Erklärung der Deutschen UNESCO-Kommission

Bonner Erklärung 2014

Wir, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der nationalen Konferenz zum Abschluss der UN-Dekade "Bildung für nachhaltige Entwicklung" vom 29. und 30. September 2014 in Bonn, verabschieden die folgende Erklärung und den Aufruf zum Handeln:

I. Wir halten fest:

Die Dekade "Bildung für nachhaltige Entwicklung" (2005-2014) der Vereinten Nationen hat die zentrale Rolle der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) herausgestellt und Bildungssysteme weltweit stärker an den Erfordernissen der nachhaltigen Entwicklung ausgerichtet. Die Dekade hat Akteure und Netzwerke der BNE gestärkt, das Verständnis von BNE als ein Konzept mit umfassendem und transformativem Anspruch an das Bildungssystem weiterentwickelt und zahlreiche Beispiele guter Praxis dokumentiert und initiiert.

In Deutschland wurde während der Dekade viel bewegt: Akteure aus allen Bereichen der Gesellschaft haben sich aktiv an der Umsetzung der Ziele beteiligt und die Erfordernisse und die vielfältigen Dimensionen einer wegweisenden BNE deutlich gemacht. Die in Deutschland für die Umsetzung der Dekade und ihrer Ziele geschaffenen Strukturen und die breite Mobilisierung von Netzwerken, Institutionen, Einrichtungen und Akteuren haben das Bewusstsein in unserer Gesellschaft für die Relevanz von BNE erheblich vorangebracht, gerade auch als Ausdruck einer lebendigen Kultur nachhaltiger Entwicklung. Von der in Deutschland 2009 ausgerichteten UNESCO-Halbzeitkonferenz und der in diesem Zuge verabschiedeten Bonner Erklärung gingen wichtige Impulse für die globale Entwicklung der BNE aus.

Bildung ist ein Schlüssel, um die Ziele globaler nachhaltiger Entwicklung zu erreichen. BNE fördert Gestaltungskompetenz, Dialogfähigkeit, Orientierungswissen und das Erkennen von systemischen Zusammenhängen. BNE zielt auf Lebensstile, Partizipation, Werthaltungen, globale Verantwortung sowie Konsum- und Produktionsmuster. BNE befähigt zum nachhaltigen Handeln und fördert die Bereitschaft, Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen. BNE markiert eine neue Bildungskultur, eine neue inhaltliche und methodische Richtung für das Lehren und Lernen. BNE betont kreatives und kritisches Denken, langfristige Ansätze, Innovationen und die Befähigung, mit Unsicherheiten umzugehen, komplexe Probleme zu lösen sowie an der Gestaltung der demokratischen und kulturell vielfältigen Gesellschaft mitzuwirken. Lehren und Lernen werden dabei von den Lernenden aus gedacht, Lehrende verstehen sich stärker als Lernende, partizipative Lernprozesse und Methoden werden neu gestaltet.

Die Botschaften der Weltgipfel in Rio de Janeiro 1992 und in Johannesburg 2002 wurden ernst genommen. Zugleich setzte das Rio+20-Abschlussdokument von 2012 "The future we want" einen neuen Impuls für eine Stärkung von BNE über die Dekade hinaus. Weltweit haben damit auf allen politischen Ebenen nachhaltige Entwicklung und BNE an Bedeutung gewonnen. Zugleich bestehen für Bildungssysteme und Bildungseinrichtungen weiterhin Herausforderungen, Nachhaltigkeit als Leitbild für pädagogische und institutionelle Entwicklung zu verankern. Daher haben die Mitgliedstaaten der UNESCO auf ihrer 37. Generalkonferenz im November 2013 beschlossen, den Vereinten Nationen einen Vorschlag für ein Weltaktionsprogramm vorzulegen. Auch der Entwurf der derzeit verhandelten Post-2015-Agenda für nachhaltige Entwicklung betont die Bedeutung von BNE. Die Inhalte des Weltaktionsprogramms sollen hierfür zentrale Leitlinie sein.

