Montanregion Erzgebirge/Krušnohoří
Seit dem Mittelalter wurde im sächsisch-böhmischen Erzgebirge Erz abgebaut. Die Region entwickelte sich von 1460 bis 1560 zur größten Silbererzquelle Europas und war Ursprung zahlreicher technologischer Innovationen. Bergwerke, wegweisende Wassermanagement-Systeme, innovative Erzaufbereitungsanlagen, Schmelzhütten und Bergbaustädte: Die Kulturlandschaft des Erzgebirges wurde über nahezu 800 Jahre kontinuierlich und maßgeblich vom Bergbau geprägt. Deutschland und Tschechien haben die grenzüberschreitende Welterbestätte gemeinsam nominiert.
Fakten
Aufnahmejahr: 2019
Bundesland: Sachsen
Staaten: Deutschland, Tschechien
Art der Stätte: grenzüberschreitende Kulturlandschaft
Erfüllte Aufnahmekriterien: (ii), (iii), (iv)
Glück-Auf-Mentalität und Traditionspflege
Alles kommt vom Bergwerk her, so lautet ein alter Bergmannsspruch. „Und das stimmt auch“, sagt Volker Uhlig. Als Metallhüttenfacharbeiter schmolz er jahrelang Zinn ein, später wurde er Landrat von Freiberg. 2003 gründete Uhlig den Welterbe-FördervereinExterner Link:, dessen Vorsitzender er viele Jahre war. „Man kann jegliche historische Aktivität im Erzgebirge mit dem Bergbau in Verbindung bringen – ob die Nutzung von Wasserkraft für die Bergwerke, die Rodung des Waldes für Holzkohle oder die Entwicklung von Straßennetzen“, erklärt Uhlig. „Und natürlich gehört auch unsere Glück-auf-Mentalität dazu: Wir Erzgebirgler grüßen einander stets mit einem herzlichen ‚Glück auf!‘ und pflegen Traditionen wie die Bergaufzüge.“
Im Juli 2019 hat das UNESCO-Welterbekomitee in Baku die Kulturlandschaft Erzgebirge als Welterbe anerkannt. Zur „Montanregion Erzgebirge/Krušnohoří“ zählen 17 Teilgebiete in Sachsen und fünf Teilgebiete im benachbarten Tschechien. Von Bergbaueinrichtungen wie Bergwerken und Schächten über Städte mit charakteristischer Architektur, Wassermanagementsystemen und Transportwegen bis hin zu Forstgebieten und Halden in der Landschaft – die Montanregion ist eine vielseitige Welterbestätte, geprägt von mehr als 800 Jahren Erzgewinnung.
Bergbau mit jahrhundertelanger Tradition
Die Bergbaugeschichte der Region geht zurück auf erste Silberfunde im Jahr 1168 in der Nähe der heutigen Stadt Freiberg: Der Legende nach fanden Kaufleute aus Halle Silberlocken an einem Bachlauf. Von da an siedelten Bergleute, Handwerker und Abenteuerlustige in der Gegend, entdeckten weitere Erze und nichtmetallische Rohstoffe wie Kalk und Steinkohle. Und weit mehr als das: Die Menschen im Erzgebirge entwickelten Organisationsformen und Technologien, die die Wirtschaft, staatliche Systeme und gesamtgesellschaftliche Umbrüche wie die Industrialisierung in Mitteleuropa maßgeblich prägten. Im 16. Jahrhundert etwa wurden die Verwaltung und Führung der Bergwerke verstaatlicht. Die neue Bergbaubürokratie legte den Grundstein für ein frühkapitalistisches Zahlungssystem: Die erstmals 1520 geprägten Silbertaler dienten mehrere Jahrhunderte als Vorbild für die Währungssysteme in vielen europäischen Staaten und gelten als Vorgänger des Dollars. Auch die Bergparade, die seit 2016 als Immaterielles Kulturerbe im Bundesweiten Verzeichnis gelistet sind, zeugen vom staatlich organisierten Bergbau.
Im erzgebirgischen Freiberg entstand auch die älteste noch bestehende Bergakademie, gegründet 1765. Hier forschten namhafte Wissenschaftler, die das Wissen weit über die Region und Europa hinaustrugen – etwa Abraham Gottlob Werner, der als Mitbegründer der modernen Montanwissenschaft gilt, und der Naturforscher Alexander von Humboldt.
Im 20. Jahrhundert wurden die Bergwerke sukzessive stillgelegt. Ungenutzt sind sie dennoch nicht: Die Technische Universität Bergakademie FreibergExterner Link: nutzt einige der alten Schächte für Lehre und Forschung, zum Beispiel zu Robotik, Aufbereitungstechnik und Nachnutzung von Industriebrachen. Zudem halten viele Einzelpersonen und Vereine die Schächte, Lichtlöcher und Hütten instand und führen dort kreative Aktionen und Bildungsprojekte durch. „Dass die Montanregion Erzgebirge zum UNESCO-Welterbe ernannt worden ist, ist eine große Würdigung für das Engagement der Menschen, die seit vielen Jahren ihr Erbe – und weltweit bedeutsames Erbe – bewahren und vermitteln“, sagt Friederike Hansell, ehemalige Welterbe-Beauftragte des Freistaats Sachsen.
