UNESCO-Welterbe Aasivissuit-Nipisat. Jagdgründe der Inuit zwischen Eis und Meer
Wechselwirkung zwischen Mensch und Natur in einer unwirtlichen Landschaft
Aasivissuit-Nipisat ist eine arktische Kulturlandschaft im Westen Grönlands und birgt Zeugnisse menschlicher Geschichte, die bis zu 4.200 Jahre zurückreichen. Die neue Welterbestätte zeugt von der Wechselwirkung zwischen Mensch und Umwelt und der Resilienz menschlicher Kulturformen in einer unwirtlichen Region.
Fakten
- Aufnahmejahr: 2018
- Staaten: Dänemark
- Art der Stätte: Kulturstätte
- Erfüllte Aufnahmekriterien:
(v) - Webseite des UNESCO-Welterbezentrums
Die arktische Kulturlandschaft liegt im Westen Grönlands und erstreckt sich von der Küste bis ins Landesinnere an den Rand des Grönländischen Eisschildes. Die Stätte birgt Zeugnisse menschlicher Geschichte, die bis zu 4.200 Jahre zurückreichen. Verschiedene Kulturen von Fischern, Jägern und Sammlern haben die Landschaft hier durch die Besiedlung und Nutzung wesentlich geprägt und gestaltet. Charakterisiert sind diese insbesondere durch die Jagd auf Meeres- und Landtiere, saisonbedingte Migrations- und Siedlungsmuster sowie ein reiches materielles und immaterielles Kulturerbe. Dazu zählen z. B. große Gemeinschaftsbehausungen für die Winterzeit, Belege für die gemeinschaftliche Karibu-Jagd sowie archäologische Fundstätten der Saqqaq- (2.500 bis 700 v. Chr.) und Dorset-Kulturen (800 v. Chr. bis 1 n. Chr.) sowie aus der Kolonialzeit (ab dem 18. Jhd.). Zudem messen die Inuit der Landschaft eine spirituelle und mythologische Bedeutung bei. Rituale und Geschichten über mythische Gestalten, heilige Orte und das Nordlicht sind Teil der lebendigen kulturellen Traditionen.
Die Bedeutung und Geschichte der Kulturlandschaft werden an sieben Orten innerhalb der Welterbestätte besonders sichtbar. Dazu gehören zwei Sommerlager im Landesinneren Aasivissuit, das größte Sommerlager am Ufer des gleichnamigen Sees am Rand des Eisschildes, und Itinnerup Tupersuai – beide Orte weisen Jagd- und Siedlungsspuren unterschiedlicher Inuit-Kulturen zwischen dem 15. bis 19. Jhd. auf. Ausgrabungen haben zudem Belege für Siedlungen der Saqqaq- und Paläo-Eskimos, wie z.B. Zeltringe zutage gefördert. Saqqarliit und Sarfannguit sind zwei Fjord-Siedlungen, wobei Sarfannguit die einzige auch heute noch bewohnte Siedlung innerhalb der Welterbestätte ist. Arajutsisut und Innap Nuua sind zwei witterungsgeschützte Winterlager an der Davisstraße, die u.a. Grabanlagen, Gemeinschaftsbehausungen und Spuren intensiver Fischerei- und Jagdaktivitäten aufweisen. Am westlichen Rand der Welterbestätte liegt die Insel Nipisat, die eine einzigartige Vielfalt archäologischer Überreste der unterschiedlichen Inuit-Kulturen aufweist.
Auszug aus dem Statement of Outstanding Universal Value, 2018
Aasivissuit-Nipisat demonstrates the resilience of the human cultures of this region and their traditions of seasonal migration.
Aasivissuit-Nipisat zeugt von der Resilienz menschlicher Kulturformen in dieser unwirtlichen Region und von den Traditionen der saisonbedingten Migration.
