Diskussionen über die wirtschaftlichen Potenziale von Künstlicher Intelligenz werden hierzulande in der Regel von der Frage bestimmt, wie sich der Wirtschaftsstandort Deutschland im globalen Wettbewerb behaupten kann und welche Staaten uns in ihrer KI-Entwicklung und -Infrastruktur voraus sind oder uns gar abgehängt haben. Der Blick richtet sich dabei meist in Richtung USA, China und andere (aufstrebende) Industrienationen. Doch was bedeuten die technologischen Durchbrüche im Bereich KI für ärmere Staaten? Drohen sie erneut abgehängt zu werden oder bieten die Entwicklungen im Bereich KI den Ländern des sogenannten Globalen Südens die Chance, aufzuholen und wirtschaftlich zu profitieren?

Chancen sehen die Expertinnen und Experten beispielsweise für eine Reihe von afrikanischen Ländern, die über eine junge, zum Teil gut ausgebildete und technikaffine Bevölkerung verfügen und in denen sich in den letzten Jahren bereits eine vergleichsweise starke digitale Wirtschaft mit einem dynamischen Netzwerk von Innovationszentren und erfolgreichen Unternehmen und Start-ups der Digitalbranche entwickelt hat, wie z.B. Kenia.

Die Herausforderung der "digitalen Kluft"

Doch wie kann sichergestellt werden, dass die KI-Industrie in armen Staaten nicht nur dazu dient, den großen KI-Unternehmen aus Industriestaaten günstig zuzuarbeiten (beispielsweise durch die Aufbereitung von Trainingsdaten), ohne dass vor Ort echte Wertschöpfung entsteht? Und wie kann gefördert werden, dass nicht vor allem prekäre, schlecht bezahlte und monotone oder psychisch belastende, sondern qualifizierte Arbeitsplätze geschaffen werden? Was muss geschehen, damit die Vorteile und Erleichterungen, die KI-Anwendungen mit sich bringen, auch Menschen in armen Ländern zur Verfügung stehen? Mit anderen Worten: Wie kann sichergestellt werden, dass sich die sogenannte digitale Kluft zwischen dem Globalen Süden und den Industrieländern durch KI-Technologien nicht noch weiter vergrößert?

Diese Fragen stellen sich umso drängender, als nicht nur die wirtschaftlichen und technologischen Ausgangslagen zwischen Ländern und Regionen sehr unterschiedlich sind, sondern auch die “Spielregeln” häufig von den Staaten bestimmt werden, in denen der Großteil der technologischen Entwicklung stattfindet. Die Interessen der ärmeren Staaten bleiben dabei oft unberücksichtigt. Es ist daher wichtig, dass lokale und regionale Perspektiven aus ärmeren Weltregionen stärker in die Prozesse der Regelsetzung einbezogen werden.

KI & Globale Gerechtigkeit

„Wir wollen nicht nur Zaungäste sein, sondern als anerkannte Expertinnen und Experten, die wertvolle Beiträge leisten, (…) teilhaben.“

Prof. Emma Ruttkamp-Bloem

Leiterin Fachbereich Philosophie, Universität von Pretoria; Leiterin „Ethik der Künstlichen Intelligenz“, Centre for Artificial Intelligence Research

Vor diesem Hintergrund hat die UNESCO mit der UNESCO-Empfehlung zur Ethik der Künstlichen Intelligenz einen globalen Rahmen geschaffen, um die Entwicklung und Nutzung von KI-Systemen gerechter zu gestalten. Es handelt sich dabei um den ersten weltweit gültigen Völkerrechtstext im Bereich der KI-Ethik, erarbeitet unter der Beteiligung von Expertinnen und Experten aus allen Weltregionen und einstimmig verabschiedet von allen UNESCO-Mitgliedstaaten. In der Empfehlung spricht sich die UNESCO für eine verstärkte internationale Zusammenarbeit zwischen wirtschaftlich starken und schwächeren Staaten bei der Entwicklung von KI aus und fordert eine besondere Berücksichtigung der Belange von Entwicklungsländern.