Helmuth Albrecht und Friederike Hansell im Interview
Zitat Helmuth Albrecht
Bildung vor Ort und über Grenzen hinweg
Um den Schutz, Erhalt und die Vermittlung der Montanregion als Welterbe sicherzustellen, arbeiten die Kultusministerien in Deutschland und in Tschechien eng zusammen. „Wir wollen gemeinsam diese Region in Mitteleuropa zu einem einheitlichen Kulturraum entwickeln. Dafür haben wir ein gemeinsames Vermittlungskonzept erarbeitet, das die Stärken und Besonderheiten der Region aufzeigt, und setzen konkrete Projekte um“, erklärt Prof. Dr. Helmuth Albrecht, Leiter der Welterbe-Projektgruppe an der Technischen Universität Bergakademie Freiberg. Seit vielen Jahren schon kooperieren sächsische und böhmische Museen miteinander. Es gibt Weiterbildungen zum Thema Welterbe für Lehrkräfte, Stadtführerinnen und Touristik-Fachleute. Für Kinder und Jugendliche werden Unterrichtsmaterialien entwickelt und Schulprojekte gefördert.
Das Gymnasium Marienberg etwa widmete 2015 seine Projektwoche dem Thema „Montanität – wir wollen Welterbe“. Dabei lernten die Schülerinnen und Schüler auf kreative Weise mehr über den Bergbau und ihre Heimat sowie über die Bedeutung der Montanregion als Welterbestätte. Sie präsentierten ihre Ergebnisse etwa in einer Modenschau „Aus Erz mach Kleid“, einer Theateraufführung und einer Ausstellung „Zeitenwanderung. Auf dem Weg zum UNESCO-Welterbe“.
„Ein Schatz, den es zu entdecken gilt“
Steffen Börner ist Kunstlehrer am Marienberger Gymnasium und hat die Projektwoche damals mit initiiert. Er setzt sich seit vielen Jahren für die Themen Erzgebirge und Welterbe in der Schule ein. „Man muss den Schülerinnen und Schülern vermitteln, dass das Erzgebirge ein Schatz ist, in dem sie leben und den es immer wieder neu zu entdecken gilt. Wenn sie nach der Schulzeit die Region verlassen, etwa um zu studieren, tragen sie ihr Wissen hinaus in die Welt und erzählen über das Erzgebirge und die Montanität.“
Steffen Börner ist die Vermittlung des Welterbes an seiner Schule ein Herzensanliegen. Die Ernennung der Montanregion Erzgebirge zur Welterbestätte sieht er als Chance, die Heimatverbundenheit bei jungen Menschen zu stärken. „Das Erzgebirge ist viel mehr als nur Bergbau. Um den Bergbau herum ist im Laufe der Jahrhunderte eine eigene Welt entstanden, die letztendlich die Welt im Ganzen widerspiegelt. Dazu gehören Wissenschaft, Architektur und Kultur – und nicht zuletzt ein großes Miteinander.“
Steffen Börner im Interview
Der außergewöhnliche universelle Wert
Authentizität
Die Bestandteile der Stätte sind in ihrem Umfeld erhalten und, obwohl einige neuen Nutzungen angepasst wurden, verfügen sie über ein hohes Maß an Authentizität. Die Bergbaulandschaft hat auch ihr reichhaltiges immaterielles Erbe in Form von lebendigen Traditionen bewahrt, und bewegliche Sammlungen und Archive sind weitere Quellen für zuverlässige Informationen über die Werte der Serie. Bergbau über einen Zeitraum von 800 Jahren hat zu Veränderungen in der Landschaft geführt; einige Bergbaugebiete wurden aufgegeben, während andere weiter betrieben wurden und technologische Anpassungen erfuhren. Kontinuierliche Bergbauaktivitäten trugen an bestimmten Standorten zur Erhaltung der bergbaulichen Strukturen sowie zur ihrer kontinuierlichen Instandsetzung und Modernisierung bei. Die Anlagen unter Tage verfügen im Allgemeinen über ein hohes Maß an Authentizität; über Tage wurden aufgelassene Gebäude oder Strukturen in einigen Fällen abgerissen oder an neue Nutzungen angepasst; obwohl die Bemühungen zur Erhaltung von Bergbaustätten bereits vor hundert Jahren einsetzten, verblieben viele bis zum Beginn von Erhaltungskampagnen in historischen Städten und Bergbaustätten in den 1990er Jahren in schlechtem Zustand. Die Bergakademie Freiberg betreibt weiterhin Forschung zum Bergbau und seinem Betrieb, die zum Wissenszuwachs beiträgt.
