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Christian Mihr Reporter ohne Grenzen e. V. | © Reporter ohne Grenzen Deutschland e. V.

Christian Mihr


Geschäftsführer Reporter ohne Grenzen Deutschland e. V.

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Dr. Andreas Bittner


Freier Journalist und Schatzmeister der Europäischen Journalisten-Föderation (EJF)

1991 feierten wir die Verabschiedung der Deklaration von Windhoek mit der Erklärung zur Schaffung einer unabhängigen, pluralistischen und freien Presse als Eckstein für Demokratie und wirtschaftliche Entwicklung. Wo stehen wir in Deutschland, Europa und der Welt heute - 30 Jahre später?

Christian Mihr: Nach dem Ende des Kalten Kriegs markierte die Deklaration von Windhoek einen wichtigen Meilenstein für den weltweiten Schutz von Pressefreiheit. Getragen von Zuversicht und Optimismus führte sie weltweit dazu, insbesondere in vielen Ländern des östlichen Europas, dass fortschrittliche und die Medienfreiheit schützende Gesetze verabschiedet wurden. Die Deklaration von Windhoek führte auch dazu, dass nun der 3. Mai jährlich als Internationaler Tag der Pressefreiheit begangen wird.

30 Jahre später stehen Journalistinnen und Journalisten in vielen Teilen der Welt so stark unter Druck wie selten zuvor. Informationssperren und staatliche Desinformation, willkürliche Festnahmen und Gewalt gegen Medienschaffende schränkten die Pressefreiheit auf allen Kontinenten ein.

Die Corona-Pandemie verstärkte und verfestigte weltweit leider repressive Tendenzen. Noch nie seit Einführung der aktuellen Methodik der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen gab es weltweit so wenige Länder, in denen RSF die Lage der Pressefreiheit als „gut“ bewertete.

Ein großes Problem weltweit ist, dass Verbrechen an Journalistinnen und Journalisten straffrei bleiben. Um der Straflosigkeit ein Ende zu bereiten, sollte der UN-Generalsekretär deshalb die von verschiedenen Staaten, darunter auch der Bundesregierung, unterstützte Initiative für einen oder eine Sonderbeauftragte/n der Vereinten Nationen für den Schutz von Journalistinnen und Journalisten aufgreifen. Dieser Sonderbeauftragte sollte direkt dem UN-Generalsekretär unterstehen und eigenständig Untersuchungen einleiten können, wenn Staaten nach Gewalttaten gegen Medienschaffende untätig bleiben.

Dr. Andreas Bittner: Als Journalistinnen und Journalisten wissen wir um die zentrale Rolle der UNESCO im UN-Kosmos und vor allem deren abstrakte wie alltagskonkrete Bedeutung für die Meinungs- und Pressefreiheit. Die symbolische und Langzeitwirkung von Initiativen wie der Deklaration von Windhoek, die noch im vor-digitalen Zeitalter verabschiedet wurde, sollte dabei nicht unterschätzt werden. Ist sie doch ein universeller Referenzpunkt über Grenzen, Kulturen und Technologiesprünge hinweg. Die Deklaration hat konsequenterweise zu der wichtigen Zeit- und Erinnerungsmarke „Internationaler Tag der Pressefreiheit“ geführt.

Damals wie heute sind Freiheit und Unabhängigkeit der alten und „neuen“ Medien täglich bedroht. Zwar haben – insbesondere Menschen im Globalen Süden – einen umfassenderen und einfacheren Zugang zu Informationen; zugleich sind jedoch die technischen Möglichkeiten von Desinformation, Zensur und Überwachung in unvorstellbarem Maße gewachsen. Auch die hybride Rolle der Plattform-Ökonomie – im Bereich Kommerz, Informationsvermittlung und -unterdrückung sowie intransparenter Kooperation mit staatlichen Akteuren – ist keine positive Entwicklung. Kurzum: 30 Jahre nach Windhoek gibt es wenig zu feiern; das Jubiläum erinnert vielmehr daran, dass Meinungs- und Pressefreiheit eine fragile Errungenschaft ist, die es täglich zu verteidigen gilt.

Das Thema des Welttags der Pressefreiheit am 3. Mai 2021 lautet „Information als öffentliches Gut“. Was müssen wir in Deutschland dafür tun, damit Journalismus gestärkt und Zugänge zu Informationen ermöglicht und gesichert werden?

Christian Mihr: Trotz Verabredung im Koalitionsvertrag hat die Bundesregierung Pläne für eine Neufassung des Auskunftsrechts der Presse gegenüber Bundesbehörden weiter auf Eis gelegt. Ein entsprechender Vorschlag der SPD zur Stärkung des Auskunftsrechts war schon Ende 2019 von CDU und CSU abgelehnt worden. Hier gab es 2020 keinerlei Bewegung. Gleichzeitig ist das deutsche Informationsfreiheitsgesetz, das den Zugang zu behördlichen Informationen regelt, weiter weltweit eines der schwächsten Gesetze – mit hohen Gebühren und langen Antragsfristen. Das Informationsfreiheitsgesetz muss dringend überarbeitet werden.

