Das architektonische Werk von Le Corbusier - ein herausragender Beitrag zur Moderne
Das architektonische Werk Le Corbusiers ist ein kontinentübergreifendes, künstlerisches Meisterwerk und eine architektonische Antwort auf die globalen sozialen Fragen der modernen Gesellschaft. 2016 wurde ein repräsentativer Ausschnitt der Arbeit des schweizerisch-französischen Architekten als transnationale Serie in die Liste des UNESCO-Welterbes aufgenommen.
Fakten
Aufnahmejahr: 2016
Bundesland: Baden-Württemberg
Staaten: Argentinien, Belgien, Frankreich, Deutschland, Indien, Japan, Schweiz
Art der Stätte: Kulturstätte
Erfüllte Aufnahmekriterien: (i), (ii), (vi)
Eine neue architektonische Sprache
Die Serie stellt die herausragende Rolle Le Corbusiers für die Architektur des 20. Jahrhunderts dar und gilt in ihrer Gesamtheit als Ausdruck seiner künstlerischen Schöpferkraft. Jedes einzelne Gebäude und Ensemble ist Ausdruck einer neuen architektonischen Sprache und das innovative Ergebnis von Le Corbusiers über ein halbes Jahrhundert andauernden Suche nach Antworten auf die sozialen und gesellschaftlichen Herausforderungen des 20. Jahrhunderts.
Die Serie umfasst die folgenden 17 Bauten und Ensembles in den sieben Staaten Argentinien, Belgien, Deutschland, Frankreich, Indien, Japan und der Schweiz:
- 1923: Maisons La Roche et Jeanneret, Paris, Frankreich
- 1923: Petite villa au bord du lac Léman, Corseaux, Schweiz
- 1924: Cité Frugès, Pessac, Frankreich
- 1926: Maison Guiette, Antwerpen, Belgien
- 1927: Häuser der Weissenhofsiedlung, Stuttgart, Deutschland
- 1928: Villa Savoy et loge du jardinier, Poissy, Frankreich
- 1930: Immeuble Clarté, Genf, Schweiz
- 1931: Immeuble locatif à la Porte Molitor, Paris, Frankreich
- 1945: Unité d'habitation, Marseille, Frankreich
- 1946: Manufacture à Saint-Dié, Saint-Dié-des-Voges, Frankreich
- 1949: Maison du Docteur Curutchet, La Plata, Argentinien
- 1950: Chapelle Notre-Dame-du-Haut, Ronchamp, Frankreich
- 1951: Cabanon de Le Corbusier, Roquebrune-Cap-Martin, Frankreich
- 1952: Complexe du Capitole, Chandigarh, Indien
- 1953: Couvent Sainte-Marie-de-la-Tourette, Eveux, Frankreich
- 1954-59: National Museum of Western Art, Main Building, Tokio, Japan
- 1953-65: Centre de recréation du corps et de l'esprit de Firminy-Vert, Firminy, Frankreich
Synthese von Architektur, Malerei und Bildhauerei
Die transnationale Welterbestätte belegt internationale Austauschbeziehungen und im Besonderen den außergewöhnlichen Einfluss Le Corbusiers auf globaler Ebene, ein in diesem Umfang nie zuvor dagewesenes Phänomen in der Architekturgeschichte. Sein Werk ist Ausgangspunkt drei bedeutender Stilrichtungen moderner Architektur: Purismus, Brutalismus und skulpturale Architektur. Das architektonische Werk Le Corbusiers ist direkt mit den Ideen der modernen Bewegung verbunden und materieller Ausdruck seiner beim Internationalen Kongress Moderner Architektur im Jahre 1928 präsentierten Ideen. Der „neue Geist“ der modernen Bewegung und die Synthese von Architektur, Malerei und Bildhauerei werden in außergewöhnlicher Weise durch die Serie repräsentiert.