Auch in Deutschland wird die Notwendigkeit erkannt, BNE als Querschnittsaufgabe weiterhin zu stärken. So hält z.B. der Koalitionsvertrag auf Bundesebene für die 18. Legislaturperiode fest, dass BNE stärker in allen Bildungsbereichen verankert werden soll. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung, weitere Bundesministerien, die Länder und die zivilgesellschaftlichen Partner unterstützen das geplante Weltaktionsprogramm und seine Umsetzung in Deutschland. Das Ende der Dekade ist daher zugleich der Startschuss für die weitere gemeinsame Arbeit an einer Ausrichtung der Bildungssysteme an den Erfordernissen nachhaltiger Entwicklung.

II. Wir danken dafür

dass in Deutschland die UN-Dekade "Bildung für nachhaltige Entwicklung" aufgrund des Zusammenwirkens einer breiten Allianz verschiedener Akteure ein Erfolg war: Auf der Grundlage eines Beschlusses des Deutschen Bundestages und unter der Federführung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung waren mehrere Bundesressorts sowie die Länder, die Kultusministerkonferenz, die Umweltministerkonferenz, die Kommunen, Nichtregierungsorganisationen und zahlreiche weitere zivilgesellschaftliche Akteure eng in die Umsetzung der Dekade eingebunden. Die Deutsche UNESCO-Kommission stellte mit Förderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung die Plattform für die Zusammenarbeit zivilgesellschaftlicher Expertise bereit, u.a. durch das von ihr eingesetzte Nationalkomitee, die jährlichen Runden Tische, die Arbeitsgruppen und die Auszeichnungen von Projekten, Maßnahmen und Kommunen. Über tausend Verbände, Institutionen und Partnerorganisationen der Zivilgesellschaft haben einen maßgeblichen Anteil an der Ausgestaltung und Umsetzung der Dekade. Ihnen allen gilt unser Dank für die lebendige Gestaltung und facettenreiche Ausformung des gemeinsamen Ziels.

III. Wir stellen fest

a) dass die UN-Dekade "Bildung für nachhaltige Entwicklung" Weichen für die strukturelle Verankerung von BNE in der deutschen Bildungslandschaft gestellt und entsprechende Gestaltungsoptionen sichtbar gemacht hat;

b) dass die Dekade das Konzept einer BNE als integraler Bestandteil der Bildung und zugleich als ihre umfassende und systemische Neuausrichtung geschärft und besser vermittelt hat;

c) dass es in der Dekade gelungen ist, haupt- und ehrenamtliches Engagement und Expertise in erheblichem Ausmaß für die Ziele der BNE zu mobilisieren;

d) dass tragfähige Netzwerke von Einrichtungen, Expertinnen und Experten entstanden sind und unterstützt wurden;

e) dass lokale Initiativen im Sinne von BNE durch die Auszeichnung von Dekade-Projekten und Kommunen unterstützt und in ihrer strategischen Ausrichtung an BNE bestärkt werden, die Vielfalt bereits bestehender guter Praxis sichtbar gemacht und mit dem Transfer des Konzepts von BNE in die Breite begonnen wurde;

f) dass Deutschland in der internationalen Umsetzung der Dekade wichtige Impulse gegeben hat. Durch viele Maßnahmen z.B. auf europäischer Ebene und der bilateralen und der multilateralen Entwicklungszusammenarbeit hat Deutschland erfolgreich dazu beigetragen, die Bedeutung von BNE weltweit zu unterstreichen.