Dr. Andreas Bittner: Zusammen mit der europäischen Journalisten-Föderation setzt sich der deutsche Journalisten-Verband seit Jahren dafür ein, dass Journalismus als ein „Öffentliches Gut“ wahrgenommen und gefördert wird; denn Öffentlichkeit konstituiert demokratisches Handeln. Fundierte Meinungsbildung wird erst in einer pluralistischen Öffentlichkeit möglich. Der Charakter des informationellen Gemeinwohls muss dabei immer wieder neu ausgehandelt werden. Aus dieser Perspektive und der Notwendigkeit, fundierte Meinungsbildung durch Journalismus gerade auch in Krisenzeiten zu ermöglichen, müssen die Rahmenbedingungen für journalistische Angebote verbessert werden. Dies betrifft insbesondere die Regulierung von Plattformen als (marktbeherrschenden) Intermediären.

Umgekehrt beobachten wir seit Jahrzehnten Konzentrationstendenzen bei den traditionellen Medien, die zu einer besorgniserregenden Einschränkung der Medienvielfalt und des Informationspluralismus – insbesondere im Lokalen – führen, da große Verlage Zeitungen oder regionale Funkhäuser aufkaufen und Redaktionen zusammenlegen, um Kosten zu sparen. In beiden Fällen sollten deshalb auch Aspekte des Kartellrechts einbezogen werden. Weitere Themen, die stets eine Rolle spielen sind: die Ausgestaltung des Urheberrechts, eine Presseförderung, die vor allem Innovationsförderung sein muss – und die zeitgemäße Weiterentwicklung eines unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunks nach dem Motto: „Öffentliches Geld, öffentliches Gut“.

In der Rangliste der Pressefreiheit 2021 von Reporter ohne Grenzen ist Deutschland auf Platz 13 abgerutscht. Wie bewerten Sie die Lage der Pressefreiheit in Deutschland?

Christian Mihr: Hauptgrund des Abstiegs von Deutschland ist, dass Gewalt gegen Medienschaffende in unserem Land im Jahr 2020 eine noch nie dagewesene Dimension erreicht hat: Im Kalenderjahr 2020 zählte Reporter ohne Grenzen mindestens 65 gewalttätige Angriffe gegen Journalistinnen und Journalisten im Land. Damit hat sich die Zahl im Vergleich zum Jahr 2019 (mindestens 13 Übergriffe) verfünffacht. Reporter ohne Grenzen geht zudem davon aus, dass die Dunkelziffer 2020 höher ist als in den Vorjahren.

Die Mehrheit der körperlichen und verbalen Angriffe ereignete sich auf oder am Rande von Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen. Journalistinnen und Journalisten wurden geschlagen, getreten und zu Boden gestoßen, sie wurden bespuckt und bedrängt, beleidigt, bedroht und an der Arbeit gehindert. Mehr als drei Viertel aller körperlichen Angriffe ereigneten sich auf oder am Rande von Demonstrationen, darunter neben den Corona-Protesten zum Beispiel auch auf Demos gegen das Verbot der linken Internetplattform linksunten.indymedia.org und auf Demos zum 1. Mai.

Vor dem Hintergrund der steigenden Gewalt fordert Reporter ohne Grenzen Polizei und Sicherheitsbehörden erneut auf, Medienschaffende bei Demonstrationen konsequent zu schützen und das Grundrecht auf Pressefreiheit durchzusetzen – das beginnt bei einer Reform der Aus- und Weiterbildung von Polizistinnen und Polizisten.

Dr. Andreas Bittner: Das Abrutschen von Platz 11 auf 13 könnte bei einem Ranking als Ausrutscher gewertet werden – ist aber ein deutliches Alarmsignal. Denn auch in Deutschland hat die Gewalt gegen Journalisten eindeutig zugenommen – vor allem auf Demonstrationen. Parolen wie „Lügenpresse“ oder „Systemmedien“ bereiten einem Klima der Gewalt den Boden, das zu pressefeindlicher Stimmung und gewalttätigen Übergriffen eskaliert – und in breiteren Bevölkerungskreisen zu einem Misstrauen gegen Medien führt. Auch der Polizei ist nicht immer präsent, welche Rechte Journalisten im Rahmen von Berichterstattung haben; hier muss im Bereich Aus- und Weiterbildung nachgebessert werden. Im Übrigen sollten Medienhäuser – allen voran die öffentlich-rechtlichen – fest beauftragte Mitarbeiter installieren, die sich um Sicherheit, Monitoring, Ausbildung und konkrete Schutzmaßnahmen kümmern.

Doch Pressefreiheit bekommt zunehmend auch eine ökonomische Dimension. Weiterhin gibt es den Trend, Journalisten mit Klagen zu überziehen, um sie vor Recherchen abzuschrecken (Stichwort SLAPP-Klagen). Bei vielen kleineren Medienhäusern wird Journalisten sogar offen mit Arbeitsplatzverlust gedroht, wenn sie nicht auf die Vorstellungen von Anzeigenkunden und wirtschaftlichen Kooperationspartnern eingehen.

Gerade in Krisenzeiten brauchen wir Journalistinnen und Journalisten, die es sich buchstäblich leisten können, genau hinzuschauen, wo die freie und demokratische Gesellschaft in Frage gestellt wird. Das geht nur, wenn sie ungehindert und ohne Angst berichten können.

Infobox

Wie schützt und fördert die UNESCO die Pressefreiheit?

Die UNESCO fördert die Presse- und Meinungsfreiheit weltweit und unterstützt den Aufbau unabhängiger und pluralistischer Medien. Auch für die Sicherheit von Journalistinnen und Journalisten setzt sie sich auf der ganzen Welt ein.

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Interview |

Gespräch zum Welttag der Pressefreiheit am 3. Mai

Die UNESCO hat als einzige UN-Sonderorganisation das Mandat, die Presse- und Meinungsfreiheit zu schützen. In den letzten Jahren ist die…

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