Die romanischen Kirchen der Insel aus dem 9. bis 11. Jahrhundert veranschaulichen die frühmittelalterliche Architektur in Mitteleuropa. Das Benediktinerkloster war ein wichtiges künstlerisches Zentrum seiner Zeit, wovon seine bedeutenden Wand- und Buchmalereien zeugen, die große Bedeutung für die europäische Kunstgeschichte des 10. und 11. Jahrhunderts haben.

Fakten

Aufnahmejahr: 2000
Bundesland: Baden-Württemberg
Staaten: Deutschland
Art der Stätte: Kulturstätte
Erfüllte Aufnahmekriterien: (iii), (iv), (vi)

Geistiges und kulturelles Zentrum im Mittelalter

Im Jahr 724 gründete der Wanderbischof Pirmin das Kloster auf der "reichen Au". Die Benediktinerabtei entwickelte sich zwischen 800 und 1100 zu einem geistigen und kulturellen Zentrum des Heiligen Römischen Reiches. Der Ruhm der Klosterschule und der Bibliothek geht auf Abt Waldo (786-806) zurück, Bischof von Pavia und Regent des jungen Langobardenkönigs Pipin. Abt Heito I. erbaute die Abteikirche im 9. Jahrhundert neu, wobei er einige Grundideen byzantinischen Kirchenbaus übernahm, die er von seinen Reisen im Auftrag Kaiser Karls des Großen mitbrachte. Zu den berühmten Lehrern und Erziehern der Schule gehört Walahfrid Strabo, der mit seiner "Visio Wettini" das christliche Weltbild darlegte. Unter Abt Hatto III. (888-913) erlangte die Insel Reichenau auch politische Macht. Als Erzkanzler des Reiches war Hatto III. Vormund Ludwigs des Kindes, des letzten deutschen Karolingerkönigs. Wissenschaft und Musik erblühten unter dem Mönch Hermann der Lahme (1013-1054). Er verfasste eine Weltchronik und die noch heute gesungenen marianischen Antiphonen "Alma redemtoris mater" und "Salve Regina".

Blick auf die Klosteranlage auf der Klosterinsel Reichanau
Blick auf die Klosteranlage auf der Klosterinsel Reichanau | © Hilarmont, Commons Wiki
Externer Link: CC-BY-SA 3.0
Blick auf die Basilika St. Peter und Paul auf der Klosterinsel Reichenau
Basilika St. Peter und Paul auf der Klosterinsel Reichenau | © pixabay

Die drei Reichenauer Kirchen gelten als geistige Vororte des Abendlandes zur Zeit der Karolinger und Ottonen. Die Vierung, die Querschiffe und die Kanzel der in karolingischer Kreuzform errichteten und 816 geweihten Basilika in Mittelzell sind sowohl aufgrund ihrer Größe als auch ihres ausgezeichneten Erhaltungszustands außergewöhnlich und ein wichtiges Beispiel für diese Art Vierungen in Europa. Die noch erhaltenen Teile des karolingischen Klosters mit seinem nach antikem römischem Vorbild aufgebauten Heizsystem sind ebenso bedeutend. Die Querschiffe und die Apsis der Kirche St. Maria und Markus (1048), die über die karolingischen Teile des Mittelschiffs verbunden sind, stellen weitere bedeutende Zeugnisse der europäischen Kulturgeschichte dar. Die Wandmalereien in der Apsis der Kirche St. Peter und Paul in Niederzell sind von außergewöhnlicher Qualität. Die Kirche St. Georg in Oberzell ist berühmt für ihre monumentalen ottonischen Wandmalereien aus dem 10. Jahrhundert und das einzige Beispiel vollständig und größtenteils erhaltener szenischer Wandmalereien aus der Zeit vor 1000 n. Chr. nördlich der Alpen.

Die klösterlichen Traditionen können noch heute während der religiösen Feste und Prozessionen auf der Insel erlebt werden.

Die einzigartigen Handschriften der Klosterinsel Reichenau aus dem Hochmittelalter mit ihren narrativen Darstellungen des Neuen Testaments, des Lebens Jesu und der Evangelien sind Teil des UNESCO-Weltdokumentenerbes.

Blick auf die Kirche St. Georg auf der Klosterinsel Reichenau
Kirche St. Georg auf der Klosterinsel Reichenau | © best-biketours, pixabay
Infobox

Der außergewöhnliche universelle Wert

Authentizität

Die Gebäudeansammlungen weiteten sich nicht zu echten Gebäudegruppen aus, ein Merkmal, das selbst nach der Säkularisierung und dem auf den Zweiten Weltkrieg folgenden Bauboom weiterbestand. Die säkulare Architektur wird von einigen injüngerer Vergangenheit vorgenommenen Modernisierungen bzw. zeitgenössischen
Bauten dominiert. Die erhaltene Originalsubstanz wurde freigelegt oder ist für die Architekturforschung zugänglich. Die Naturschutzgebiete, die zur Abtrennung der Neubaugebiete von landwirtschaftlichen, heute weitgehend Treibhäusern
gewidmeten Flächen ausgewiesen wurden, ermöglichen eine Vorstellung davon, wie die Insel ursprünglich aussah. Die für das 19. Jahrhundert charakteristischen Rekonstruktionen mittelalterlicher Substanz, die den Ergänzungen aus der
Renaissance- und Barockzeit schaden, wurden weitgehend beseitigt. Durch dieses Vorgehen wurde die komplexe historische Schichtung der Gebäude, insbesondere ihrer Innenräume, reduziert. Während die architektonischen Oberflächen der Reichenauer Kirchen entsprechend der konventionellen Vorstellung von mittelalterlicher Sakralarchitektur komplett überarbeitet und vereinfacht wurden, ist die Authentizität der mittelalterlichen Wandmalereien positiv hervorzuheben.

Integrität

Alle Elemente, die notwendig sind, um den außergewöhnlichen universellen Wert zum Ausdruck zu bringen, zeigen sich in den über die ganze Insel verteilten Gebäuden - einem Vermächtnis der sozio-ökonomischen Struktur des Mittelalters,
die das Bild der gesamten Klosteranlagegeprägt hat.

Kriterien

Kriterium (iii)

Die Überreste der Klosteranlage auf der Reichenau zeugen in außergewöhnlicher Weise von der religiösen und kulturellen Rolle eines großen Benediktinerklosters im frühen Mittelalter.

Kriterium (iv)

Die Kirchen auf der Insel Reichenau enthalten bemerkenswerte Elemente aus mehreren Bauabschnitten und sind somit herausragende Beispiele für die Klosterarchitektur in Mitteleuropa vom 9. bis zum 11. Jahrhundert.

Kriterium (vi)

Das Kloster Reichenau war im 10. und 11. Jahrhundert ein wichtiges künstlerisches Zentrum mit großer Bedeutung für die europäische Kunstgeschichte in Europa, was durch die monumentalen Wandmalereien und die Buchmalereien
hervorragend veranschaulicht wird.

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