Karolingisches Westwerk und Civitas Corvey
Inmitten einer noch heute in weiten Teilen erhaltenen ländlichen Umgebung im Osten der nordrhein-westfälischen Stadt Höxter am Westufer der Weser liegen das karolingische Westwerk und die Civitas Corvey. Das Westwerk des ehemaligen Benediktinerklosters Corvey, ein der Basilika westlich vorgesetzter Kirchenraum, ist aufgrund der Spitzdächer und Türme aus Bruchsteinmauerwerk aus der Ferne weithin erkennbar. Das Kloster gehörte mit seiner Schule und Bibliothek im Mittelalter zu den wichtigsten Vermittlern der christlichen Kultur. 2014 wurde es zum UNESCO-Welterbe ernannt.
Fakten
Aufnahmejahr: 2014
Bundesland: Nordrhein-Westfalen
Staaten: Deutschland
Art der Stätte: Kulturstätte
Erfüllte Aufnahmekriterien: (ii), (iii), (iv)
Das Westwerk von Corvey
Das Westwerk von Corvey ist eines der wenigen in wesentlichen Teilen erhalten gebliebenen karolingischen Bauwerke seiner Zeit und vereint Innovation mit dem Rückgriff auf antike Vorbilder. Der Kirchenraum besteht aus rotem Bruchsteinmauerwerk, zwei Fassadentürmen und einem zentralen mittleren Turm. In allen Räumen finden sich farbige Wandmalereien mit Ornamentbändern. Eine Besonderheit sind bis heute die mythologischen Figuren mit Bezug zur Antike, die die Kirchenväter in das christliche Weltbild integrierten. Der zentrale, dreiseitig von Emporen umgebene Hauptraum im Obergeschoss diente liturgischen Zwecken und privilegierten Nutzungen und greift in seiner Form und seiner ursprünglichen künstlerischen Ausstattung auf antike Vorbilder für weltliche Repräsentationsräume zurück. Auch das Gewölbe der Eingangshalle knüpft an antike Konstruktionstechniken an. Das Westwerk bildet die Grundlage für weitere technische und bautypologische Entwicklungen in romanischer und gotischer Zeit, die im Barock neu interpretiert wurden.
Kulturelles und wirtschaftliches Zentrum
Um das Kloster mit Schule und Bibliothek entstand schon in der Karolingerzeit der spätestens 940 befestigte Klosterbezirk als religiöses, kulturelles und wirtschaftliches Zentrum, zu dem ein Pilgerhospiz, Wohnhäuser für Gäste und Bedienstete, Wirtschaftsgebäude und Werkstätten gehörten. Dadurch manifestierte sich der politische und kulturelle Aufschwung unter den Karolingern am Rande des fränkischen Reiches. Als archäologische Denkmäler sind der ehemals befestigte Klosterbezirk und die aus karolingischen Siedlungskernen um ihn herum gewachsene hochmittelalterliche Stadt herausragende Dokumente des politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Lebens im Mittelalter.
Bildergalerie Kloster Corvey
Eines der einflussreichsten Klöster des Frankenreichs
Corvey gehörte zu den einflussreichsten Klöstern des Frankenreichs. Sein missionarischer Auftrag war von großer Bedeutung für die politisch-religiösen Prozesse in weiten Teilen Europas. Als Reichsabtei hatte Corvey nicht nur geistige und geistliche Funktion im Hinblick auf die Missionierung Sachsens und der angrenzenden Gebiete, sondern auch politische und wirtschaftliche Bedeutung als Vorposten des fränkischen Reiches am Rande der damaligen christlichen Welt.
Die im Original erhaltene gewölbte Halle mit Säulen und Pfeilern im Erdgeschoss und der dreiseitig von Galerien umgebene Hauptraum im Obergeschoss machen Corvey zu einem der prägnantesten Beispiele der „karolingischen Renaissance“. Dies gilt auch für die an den noch vorhandenen Elementen nachvollziehbare, ursprüngliche künstlerische Ausgestaltung des Erd- und Obergeschosses einschließlich lebensgroßer Stuckfiguren und mythologischer Friese.
Der Klosterbezirk Corvey war in seiner Blütezeit vom 9. bis 12. Jahrhundert eine halbautonome Verwaltungseinheit der Stadt. Eine Inschriftentafel, die aus der Gründungszeit des Klosters stammt, verweist auf die Civitas Corvey, die mit dem archäologisch nachgewiesenen Klosterbezirk identifiziert werden kann. 1265 wurde die Stadt Corvey zerstört. Nur das Kloster blieb bestehen. Nach abermaligen Zerstörungen im Dreißigjährigen Krieg wurde die Kirche 1665 abgerissen und im barocken Stil in seiner heutigen Form wieder aufgebaut. Das Westwerk ist trotz mehrerer Umbaumaßnahmen im Wesentlichen in seinem karolingischen Baubestand erhalten geblieben.