Integrität
Die Stätte, eine organisch entwickelte montane Kulturlandschaft, setzt sich aus 22 Bestandteilen zusammen, die insgesamt den Umwandlungsprozess des Gebiets über 800 Jahre auf Grund von Bergbauaktivitäten verdeutlicht. Beide Vertragsstaaten haben ähnliche Ansätze zur Identifizierung der Bestandteile der seriellen Stätte, zur Identifizierung des Beitrags eines jeden Bestandteils zum komplexen Umwandlungsprozess der montanen Kulturlandschaft und zur Festlegung der Grenzen der nominierten Stätte und der Pufferzonen verfolgt. Auf dieser Grundlage spielt jeder der Bestandteile der seriellen Stätte eine spezifische Rolle bei der Darstellung der Landschaftstypen, die mit der Gewinnung verschiedener Erze im Erzgebirge zusammenhängen. Die Grenzen jedes einzelnen Bestandteils wurden sorgfältig festgelegt, um alle erforderlichen Merkmale für den Beitrag des jeweiligen Bestandteils zum außergewöhnlichen universellen Wert zu vermitteln. Obwohl einige der Bestandteile Faktoren ausgesetzt sind, die ein Risiko für ihre Erhaltung darstellen könnten, stellen die vorhandenen Rechtsvorschriften und der Managementplan den
angemessenen Schutz aller Attribute sicher, die zur Vermittlung des außergewöhnlichen universellen Wert der Stätte erforderlich sind.
Kriterien
Kriterium (ii)
Die Montanregion Erzgebirge/Krušnohoří ist ein außergewöhnliches Zeugnis für die herausragende Rolle und den starken globalen Einfluss des sächsisch-böhmischen Erzgebirges als Zentrum für technologische und wissenschaftliche Innovationen von der Renaissance bis zur Neuzeit. In mehreren Phasen der Bergbaugeschichte gingen mit dem Bergbau verbundene bedeutende Errungenschaften aus der Region hervor und wurden erfolgreich weitergegeben oder beeinflussten die nachfolgenden Entwicklungen in anderen Bergbauregionen. Dazu gehört unter anderem die Gründung der ersten Bergbauakademie. Die fortwährende weltweite Auswanderung gut ausgebildeter sächsisch-böhmischer Bergmänner spielte eine Schlüsselrolle im Austausch von Entwicklungen und Verbesserungen in der Bergbautechnik und den zugehörigen Wissenschaften. Zeugnisse dieses Austausches sind noch heute in der Montanregion Erzgebirge/Krušnohoří zu finden.
Kriterium (iii)
Die Montanregion Erzgebirge/Krušnohoří stellt ein außergewöhnliches Zeugnis der technologischen, wissenschaftlichen, verwaltungstechnischen, bildungspolitischen, betriebswirtschaftlichen und sozialen Aspekte dar, die die immaterielle Dimension der lebendigen Traditionen, Ideen und Überzeugungen der mit der Kultur des Erzgebirges verbundenen Menschen untermauern. Die Organisation ebenso wie die hierarchische Verwaltung und Leitung sind grundlegend für das Verständnis der erzgebirgischen Bergbautradition, die sich seit Beginn des 16. Jahrhunderts entwickelte. Es bildete sich eine Tradition heraus, bei der die Bergbaubürokratien der absoluten Herrscher eine strenge Kontrolle über die Arbeitskräfte ausübten und ein günstiges Klima für ein frühkapitalistisches Finanzsystem schufen. Diese Vorgehensweise beeinflusste das ökonomische, rechtliche, administrative und soziale System des Bergbaus in allen Bergbauregionen Kontinentaleuropas. Die staatlich kontrollierte Organisation des Bergbaus beeinflusste stark die Entwicklung frühneuzeitlicher Währungssysteme, was insbesondere die königliche Münzstätte in Jáchymov bezeugt, wo ab 1520 die als Thaler bekannten schweren Silbermünzen geprägt wurden, die mehrere Jahrhunderte lang als Norm für die Währungssysteme in vielen europäischen Ländern dienten und zu einem Vorläufer der "Dollar"-Währung wurden.
Kriterium (iv)
Die Montanregion Erzgebirge/Krušnohoří repräsentiert eine zusammenhängende Bergbaulandschaft mit spezifischen Anteilen an Flächen, die an bestimmten, durch die ungleichmäßige Verteilung und Konzentration der Erzvorkommen vorgegebenen Orten dem Bergbau gewidmet waren und zu unterschiedlichen Zeiten und durch unterschiedliche Methoden erschlossen wurden, von der Wasser- und Forstwirtschaft, zur Urbanisierung, über die Landwirtschaft bis hin zu Transport und Kommunikation - ein Muster von Knoten und Verdichtungen, von linearen Verbindungselementen, die alle in aufeinanderfolgenden Phasen unter zunehmender staatlicher Kontrolle entwickelt wurden. Gut erhaltene Grubengebäude, technologische Ensembles und Landschaftsmerkmale zeugen von allen bekannten wichtigen Gewinnungs- und Aufbereitungstechnologien vom Spätmittelalter bis zur Neuzeit sowie von der Entwicklung umfangreicher, anspruchsvoller Wasserwirtschaftssysteme über und unter Tage. Die Bergbauaktivitäten führten zu einer beispiellosen Entwicklung einer dichten Siedlungsstruktur sowohl in den Tälern als auch in sehr hohen, rauen Berglagen, die eine enge Verbindung zu den umliegenden Bergbaulandschaften aufweisen.