Die Stuttgarter Weissenhofsiedlung
Der deutsche Beitrag zu der transnationalen Welterbestätte, zwei Häuser der Stuttgarter Weissenhofsiedlung, wurde 1927 anlässlich der Ausstellung "Die Wohnung" des Deutschen Werkbundes erbaut. Die Gebäude sollten als Modell für zukünftige Arbeiterwohnungen dienen. Sie gelten heute als Ikonen der Baugeschichte. Le Corbusier setzte dort seine "Fünf Punkte einer neuen Architektur" um. Zentrale Merkmale sind der Dachgarten sowie der Einsatz von Stützen statt massiver Mauern als tragende Konstruktion, wodurch eine freie Grundriss- und Fassadengestaltung mit einem verschiebbaren Langfenster ermöglicht wurden. Funktionelles Wohnen sollte durch eine Flexibilität in der Innenarchitektur umgesetzt werden.
Eine transnationale Stätte
Der internationale Charakter des architektonischen Werkes von Le Corbusier wirkt bis heute stark völker- und kulturverbindend. Die sieben Staaten, auf deren Gebieten sich Teile dieser transnationalen Stätte finden, sind gemeinsam für deren Schutz und Erhalt, Management und Vermittlung verantwortlich.
"17 Stätten in 7 Ländern auf 3 Kontinenten wirken zusammen. Diese Internationalität entspricht dem weltumspannenden Werk von Le Corbusier und dem tiefen Einfluss, den er in vielen Ländern auf die Architekturentwicklung im 20. Jahrhundert ausgeübt hat. So auch in Stuttgart, wo Ludwig Mies van der Rohe als künstlerischer Leiter der Werkbundausstellung 1927 alles daran setzte, Le Corbusier zur Mitwirkung zu gewinnen“, sagt Friedemann Gschwind vom “Freunde der Weißenhofsiedlung e.V.”
Der außergewöhnliche universelle Wert
Authentizität
Die Serie verdeutlicht eindrucksvoll, dass sie von größerer Bedeutung ist als die bloße Summe ihrer Bestandteile. Im Hinblick darauf, wie gut sich in den Merkmalen der Stätte der außergewöhnliche universelle Wert widerspiegelt, ist die Authentizität der meisten Bestandteile der Serie gut. In der Siedlung Frugès wurden auf drei Parzellen Bauten von Le Corbusier durch traditionelle Häuser ersetzt, während an anderen Orten der Stadtlandschaft Authentizität durch Vernachlässigung und Veränderung der Innenräume teilweise verlorengeht. Ein kleiner Teil des Gebäudes der Unité d'habitation wurde durch den Brand von 2012 zerstört. Dieser Teil wurde inzwischen vollständig nach ursprünglichem Vorbild wiederaufgebaut, was jedoch mit gewissen Abstrichen im Hinblick auf die Authentizität einherging. Die Authentizität des Kapitol-Komplexes in seiner heutigen Form könnte durch den Bau des Gouverneurspalasts und des Museums des Wissens beeinträchtigt werden, der offenbar diskutiert wird.
Für den Vorplatz des Nationalmuseums für Westliche Kunst scheint ursprünglich ein weiter offener Raum vorgesehen gewesen zu sein. Die Vorplatz-Bepflanzung aus dem Jahr 1999 lenkt vom Gebäude, seinen Hauptansichten und der Umgebung ab.
Aufgrund jüngster Entwicklungen ist die Authentizität der Kapelle Notre-Dame-du-Haut, was die Vermittlung der Ideen Le Corbusiers betrifft, teilweise beeinträchtigt. Die Wirkung der Glaswände des Mietshauses an der Porte Molitor wird durch das neue Stadion eingeschränkt, ohne dass jedoch die Authentizität der Stätte darunter leidet.
Im Hinblick auf die Bausubstanz wurden einige Stätten nach Jahren der Vernachlässigung oder Verunstaltung in jüngster Zeit restauriert und teilweise rekonstruiert. Insgesamt können die Veränderungen als sinnvoll und verhältnismäßig angesehen werden.
Integrität
Die Integrität der Serie als Ganzes kommt auf angemessene Weise in der Art zum Ausdruck, wie die Gebäude von Le Corbusier nicht nur die Entwicklung und den Einfluss der Modernen Bewegung widerspiegeln, sondern auch darin, wie sie Bestandteil der weltweiten Verbreitung dieser Bewegung waren.