Die UNESCO-Empfehlung besagt, dass die internationale Zusammenarbeit im Bereich der KI in erster Linie einen Mehrwert für die lokale Wirtschaft und die Gesellschaft in ärmeren Ländern schaffen sollte. Für den Aufbau einer nachhaltigen lokalen KI-Wirtschaft ist eine intensive und gleichberechtigte Zusammenarbeit in der KI-Forschung zwischen Industrie- und Entwicklungsländern erforderlich, beispielsweise zwischen Staaten der Europäischen Union (EU) und der Afrikanischen Union (AU). Auch der Ausbau der multilateralen Wissenschaftsförderung, beispielsweise unter Federführung der UNESCO, kann dazu beitragen, eine global gerechtere Entwicklung und Nutzung von KI-Anwendungen sicherzustellen.

Kulturelle und ethische Dimension von KI-Anwendungen 

Der Aufbau von Kapazitäten für die KI-Forschung und -Entwicklung in ärmeren Regionen der Welt ist jedoch nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen relevant. Um die kulturelle Vielfalt zu schützen und sicherzustellen, dass lokale Kontexte und Werte respektiert werden, ist es wichtig, dass KI-Anwendungen dort entwickelt werden, wo sie auch eingesetzt werden. Andernfalls ist es insbesondere dann problematisch, wenn KI-Systeme ausschließlich mit Daten aus westlichen Industrienationen trainiert wurden. Wenn diese Systeme dann beispielsweise in der Bild- oder Spracherkennung eingesetzt werden, erkennen oder verstehen sie Menschen aus anderen Regionen der Welt oft nicht. 

Gleichzeitig muss sichergestellt werden, dass Unternehmen, die in Industriestaaten geltenden Regeln zum Schutz der Nutzerinnen und Nutzer in ärmeren Staaten nicht unterlaufen. Da die staatlichen Strukturen in Entwicklungsländern oft schwächer sind und damit der rechtliche Schutz der Bevölkerung schwieriger durchzusetzen ist, befürchten Expertinnen und Experten ein „ethics dumping“, also das Unterlaufen ethischer Vorgaben und Standards aufgrund fehlender Sanktionsmechanismen in ärmeren Staaten. Vor diesem Hintergrund unterstützt die UNESCO insbesondere afrikanische Staaten bei der Umsetzung der UNESCO-Empfehlung zur Ethik der Künstlichen Intelligenz.

Unser Beitrag für eine global gerechtere KI-Entwicklung

Als Deutsche UNESCO-Kommission unterstützen wir aktiv die Umsetzung der UNESCO-Empfehlung zur Ethik der Künstlichen Intelligenz in Deutschland und die Arbeit der UNESCO für eine inklusive und gleichberechtigte Entwicklung und Nutzung von KI-Technologien. So haben wir unter anderem eine Veranstaltung zu KI und globaler Gerechtigkeit und einen Workshop für afrikanische und deutsche Expertinnen und Experten zur Rolle der deutschen Entwicklungs- und Forschungspolitik für die Entwicklung von KI in Afrika organisiert.

Infobox

Verweis auf Interview Emma Ruttkamp-Bloem und Philipp Olbrich

Weitere Einblicke in die Rolle des Globalen Südens im Bereich KI-Ethik geben Prof. Emma Ruttkamp Bloem und Dr. Philipp Olbrich in diesem Interview.

Unsere Aktivitäten zu KI & globale Gerechtigkeit

Bild zeigt Teilnehmende der Veranstaltung

Künstliche Intelligenz und globale Gerechtigkeit

Podiumsdiskussion

Wegweiser für die Gestaltung unserer Zukunft

Zusammenfassung der UNESCO-Empfehlung zur Ethik der Künstlichen Intelligenz

Foto vom Workshop

Ethische KI in Afrika

Workshop zur Rolle der deutschen Entwicklungs- und Forschungspolitik

KI in weiteren UNESCO-Feldern

Teaser-Karussell
Frau mit Datennetzwerk auf Gesicht
Roboter malt Bild

KI & Kultur

Die Folgen der KI-Entwicklung für Kunst und Kultur

Frau mit Daten auf dem Gesicht.