Der außergewöhnliche universelle Wert
Authentizität
Das Westwerk der Abtei Corvey an der Weser ist eines der ganz wenigen bis unter das Dach in karolingischer Substanz und Form erhaltenen Bauwerke und wohl das einzige, in dessen Äußerem mit hochaufragender Westfront der herrschaftliche Anspruch karolingischer Kultur noch heute unmittelbar anschaulich wird. Form und Gestaltung des karolingischen Westwerks sind weitgehend in Originalsubstanz und -material erhalten. Seine Wandmalereien sind das einzig bekannte Beispiel für die Aufnahme von Elementen der profanen antiken Ikonographie in Bildprogramme karolingischer Sakralräume. Corvey ist die einzige zuverlässig untersuchte Quelle, aus der wir Wissen um die malerische Gestaltung flacher wie gewölbter Putzdecken in karolingischer Zeit ziehen.
Sinopien - in roter Erdfarbe ausgeführte Vorzeichnungen - und Stuckfragmente des Westwerks sind der wichtigste Beleg für Großplastiken aus karolingischer Zeit nördlich der Alpen und verdeutlichen auf äußerst überzeugende Weise die enge
konzeptionelle wie handwerkliche Synthese von Wandmalerei und Stuckplastik in den Dekorationssystemen dieser Epoche. Die Fläche des ehemals befestigten Klosterbezirks ist als archäologisches Denkmal von besonderem Wert, da hier Fundstücke und Überreste eines offenbar planmäßig angelegten karolingischen Großklosters mit den zugehörigen Wohn- und Wirtschaftsbereichen, Friedhöfen und Kapellenbauten in weiten Bereichen, von späteren Zerstörungen unbeeinträchtigt, erhalten geblieben sind. Das Gleiche gilt für die im Boden erhaltenen Überreste der im 12. Jahrhundert zur Stadt herangewachsenen und im Spätmittelalter wüst gefallenen Siedlung vor den Klostertoren, in der eine frühstädtische Entwicklung ohne wesentliche Zerstörung durch neuere Siedlungstätigkeit archäologisch verfolgt werden kann.
Integrität
Das in seiner baulichen Gestalt erhaltene Westwerk und der als Bodendenkmal geschützte, ehemals befestigte Klosterbezirk sind mit Blick auf ihre Lage und den Gesamtzusammenhang nachvollziehbar. Die Klosteranlage ist in ihrer ursprünglichen Größe erhalten und ihre naturräumliche Einbettung ungestört. Der barocke Klosterkomplex hat zur Kontinuität der klösterlichen und religiösen Funktionen des Ortes über die Jahrhunderte beigetragen; durch den Wiederaufbau der Kirche in ihrer barocken Form konnte die religiöse Nutzung des Westwerks im Laufe der Zeit und bis heute beibehalten werden. Dank der archäologischen Überreste des befestigten Dorfes außerhalb des Klosters lässt sich zudem die wichtige Rolle, die die Abtei Corvey für die Besiedlung der Region spielte, besser nachvollziehen. Die noch erhaltene ländliche Umgebung bildet den geeigneten Kontext, um die Bedeutung des nominierten Gutes besser verstehen und würdigen zu können.
Kriterien
Kriterium (ii)
Corvey besitzt das einzige nahezu vollständig erhaltene karolingische Westwerk. Der zentrale, dreiseitig von Emporen umgebene Hauptraum im Obergeschoss greift in seiner Form und ursprünglichen künstlerischen Ausstattung auf antike Vorbilder für weltliche Repräsentationsräume zurück; auch für das Gewölbe der Eingangshalle wurden antike Konstruktionstechniken angewandt. Insgesamt lieferte das Westwerk die Grundlage für weitere technische und bautypologische Entwicklungen in der romanischen und gotischen Sakralarchitektur, die im Barock neu interpretiert wurden.
Kriterium (iii)
Der Hauptraum im Obergeschoss diente liturgischen Zwecken und privilegierten Nutzungen. Der Bezirk um das Kloster mit Schule und Bibliothek, der spätestens 940 befestigt wurde und als religiöses, kulturelles und wirtschaftliches Zentrum diente, entstand schon in der Karolingerzeit und umfasste ein Pilgerhospiz, Unterkünfte für Gäste und Bedienstete, Wirtschaftsgebäude und Werkstätten. Hier wurde der politische und kulturelle Aufschwung unter den Karolingern am Rande des fränkischen Reiches sichtbar.
Kriterium (iv)
Das Westwerk der Abtei Corvey ist ein herausragendes Zeugnis der karolingischen Bau- und Klosterkultur, die nicht nur Ausdruck geistlicher Inhalte und kirchlicher Ziele war, sondern auch Instrument der Herrschaftssicherung und des Landesausbaus. Der ehemals befestigte Klosterbezirk und die aus karolingischen Siedlungskernen um ihn herum gewachsene hochmittelalterliche Stadt sind archäologische Denkmäler und herausragende Zeugnisse des politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Lebens im Mittelalter.