IV. Wir erkennen folgende Herausforderungen für die weitere Umsetzung von Bildung für nachhaltige Entwicklung über die Dekade hinaus: 

a) die durchgängige Verankerung von BNE in der formalen und non-formalen Bildung; das betrifft sowohl die curricularen Inhalte wie die Lernumgebung und die Lernformen, die Kooperation von schulischen und außerschulischen Bildungsträgern und die Ausgestaltung ganzheitlicher und partizipativer Methoden;

b) die Verankerung von BNE in der Aus- und Fortbildung von pädagogischen Fach- und Lehrkräften im Elementarbereich, an Schulen, an Hochschulen und in der beruflichen sowie der außerschulischen Bildung und anderer Multiplikatorinnen und Multiplikatoren;

c) die Verstetigung und der Transfer erfolgreicher Projekte, auch durch längerfristige und themen- und sektorübergreifende Förderinstrumente;

d) die Sichtbarkeit von Pionieren des Wandels durch Auszeichnungen, auch durch Weiterentwicklung bisheriger Auszeichnungspraxis;

e) die systematische Zusammenführung und Weiterentwicklung lokaler BNE-Projekte zu lokalen und regionalen Bildungslandschaften;

f) die Gewinnung neuer Adressatengruppen, Partnerorganisationen und -unternehmen, Multiplikatorinnen und Multiplikatoren für BNE, insbesondere aus anderen bildungs- und gesellschaftspolitischen Bereichen;

g) die vertiefte inter- und transdisziplinäre Forschung zu BNE, insbesondere in Bezug auf die Kompetenzentwicklung, den Transfer guter Praxis in die Breite und den Beitrag von BNE zur Bildungsqualität, auch im Rahmen der Forschung für nachhaltige Entwicklung insgesamt;

h) die Verzahnung des nationalen und internationalen Fachdiskurses zur BNE mit dem Nachhaltigkeitsdiskurs, um den Transformationsprozess der Gesellschaft zu fördern;

i) eine intensivere ressortübergreifende Zusammenarbeit und stärkere politische Unterstützung für BNE auf Bund- und Länderebene;

j) die Verankerung von BNE auch in all jenen politischen Prozessen auf nationaler, Länder- und lokaler Ebene, welche für zentrale Herausforderungen der nachhaltigen Entwicklung relevant sind, insbesondere in den jeweiligen Nachhaltigkeitsstrategien und den entsprechenden Fortschrittsberichten;

k) die Messung der Zielerreichung anhand geeigneter Indikatoren sowie eine wirkungsorientierte Berichterstattung;

l) auf internationaler Ebene eine bessere Vernetzung und Austausch über Erfahrungen und gute Praxis zu BNE, u.a. Austausch von Lehr- und Fachkräften, sowie die Entwicklung internationaler Standards;

m) eine explizite Verankerung von BNE in der Post-2015-Agenda nachhaltiger Entwicklung.

V. Wir empfehlen:

Wir, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Konferenz, begrüßen und unterstützen die Ausrufung des Weltaktionsprogramms durch die Vereinten Nationen und den von der UNESCO entwickelten Zielkatalog, die Umsetzungsagenda und die fünf Prioritäten des Weltaktionsprogramms. Wir werden uns in den fünf Jahren des Weltaktionsprogramms bis 2019 gemeinsam entschieden für dessen Ziele in Deutschland einsetzen:

a) Politische Unterstützung: In Deutschland soll die politische Unterstützung inklusive entsprechender Ressourcen fortgesetzt und, wo immer möglich, verstärkt werden. Dazu zählen insbesondere die ressortübergreifende Koordinierung und ein noch intensiverer Austausch von Bund, Ländern, Kommunen und Zivilgesellschaft. Die vorhandenen Koordinierungs- und Umsetzungsstrukturen müssen weiterentwickelt werden, um die gemeinsam gesetzten Ziele zu erreichen. BNE soll verstärkt unter Konsultation aller gesellschaftlichen Akteure in aktuelle Bildungs-, Forschungs- und Nachhaltigkeitsagenden integriert werden. Neue Finanzierungsinstrumente der BNE sollten geprüft werden.

