Welterbe in Deutschland
Niedergermanischer Limes: nasse Grenze von Rheinland-Pfalz bis zur Nordsee
Über 400 Kilometer erstreckte sich die Grenze zwischen der römischen Provinz Niedergermanien und dem freien Germanien. Ein durchgehendes Bauwerk errichteten die Römer dafür nicht – der Rhein erfüllte den Zweck viel besser. Das neue Welterbe „Niedergermanischer Limes“ setzt sich aus 44 Bestandteilen von Rheinland-Pfalz bis ins niederländische Katwijk zusammen. Sie erzählen von mehr als 400 Jahren römischer Entwicklung im Norden des einstigen Imperiums.
Hühner laufen gackernd über den Hof, Pferde schnauben, ein Trecker parkt vor der Mauer. Erst auf den zweiten Blick fällt auf, dass dies kein gewöhnlicher Landwirtschaftsbetrieb ist. Der Grundriss des Hofs ist exakt quadratisch, Teile der Außenmauer stammen aus der Spätantike, in einer Ecke steht der Nachbau eines römischen Backofens. Einst stand hier nahe der Kleinstadt Monheim eines von zahlreichen römischen Kastellen, mit denen die Römer den Niedergermanischen Limes sicherten. Heute bewahrt das Museum Haus Bürgel im Besitz der NRW-Stiftung das historische Erbe. Auf einer Bank sitzt Harald Hartmann und erzählt, wie er Schulklassen die Geschichte des römischen Reichs nahebringt. Der 80-Jährige engagiert sich ehrenamtlich im Museum und hat es sich zum Ziel gemacht, bei Kindern und Jugendlichen Aha-Effekte hervorzurufen. „Die meisten kennen die Römer nur von Asterix und Obelix“, sagt Hartmann. Er verkleidet sich deshalb als Römer, baut mit den Kindern Sonnenuhren, lässt sie auf römische Weise Mehl mahlen und auf Rallyes das Museum erkunden. „Für viele ist zum Beispiel überraschend, dass hier vermutlich Germanen stationiert waren, die für die Römer gearbeitet haben“, sagt Hartmann.
Das 64 mal 64 Meter große Kastell ist eine Besonderheit am Niedergermanischen Limes. „Der Mauerkern ist bis zu vier Meter hoch erhalten. Meist sind solche Mauern in nachrömischer Zeit abgetragen und als Baumaterial genutzt worden,“ erklärt Jens Wegmann vom Amt für Bodendenkmalpflege des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR). Dass das in Haus Bürgel nicht geschehen sei, läge an der langjährigen landwirtschaftlichen Nutzung, meint Wegmann. Vom „großen Bruder“ des Kastells – dem Legionslager Divitia in Köln – sind nur noch Reste der Grundmauern in einem Keller zu sehen.
Und noch eine Eigenschaft macht Haus Bürgel außergewöhnlich: Das Kastell liegt heute auf der rechten Rheinseite, die zu erobern Rom nie dauerhaft geglückt ist. Verantwortlich für die heutige Lage waren Hochwasser in früheren Jahrhunderten, in deren Folge der Rhein seinen Verlauf geändert hat – wie auch an vielen anderen Stellen am Niederrhein.
Forschungsquelle Grabsteine
Am südlichen Ende des Niedergermanischen Limes indes fließt der Rhein wie in römischer Zeit. Rund 30 Kilometer nördlich von Koblenz verlief damals die Grenze zwischen den Provinzen Ober- und Niedergermanien. Das Rheintal schneidet hier tief ein in die Ausläufer des Mittelgebirges. „Die Topografie bot den Römern strategische Vorteile“, erklärt Jennifer Schamper von der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz (GDKE). „Die erhöhte Lage ermöglichte einen weiten Blick nach Osten und Westen. Außerdem war man gut vor Hochwasser geschützt.“
„Rigomagus“ hieß das südlichste Kastell am Niedergermanischen Limes. Es war namensgebend für den Ort Remagen und bestand vom Anfang des 1. bis zum 5. Jahrhundert. Heute liegt der Remagener Rathausplatz mit seinen Cafés und Springbrunnen unmittelbar vor den – nicht mehr vorhandenen – Toren des Hilfstruppenlagers. „Man kann im Stadtbild gut nachvollziehen, wo das Kastell stand“, sagt Schamper. Zudem zog sich eine Zivilsiedlung um das Kastell. „Die Frauen und Kinder der Soldaten durften nicht im Kastell leben. Außerdem gab es in der Zivilsiedlung viele Handwerker. Am römischen Militär ließ sich viel Geld verdienen“, erklärt Schamper. Mauerreste des Kastells sind im Keller des römischen Museums zu sehen. Die Fundamente des einstigen Stabsgebäudes – den Principia – wurden 1904 zufällig bei einer Renovierung entdeckt. Wenige Jahre später brachten Bauarbeiten einige Häuser weiter die Reste einer römischen Heizanlage ans Licht. Außerdem sind um die Zivilsiedlung mehrere Gräberfelder bekannt – Grabbeigaben und -inschriften gehören zu den ergiebigsten Quellen, um mehr über die Soldaten zu erfahren, die in Rigomagus Dienst taten.
