Auf ein Wort,

„Gewalt gegen Journalistinnen und Journalisten ist weltweit auf dem Vormarsch, auch in Deutschland“

Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen e.V.

Christian Mihr
Geschäftsführer Reporter ohne Grenzen Deutschland

Prof. Dr. Frank Überall © Werner Siess/Deutscher Journalisten-Verband e. V.

Prof. Dr. Frank Überall
Bundesvorsitzender Deutscher Journalisten-Verband

Die UNESCO hat als einzige UN-Sonderorganisation das Mandat, die Presse- und Meinungsfreiheit zu schützen. In den letzten Jahren ist die Pressefreiheit in Europa zunehmend unter Druck geraten. Grund für ein Gespräch mit Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen Deutschland und Prof. Dr. Frank Überall, Bundesvorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbands am Welttag der Pressefreiheit.

Was sind die größten Herausforderungen, die 2023 für die Freiheit der Presse in Deutschland, Europa und weltweit bestehen?

Prof. Dr. Frank Überall: Wir haben im Grunde zwei große Gefahrenstränge für die Pressefreiheit: den Ukrainekrieg und die Übergriffe von Querdenkern und Rechtsextremisten auf Journalistinnen und Journalisten. Der Ukrainekrieg bedeutet für die Berichterstatter vor Ort tägliche Lebensgefahr. Daneben gibt es jetzt Versuche des ukrainischen Militärs, Journalisten vom Frontgeschehen fernzuhalten, und von Russland geht umfassende Desinformation und Einschüchterung aus. So wird unabhängige Berichterstattung immer schwieriger. In Deutschland sind die gewalttätigen Angriffe auf Medienschaffende durch Extremisten die größte Herausforderung für die Pressefreiheit. Hier bleibt unsere Forderung nach mehr Schutz durch die Polizei aktuell.

Christian Mihr: Gewalt gegen Journalistinnen und Journalisten ist weltweit auf dem Vormarsch, auch in Deutschland, und befeuert durch die sozialen Medien. Bei der Bekämpfung von Falschnachrichten und Desinformation haben die großen Social-Media-Plattformen eine enorme Verantwortung, der sie zu selten gerecht werden. Wir begrüßen deshalb grundsätzlich den European Media Freedom Act, mit dem die Europäische Kommission eine Grundlage für Medienfreiheit und redaktionelle Unabhängigkeit in ganz Europa schaffen will. Der Kampf gegen Desinformation wird uns in diesem Jahr stark beschäftigen, auch durch die Popularisierung der Künstlichen Intelligenz.

Welttag der Pressefreiheit

Der 3. Mai ist Welttag der Pressefreiheit. Er steht 2023 unter dem Motto „Shaping a Future of Rights: Das Recht auf freie Meinungsäußerung als Motor für alle Menschenrechte“. Die zentralen Feierlichkeiten begannen bereits am 2. Mai bei den Vereinten Nationen in New York. Auf der zentralen Veranstaltung wird der UNESCO/Guillermo Cano-Preis für Pressefreiheit verliehen.

UNESCO-Banner World Press Freedom Day 2023

In 2022 gab es eine zweitägige, internationale Konferenz in Wien anlässlich des zehnjährigen Bestehens des Aktionsplans der Vereinten Nationen zur Sicherheit von Journalisten und zur Frage der Straflosigkeit. Was muss insbesondere durch die internationale Staatengemeinschaft innerhalb der Vereinten Nationen erreicht werden, um Pressefreiheit in allen Bereichen zu stärken?

Christian Mihr: 86 Prozent aller Verbrechen gegen Medienschaffende weltweit bleiben straflos. Dadurch dreht sich das Rad der Gewalt immer weiter, denn die Täter haben in den seltensten Fällen etwas zu befürchten. Der völkerrechtliche Rahmen zu Schutz von Journalistinnen und Journalisten muss strategisch weiterentwickelt werden. Mehrere Organe der Vereinten Nationen haben zwar durchaus vielversprechende Resolutionen zum Schutz von Medienschaffenden verabschiedet, aber es mangelt noch immer an der Umsetzung. Auch deshalb wirbt Reporter ohne Grenzen seit vielen Jahren für einen Sonderbeauftragten oder eine Sonderbeauftragte für den Schutz von Journalistinnen und Journalisten. Was uns Mut macht, sind Entwicklungen wie am Oberlandesgericht Celle, wo die Bundesregierung nach dem Weltrechtsprinzip derzeit über den mutmaßlichen Mord an einem gambischen Journalisten und RSF-Korrespondenten verhandelt.