Bei den meisten Bestandteilen der Serie ist die Integrität gegeben. Innerhalb der Siedlung Frugès wurden neue Gebäude auf drei Parzellen errichtet – auf einer von ihnen stand ursprünglich ein standardisiertes Haus von Le Corbusier, das im Krieg zerstört wurde, die im Widerspruch zum Konzept des Architekten stehen. Die Integrität der Villa Savoye und des angrenzenden Gärtnerhauses wird teilweise durch das Lycée und die Sportplätze beeinträchtigt, die an drei Seiten der ursprünglichen Wiese errichtet wurden, von der die Villa in den 1950er-Jahren umgeben war. Die Umgebung dieser Stätte ist fragil. Die kollektive Integrität der Weissenhofsiedlung wurde beeinträchtigt, da zehn der einundzwanzig Häuser im Laufe des Krieges und des Wiederaufbaus der Nachkriegszeit zerstört wurden.
Die Integrität der von Le Corbusier entworfenen Kapelle Notre-Dame-du-Haut, die an einem jahrhundertealten Wallfahrtsort errichtet wurde, wird teilweise durch ein neues Besucherzentrum und ein Nonnenkloster in der Nähe beeinträchtigt, die Le Corbusiers Kapelle von seiner idyllischen Lage in den Hügeln trennen.
Unmittelbar vor der Glasfassade des Mietshauses an der Porte Molitor wurde ein
neues Rugby-Stadion errichtet.
Kriterien
Kriterium (i)
Das architektonische Werk von Le Corbusier ist ein Meisterwerk der menschlichen Schöpferkraft, das eine außergewöhnliche Antwort auf einige grundlegende architektonische und soziale Herausforderungen des 20. Jahrhunderts gibt.
Kriterium (ii)
In Bezug auf die Entstehung und Entwicklung der Modernen Bewegung zeugt das architektonische Werk von Le Corbusier von einem beispiellosen weltweiten Austausch menschlicher Werte über ein halbes Jahrhundert hinweg.
Das architektonische Werk von Le Corbusier hat die Architektur revolutioniert, indem es auf außergewöhnliche und wegweisende Art eine neue Architektursprache einführte, die sich deutlich von der Vergangenheit abwandte.
Aus dem architektonischen Werk von Le Corbusier sind drei wichtige Strömungen der modernen Architektur hervorgegangen: der Purismus, der Brutalismus und die skulpturale Architektur.
Der weltweite Einfluss des Werks von Le Corbusier auf vier Kontinenten ist ein neues Phänomen in der Architekturgeschichte und belegt dessen beispiellose Wirkung.
Kriterium (vi)
Das architektonische Werk von Le Corbusier ist unmittelbar und materiell mit den Ideen der Modernen Bewegung verbunden, deren Theorien und Werke im 20. Jahrhundert außergewöhnliche universelle Bedeutung hatten. Die Serie verdeutlicht einen ‚neuen Geist‘, der die Synthese aus Architektur, Malerei und Bildhauerei zum Ausdruck bringt.
Le Corbusiers Ideen sind in seinem Werk verwirklicht und erfuhren durch die internationalen Kongresse für Neues Bauen (CIAM) ab 1928 eine eindrucksvolle Verbreitung.
Das architektonische Werk von Le Corbusier spiegelt in außergewöhnlicher Weise das Bestreben der Modernen Bewegung wider, eine neue Architektursprache zu entwickeln, die architektonische Praxis zu modernisieren und auf die sozialen und grundlegenden Bedürfnisse des modernen Menschen einzugehen.
Der Beitrag des architektonischen Werkes von Le Corbusier ist nicht nur das Ergebnis einer vorbildlichen Leistung zu einem bestimmten Zeitpunkt, sondern die außergewöhnliche Summe schriftlicher und umgesetzter Entwürfe, die über ein halbes Jahrhundert hinweg konstant auf der ganzen Welt verbreitet wurden.