b) Gesamtinstitutioneller Ansatz: Bildungseinrichtungen sollen ein deutliches Nachhaltigkeitsprofil ausbilden. Für die ganzheitliche nachhaltige Ausrichtung von Institutionen der formalen und non-formalen Bildung – als Einrichtung, die zum Lernen über Nachhaltigkeit anregt und selbst nachhaltig handelt – sollen sie realistische Ziele und Qualitätsindikatoren entwickeln. Unternehmen und andere Institutionen sollen BNE in ihre Aus-, Fort- und Weiterbildungsprogramme und CSR-Strategien aufnehmen.

c) Lehrende, Multiplikatorinnen und Multiplikatoren: Besondere Aufmerksamkeit erfordert die BNE-relevante Qualifizierung von pädagogischen Fach- und Lehrkräften im Elementarbereich, an Schulen und an Hochschulen, von Trainings- und Ausbildungspersonal in der beruflichen sowie der außerschulischen Aus- und Weiterbildung sowie von haupt- und ehrenamtlichen Multiplikatorinnen und Multiplikatoren. Dies betrifft die Erstqualifikation in allen Ausbildungsphasen sowie die Aus- und Weiterbildung.

d) Jugend: Kinder und Jugendliche sollen befähigt und ermutigt werden, eigeninitiativ Verantwortung für BNE zu übernehmen. Sie sollen vielfältige, innovative und von ihnen mitzugestaltende Lernangebote und Freiräume erhalten. Sie müssen mehr Mitsprache in den nationalen Gremien und Foren der deutschen Umsetzung des Weltaktionsprogramms erhalten, um ihren Bedarf an eine Bildung bzw. an Lerngelegenheiten zu artikulieren, die ihrer wichtigen und bereits aktiven Rolle als Akteur nachhaltiger Entwicklung gerecht werden; wo möglich, sollten auf den unterschiedlichen Ebenen selbstorganisierte Jugendbeiräte eingerichtet werden. Es bedarf besserer Strukturen und Prozesse, damit Kinder und Jugendliche sich beteiligen und mitwirken können, auch unter Nutzung digitaler Medien. Alle BNE-Akteure sind aufgerufen, die nachfolgende Generation zur Mitbestimmung und Mitgestaltung zu befähigen und selbstgestaltete BNE-Aktivitäten zu unterstützen. Wo möglich, sollten Jugendliche für ihre Projekte Budgetverantwortung erhalten.  

e) Kommunale Entwicklung: Wie in der Dekade unter Beweis gestellt, ist BNE als Katalysator für eine langfristige nachhaltige Entwicklung von Regionen besonders wirksam. Dies trifft vor allem auf lokale und regionale Verbünde zu, die aus schulischen und außerschulischen Institutionen, u.a. Kultureinrichtungen, NROs und Unternehmen, Hochschulen und Kommunen bestehen. Die beteiligten Akteure müssen sich darauf verständigen, welchen Beitrag sie je nach Kompetenz und Wirkungsfeld leisten können, und sich gegenseitig stärken. Diese lokalen und regionalen Verbünde sollten mit angemessenen Strukturen und Ressourcen ausgestattet und in überregionale Netzwerke eingebettet werden. Die Begleitung von themen- und sektorenübergreifenden Bildungsprozessen und die enge Verbindung mit konkretem Engagement für Nachhaltigkeit ist eine auszubauende Aufgabe für alle Multiplikatorinnen und Multiplikatoren in der formalen und non-formalen Bildung.  

VI. Wir appellieren

an alle Akteure, Netzwerke, Institutionen und Einrichtungen, die Beiträge zu einer stärkeren Verankerung von BNE in unserer Gesellschaft geleistet haben und künftig leisten können, an die Vereinten Nationen, die UNESCO und die UNECE und ihre jeweiligen Mitgliedstaaten, an die Europäische Union, an den Deutschen Bundestag und die Bundesregierung, an die Länder, an die Kommunen und an die Deutsche UNESCO-Kommission, die Anstrengungen für eine Umsetzung von BNE im Sinne dieser Erklärung zu intensivieren.