungen für Länder wie Myanmar oft kaum zu stemmen.

Die Nominierung der „Historischen Städte der Pyu“ war erfolgreich?

Die Stätte wurde 2014 auf die Welterbeliste eingetragen. Der Aufwand hat sich in jedem Fall gelohnt: Die erste Welterbestätte im Land hat das Bewusstsein für den Denkmalschutz in der Bevölkerung enorm gestärkt. Inzwischen setzen sich viele zivilgesellschaftliche Initiativen über Welterbestätten hinaus für kulturelles Erbe ein. Bei vielen Orten, die für Welterbe-Nominierungen vorgesehen sind, handelte es sich um lebendige, religiöse Stätten, die stark mit immateriellem Erbe verbunden sind. Dort begangene traditionelle Feste und das klösterliche Leben spielen für die Bevölkerung eine große Rolle. Das ist sehr typisch für Myanmar.

Warum haben Sie sich damals entschlossen, im Bereich Welterbe und Denkmalpflege aktiv zu werden?

Bereits während des Studiums habe ich die Idee entwickelt, mein Interesse an Kunst- und Architekturgeschichte mit dem an internationaler Zusammenarbeit zu verbinden. Das interdisziplinäre und auch praxisnahe Feld der Denkmalpflege – wie ich es im Masterstudium „World Heritage Studies“ an der BTU Cottbus kennengelernt habe – war dafür ideal.

Was bedeutet Welterbe für Sie persönlich?

Mir gefällt der Grundgedanke des Welterbes: der gemeinschaftliche Schutz und die internationale fachliche Zusammenarbeit für den Schutz von Kultur- und Naturerbe weltweit. Für mich bedeutet Welterbe, Verantwortung zu übernehmen, auch über Grenzen hinweg. Ich finde es schade, dass dieser Grundgedanke momentan eher in den Hintergrund zu rücken scheint. So sind die Mittel des Welterbefonds, der bedrohte Stätten weltweit unterstützen soll, in meinen Augen erschreckend klein angesichts von inzwischen über 1.000 Welterbestätten weltweit. Ich würde mir wünschen, dass auch Deutschland hier über bestehende Förderung, wie beispielsweise das Kulturerhaltprogramm des Auswärtigen Amtes, hinaus noch mehr Verantwortung übernimmt.

Welche Erfahrungen oder Erkenntnisse haben Sie in Ihrer heutigen Tätigkeit besonders geprägt?

Besonders eingeprägt hat sich mir die Diskrepanz zwischen international geforderten Standards und den geringen technischen Möglichkeiten vieler Länder. Ich konnte das während der Begleitung des Nominierungsprozesses in Myanmar hautnah miterleben. Die Situation hat einen manchmal wirklich verzweifeln lassen. Aus diesem Grund ist der Welterbefonds so wichtig.

Meine Arbeit in Südostasien hat mir verdeutlicht, dass kulturell bedingte unterschiedliche denkmalpflegerische Ansätze anerkannt werden müssen. Das ist auch ein Thema, das ich den Studierenden an der BTU Cottbus vermittele: unterschiedliche Perspektiven kennen und verstehen lernen.

Im Dezember 2017 sind Sie zum Mitglied des Boards von ICOMOS International gewählt worden. Als eine der Beraterorganisationen des Welterbekomitees prüft ICOMOS Welterbenominierungen und ist zentral für das weltweite Monitoring von Welterbestätten. Was sind aus Ihrer Sicht die aktuellen Herausforderungen der Organisation im Welterbe-Kontext?

Eine der großen Herausforderung für ICOMOS International ist es, trotz der zunehmenden Politisierung des Welterbe-Systems glaubwürdig zu bleiben. Oft weicht inzwischen die Entscheidungsfindung des Welterbekomitees von den Empfehlungen der Beraterorganisationen ab. Deshalb braucht es die Zusammenarbeit mit dem Welterbekomitee, damit die Glaubwürdigkeit des ganzen Systems erhalten bleibt und Welterbe nicht zu einem Selbstbedienungsladen der Antragsteller wird. ICOMOS International kann sicherlich auch durch transparentere Arbeit einen Teil dazu beitragen.