Ein Highlight der Sammlung im römischen Museum ist die Kopie eines in Remagen gefundenen Soldatengrabsteins. „Er hieß Dasmenus und kam aus dem heutigen Serbien. Daher wissen wir, woher die Soldaten stammten, die hier stationiert waren“, erklärt Schamper. Einige Grabbeigaben sind sehr individuell – so etwa eine Zusammenstellung aus Spielsteinen, einem Würfel und einer Statuette der Glücksgöttin Fortuna. „Wir nennen es das Zockergrab“, erzählt Schamper lachend. Welche römischen Schätze noch in Remagen im Boden liegen, weiß niemand ganz genau. Aber die Chance, bei Bauarbeiten auf antike Überreste zu stoßen, ist so hoch, dass bei Bauvorhaben immer die Landesarchäologie im Boot ist, um mögliche Funde zu sichern.
Die meisten Spuren des Limes liegen unter der Erde
Nordrhein-Westfalens Limes-Koordinator Steve Bödecker vom LVR-Amt für Bodendenkmalpflege steht auf dem Fürstenberg bei Xanten zwischen den Getreidefeldern. Gelegentlich schlendern Ausflügler durch die sattgrüne Landschaft. Nichts deutet auf die römischen Bauwerke hin, die hier im Boden liegen – Reste des Legionslagers Vetera Castra. Dass viele Spuren des römischen Lebens am Niedergermanischen Limes unter der Erde liegen, ist für Bödecker kein Problem – im Gegenteil: „Bodendenkmäler sind gut geschützt. Wir können sie nicht ausgraben, ohne etwas zu zerstören. Deshalb erforschen wir sie mit anderen Methoden, zum Beispiel Geomagnetik.“ Das große Bild, das Bödecker in der Hand hält, sieht auf den ersten Blick aus wie eine Luftaufnahme des Fürstenbergs – nur zeigt es anstelle der Felder graue Strukturen. Es handelt sich um ein Magnetogramm, aufgenommen mit einem Spezialgerät, und offenbart kundigen Augen, welche Bauwerke im Boden liegen. „Dunkle Strukturen weisen auf Gräben hin, weiße auf Mauern“, erklärt Bödecker. „Man kann zum Beispiel die Umwehrung erkennen, Mannschaftsbaracken und die Exerzieranlage.“
Teilstätten des Welterbes Niedergermanischer Limes
Rekonstruktion macht das römische Erbe lebendig
Auch im LVR-Archäologischen Park Xanten (APX) liegen die römischen Überreste gut geschützt im Boden. Trotzdem hat der Park einen Weg gefunden, Besucherinnen und Besuchern das römische Leben am Niederrhein nahezubringen. Der APX liegt auf dem Gebiet der ehemaligen römischen Stadt Colonia Ulpia Traiana – nach Köln und Trier die drittgrößte römische Stadt nördlich der Alpen. Der Park rekonstruiert die Bauwerke, deren Überreste im Boden liegen, so originalgetreu wie möglich. Auch wenn der APX mit seinen weiten Grasflächen wohl nicht die belebte Atmosphäre der von 10.000 Menschen besiedelten „CUT“ wiedergibt – die aufwendigen Rekonstruktionen machen es leicht, eine Vision des römischen Alltags zu entwickeln.
Weithin sichtbar sind etwa die imposanten Säulen des 27 Meter hohen Hafentempels. „Wahrscheinlich war das das erste, was man vom Rhein aus sehen konnte“, sagt Sebastian Held vom APX. Die Fundamente des echten Tempels liegen geschützt unter dem Sockel der Rekonstruktion. Viel Forschungsarbeit steckt auch in der Gestaltung der Wohn- und Handwerkerhäuser – etwa in dem gewaltigen Webstuhl in der Weberei. Er ist mit schwarzen Kettfäden bespannt, die am Boden mit Gewichten beschwert sind. Der Anfang eines rot-weiß gestreiften Webstücks ist bereits zu sehen. „Zwei Kolleginnen forschen dazu und weben hier selbst“, sagt Held. „Sie haben archäologische Funde ausgewertet, zum Beispiel zur Fadenstärke und zur Herstellung der Farben.“ Eine Werkstatt nebenan zeigt einen gut gefüllten Werkzeugschrank – hier diente als Quelle der Grabstein eines römischen Handwerkers.
Unübersehbar ist der wuchtige Museumsbau mit einem verwinkelten Anbau aus Stahl, Glas und roten Dächern. Darunter liegen die freigelegten Fundamente einer riesigen Thermenanlage. Acht verschiedene Wasserbecken sind zu erkennen – von den kalten Frigidarien bis hin zum heißen Caldarium. „Die Thermen waren das Wellness-Zentrum der Colonia“, sagt Martin Müller, Leiter des APX. Wie edel der Ort zu römischer Zeit aussah, zeigt ein großes Modell unter Glas: Die Wände waren kunstvoll bemalt, die Böden aus schwarzweißen Mosaiken gelegt.
Ein weiteres Vorzeigeprojekt im APX ist der Schiffbau. In seiner Holzwerkstatt baut der Holzschiffbauer Kees Sars römische Schiffe nach: ein Fischerboot etwa, ein Patrouillenboot mit bunten Schilden, ein Flachbodenschiff, dessen Vorbild vermutlich als Rheinfähre diente. Bei Probefahrten haben sie bereits ihre Praxistauglichkeit unter Beweis gestellt. In Zukunft soll es auch museumspädagogische Schiffsfahrten für Besucherinnen und Besucher geben.
Dass der Niedergermanische Limes auf diese Weise bis heute Menschen zusammenbringt und begeistert, findet man im Park nur angemessen. „Der Limes war zwar eine Grenze, aber sehr durchlässig für Menschen, Waren und Ideen“, sagt Held. „Das Welterbe trägt dazu bei, dass er heute wieder Menschen verbindet.“