Jahrtausendealte Siedlungstraditionen im Wandel der Zeit
Aasivissuit-Nipisat zeugt von der Resilienz menschlicher Kulturformen in dieser unwirtlichen Region und von den Traditionen der saisonbedingten Migration. Die zahlreichen Belege der Wechselbeziehungen zwischen Mensch und Natur über mehrere Jahrtausende hinweg, eine unversehrte und dynamische Naturlandschaft, immaterielle Kulturformen sowie andauernde jagd- und saisonbedingte Migrationsbewegungen der Inuit kennzeichnen diese einzigartige Landschaft (Kriterium v). Die anhaltende Nutzung der West-Ost-Routen, die umfangreichen archäologischen Funde der Paläo-Eskimo- und Inuit-Kulturen sowie die Siedlungs- und Jagdspuren, die den Jägern, Fischern und Sammlern das Leben in der Arktis möglich gemacht haben, zeigen dies in herausragender Weise auf.
Die Merkmale der Stätte umfassen sowohl materielle als auch immaterielle, kulturelle wie natürliche Aspekte: Gebäude, Siedlungsstrukturen, archäologische Stätten und Funde, die von die menschliche Einwirkung dokumentieren; Landschaftsformen und Ökosysteme des Eisschildes, der Fjorde und Seen, natürliche Ressourcen wie Karibus und andere Pflanzen- und Tierarten, die die Grundlage der kulturellen Jagd- und Fischereipraktiken bilden; und das immaterielle Kulturerbe und traditionelle Wissen der Inuit über Umwelt, Wetter, Navigation, Schutzorte, Nahrungsmittel und Heilmittel.
Welterbe in der Arktis – Klimawandel und Entwicklungsdruck
Aasivissuit-Nipisat ist nach dem Ilulissat-Eisfjord (2004) und der Agrarlandschaft von Kujataa (2017) die dritte Welterbestätte auf Grönland und zeugt von der entscheidenden Rolle der indigenen Völker in der Gestaltung dieser einzigartigen Kulturlandschaft. Im weltweiten Vergleich sind das natürliche und kulturelle Erbe der Arktis und Antarktis auf der Welterbeliste unterrepräsentiert. Gleichzeitig sind diese beiden Regionen durch den Klimawandel besonders bedroht. Die Wassertemperatur steigt in der Arktis doppelt so schnell an wie in den anderen Weltregionen. Das schnell schmelzende Meereis gibt dadurch neue, bisher unzugängliche Transportrouten frei und die damit einhergehende verstärkte Erdöl- und Gasförderung als auch die Industriefischerei stellen traditionelle Gesellschafts- und Kulturformen vor große Herausforderungen.
Diese Umwälzungen unterstreichen, wie dringlich es ist, ein besseres Verständnis und wirksame Schutzinstrumente für die weltweit einzigartigen marinen Ökosysteme und die indigenen Kulturformen in diesen Regionen zu entwickeln. Diesbezüglich befasst sich das wissenschaftliche Komitee von ICOMOS für Kulturerbe in Polarregionen (IPHC, International Polar Heritage Committee) mit dem Erhalt und Schutz von Kulturerbe in der Arktis und Antarktis. Auch IUCN wies 2017 in seinem Bericht über potenzielle marine Welterbestätten im Arktischen Ozean auf die wichtige Rolle der Arktis für die weltweite Artenvielfalt hin und zeigte die Abhängigkeiten zwischen den marinen Ökosystemen auf. So legen jüngste Forschungsergebnisse nahe, dass einige Buckelwale aus dem Walschutzgebiet von El Vizcaino (Mexiko) vor der kalifornischen Halbinsel im Sommer zur Nahrungsaufnahme bis in die Gewässer um das Wrangelinsel-Reservat (Russische Föderation), nördlich des Polarkreises, migrieren.
Porträtserie
Im Rahmen der 42. Sitzung des UNESCO-Welterbekomitees 2018 in Manama, Bahrain, wurden 19 Stätten neu in die Liste des Welterbes aufgenommen. In ihrer Gesamtheit versinnbildlichen sie die Vielfalt und Bandbreite des gemeinsamen Kultur- und Naturerbes der Menschheit.