Es gilt zudem, als internationale Organisation kulturspezifische Sensibilität zu beweisen, die Kommunikation mit lokalen Akteuren entsprechend zu verbessern und Dialogbereitschaft zu beweisen, um die lokalen Gegebenheiten für den Schutz von Welterbestätten vor Ort besser zu verstehen und in die fachlichen Empfehlungen aufnehmen zu können.

Sie verstehen sich selbst als „emerging professional“. Warum braucht es Ihrer Meinung nach eine besondere Förderung für aufstrebende Expertinnen und Experten im Bereich des Welterbes und Denkmalerhalts?

Unter „emerging professionals“ beziehungsweise aufstrebenden Experten verstehen wir junge Experten, aber auch Experten in der Mitte ihrer Karriere und Quereinsteiger. ICOMOS International benötigt Nachwuchskräfte, ebenso wie einen Imagewechsel weg von dem Eindruck der Denkmalpflege als eher verstaubtes, autoritäres und von Männern dominiertes Berufsfeld. Hierarchien, die sich in Begrifflichkeiten wie Deutungshoheit und Expertenwissen zeigen, erschweren (derzeit noch) die zeitgemäße Kommunikation und Beteiligung und müssen abgebaut werden.

Kommunikationsstrukturen müssen geändert werden, damit auch nachkommende Experten gehört und Beteiligungsmöglichkeiten geschaffen werden können. Außerdem braucht es finanzielle Unterstützung für „emerging professionals“, um den finanziellen Herausforderungen, die mit ehrenamtlicher Arbeit auf internationaler Ebene einhergehen, zu begegnen.

Auch für Ihre Rolle als ICOMOS Board-Mitglied sind Sie mit der Zielsetzung angetreten, aufstrebende Expertinnen und Experten zu fördern und sich für intergenerationellen Austausch einsetzen zu wollen. Wie wollen Sie das in die Tat umsetzen?

Die Weichen dafür müssen auf internationaler Ebene gestellt werden, wichtig ist aber auch die Umsetzung durch die nationalen Komitees. Das Board hat für den diesjährigen internationalen Denkmaltag am 18. April die Zielsetzung der aktiven Mitwirkung aufstrebender Experten ausgegeben, um auf nationaler Eben ein Bewusstsein für das Thema zu schaffen.

Seit der Generalversammlung von ICOMOS International 2017 sieht ein Beschluss zur Förderung der Integration von aufstrebenden Experten innerhalb der Organisation unter anderem vor, dass nationale ICOMOS-Komitees und internationale wissenschaftliche Komitees die aktive Mitwirkung aufstrebender Experten nachweisen müssen. Neben finanzieller Förderung und Mentoring-Partnerschaften bietet aus meiner Sicht auch die Zusammenarbeit von ICOMOS mit Universitäten großes Potential. Für die internationale Ebene gibt es die Idee, ein weltweites Netzwerk mit Universitäten und Forschungseinrichtungen in der Denkmalpflege aufzubauen.

Der von ICOMOS Deutschland eingeführte Studierendenwettbewerb ist ein sehr gutes Beispiel, wie man das Interesse von Studierenden wecken kann. Zudem gibt es eine neue Adhoc-Arbeitsgruppe von ICOMOS Deutschland: die „AG 2020“ hat es sich zum Ziel gesetzt, neue Wege der Vermittlung und Kommunikation und Formate für mehr Austausch und Beteiligung zu finden sowie neue Mitglieder für die Zukunftsgestaltung von ICOMOS zu gewinnen.

Im Rahmen des Europäischen Kulturerbejahres beschäftigen sich viele Akteure innerhalb Europas mit dem gemeinsamen Erbe. Welches Ergebnis wünschen Sie sich von diesem Jahr?

Für mich ist das Europäische Kulturerbejahr ein Aufruf zum Mitmachen. Deshalb wünsche ich mir mehr Offenheit für die Beteiligung nicht nur der institutionalisierten, etablierten Akteure. Eine selbstkritische Reflektion der institutionellen Akteure wäre wünschenswert: Werden im Sinne eines gemeinsamen, geteilten Erbes verschiedene Diskurse und Perspektiven wirklich zugelassen, statt nur das vermeintlich gemeinsame Einheitliche zu betonen?

Ich hoffe sehr, dass die Initiativen im Rahmen des Europäischen Kulturerbejahres auf lange Sicht dazu führen, junge, kritische Akteure für das Thema Denkmalpflege zu gewinnen.

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