Prof. Dr. Frank Überall: Unser wichtigstes Anliegen ist die Schaffung eines Medienbeauftragten der Vereinten Nationen. Das hat der Deutsche Bundestag schon vor Jahren gefordert. Getan hat sich auf der internationalen Bühne jedoch leider nichts. Warum fordern wir das? Weil die Sicherheit von Journalistinnen und Journalisten in Krisengebieten existenziell für die Pressefreiheit und letztlich für die Berichterstatter ist.

Die Rangliste der Pressefreiheit

Jedes Jahr erstellt Reporter ohne Grenzen (RoG) die Rangliste der Pressefreiheit. Die aktuelle Rangliste vergleicht die Situation von Journalistinnen, Journalisten und Medien in 180 Staaten und Territorien.

Deutschland nimmt 2023 Platz 21 auf der Liste ein und hat sich im Gegensatz zum Vorjahr erneut verschlechtert. RoG begründet dies vor allem mit dem Vorbeiziehen anderer Länder, die sich zum Teil stark verbessert haben. Als problematisch angegeben wird die weiter wachsende Gewalt gegen Journalistinnen, Journalisten und Medien. Mit 103 physischen Angriffen dokumentiert RoG den höchsten Stand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2015.

    Was kann die Politik, die Gesellschaft insgesamt aber auch jede einzelne Person in Deutschland tun, um die Freiheit der Presse zu unterstützen?

    Prof. Dr. Frank Überall: Die Politik muss besonders aufmerksam darauf achten, dass Journalistinnen und Journalisten frei und ungehindert berichten können. Der Gesellschaft kommt die Verantwortung zu, bei Übergriffen auf Journalisten nicht wegzusehen, sondern klar und entschlossen dafür einzutreten, dass Pressefeinde in Deutschland eine Randgruppe bleiben. Außerdem muss die Medienkompetenz gefördert werden, wozu auch gehört, die besondere Rolle des unabhängigen Journalismus für eine demokratische Gesellschaft deutlich zu machen.

    Christian Mihr: Wir brauchen mehr Medienvielfalt. Die Rahmenbedingungen dafür zu stärken, ist eine Aufgabe der Politik. Auf der individuellen Ebene kann jeder und jede einzelne dazu beitragen, Desinformation entgegenzuwirken und im Gegenzug die Reichweite von seriösem Journalismus zu erhöhen: Indem er oder sie diese Beiträge liest, empfiehlt und verbreitet. Und ja, guter Journalismus kostet Geld. Auch der gemeinnützige Journalismus kann eine große Chance sein, für uns als Gesellschaft und für die Demokratie.

    Wie schützt und fördert die UNESCO die Pressefreiheit?

    Die UNESCO fördert die Presse- und Meinungsfreiheit weltweit und unterstützt den Aufbau unabhängiger und pluralistischer Medien. Auch für die Sicherheit von Journalistinnen und Journalisten setzt sie sich auf der ganzen Welt ein.

    Presse- und Meinungsfreiheit
    Flashmob Presse- und Meinungsfreiheit in Namibia

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    Presse- und Meinungsfreiheit sind Grundlage von Wissensgesellschaften. Die UNESCO hat als einzige Sonderorganisation der Vereinten Nationen das Mandat, die Presse- und Meinungsfreiheit zu schützen.
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    Bild Startartikel Freiheit.Hoch.Drei

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    Vom Welttag der Pressefreiheit am 3. Mai bis zum Welttag der Menschenrechte am 10. Dezember 2019 geht es unter der Überschrift „Freiheit.Hoch.Drei“ um Presse-, Kunst- und Wissenschaftsfreiheit.
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