Welterbe in Deutschland

Wasser marsch! Das Augsburger Wassermanagement-System ist Welterbe

Im Juli 2019 wurde das weltweit einzigartige Wassermanagement-System von Augsburg zum UNESCO-Welterbe ernannt. Was am Augsburger System so besonders ist, verraten Expertinnen und Experten aus der Stadt.

Wer nach Augsburg kommt, sieht schnell: Wasser spielt in dieser Stadt eine besondere Rolle. „Mich fasziniert besonders die Vielfältigkeit. Wir haben hier zum Beispiel wunderschöne Brunnen, Wassertürme und das von kleinen Kanälen durchzogene Gassengewirr. Diese Elemente sind nicht nur schön zum Anschauen, sondern zeigen uns, dass in Augsburg alles irgendwie mit dem Wasser zusammenhängt“, sagt Elisabeth Retsch, Gästeführerin der Stadt Augsburg. Seit Juli 2019 ist das einzigartige historische Wassermanagement-System in Augsburg Welterbe.

Eine wasserreiche und durch Wasser reiche Stadt

„Wenn wir in die Geschichte unserer Stadt eintauchen, verstehen wir, welch ein Luxus Trinkwasser ist und wie bequem wir es heute haben“, so die Gästeführerin Retsch, die seit über 15 Jahren Stadtführungen zum Thema Wasser in Augsburg anbietet. Bereits im Mittelalter begannen die Bürgerinnen und Bürger, das Wasser aus den Flüssen Lech und Wertach sowie aus Quellen gezielt in die Stadt zu leiten. In den folgenden Jahrhunderten entstanden ein kluges Kanalsystem sowie Bauwerke und neue Techniken, um die gesamte Stadt effizient mit Trink- und Brauchwasser zu versorgen. So gelangte Augsburg zu Wohlstand und setzte auch neue Hygiene-Standards.

Insgesamt 22 Objekte der Technik, Industriearchäologie, Architektur und bildenden Kunst aus über 2000 Jahren Stadtgeschichte zählen zu der neuen Welterbestätte. Dazu gehören mittelalterliche Kanäle und Wasserwerke aus der frühen Neuzeit und drei Renaissance-Brunnen ebenso wie die Kanustrecke am Eiskanal. Er wurde für die Olympischen Spiele 1972 errichtet und dient bis heute Kanuten als Trainingsstätte. 530 kleine und große Brücken führen über Bäche und Kanäle der Stadt – damit zählt Augsburg mehr Brücken als Venedig.

Elisabeth Retsch, Gästeführerin in Augsburg, im Interview

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Meilensteine in der Trinkwasserversorgung und Wasserkraft

Augsburg wurde vor mehr als 2.000 Jahren zwischen den beiden Flüssen Wertach und Lech gegründet, die im Norden der Stadt zusammenfließen. Bereits in den ersten Jahrhunderten nach Christus nutzten die Römer das natürliche Gefälle der zwei Ströme. Später legten die Menschen Kanäle des Lechs an, über die sie etwa Waren in die Altstadt transportierten. Das bekannte Wassersystem wird in den Stadtbüchern erstmals 1276 erwähnt. Siebzig Jahre später entstand die erste Stauanlage der Stadt, das Stauwehr am Hochablass.

Das Wasserwerk am Roten Tor ist das älteste bestehende Wasserwerk in Deutschland und wahrscheinlich in ganz Mitteleuropa. Ab 1416 versorgte es die Menschen in der Stadt mit Trinkwasser aus den Bächen des Stadtwaldes. Ingenieure entwickelten dazu eine zu jener Zeit äußerst fortschrittliche Hydraulik-Methode, um mittels Wasserrädern und Hubkolbenpumpen das „blaue Gold“ in Wassertürme und von dort aus mit dem nötigen Druck weiter in die Oberstadt zu leiten. Das Wissen um die Kunst der Wasserhebung, das im Wasserwerk angewandt wurde, brachten Augsburger Konstrukteure besonders im 16. Jahrhundert in vielen Städten zum Einsatz, so in München, Brüssel und Wien. Als wahrscheinlich erste Stadt überhaupt trennte Augsburg seit mindestens 1545 Trinkwasser von Brauchwasser. Aus hygienischen Gründen wurde auch Wasser vom Lech für die Stadtmetzgerei genutzt, um frisches Fleisch zu kühlen und Abfälle zu entsorgen. 

Das Wassersystem entwickelte sich über die Jahrhunderte weiter und machte Augsburg zu einer Keimzelle der Industrialisierung. Die Trinkwasserversorgung erreichte mit dem Wasserwerk am Hochablass neue Standards; dank der nunmehr mit Turbinen betriebenen Kraftwerke florierte die Papier- und Textilindustrie. Augsburg wurde zu einer blühenden Industrie- und Großstadt. „Die technologischen Pionierleistungen in der Nutzung von Wasser bescherten der Stadt Augsburg über die Jahrhunderte hinweg Reichtum und Wohlergehen“, erklärt Thomas Weitzel, Leiter des Kulturreferats Augsburg. „Unser Erbe macht deutlich, wie Mensch und Gesellschaft von Wasserkraft profitieren können und wie wichtig sauberes Trinkwasser für die Gesundheit ist. Wasser ist eine wertvolle Quelle, mit der wir ressourcengerecht umgehen müssen – damals wie heute.“

Lebendiges Wasser – lebendiges Welterbe

Das Wassermanagement-System von Augsburg ist weltweit einzigartig und steht für Fortschritt, Ästhetik und Nachhaltigkeit. Mit der Auszeichnung als Welterbe würdigt die UNESCO seinen außergewöhnlichen universellen Wert, den es zu schützen und zu vermitteln gilt. „Wir möchten unsere Welterbestätte und das Thema Wasser verschiedenen Zielgruppen nahebringen“, betont Antonia Hager, Welterbe-Beauftragte der Stadt Augsburg. „Derzeit richten wir einen zentralen Infopoint in der Stadt ein. Wir veranstalten Vorträge und andere Events. In Schulen ist das Wassermanagement-System Unterrichtsthema, auch an der Universität und der Hochschule wird es integriert. Und natürlich haben wir verschiedene Einrichtungen, wo man die Wassergeschichte ganz praktisch anschauen und verstehen kann – etwa das tolle Technikmuseum am Hochablass.“ Hier können Besucherinnen und Besucher alte Pumpen, Schwungräder und Druckwindkessel nicht nur in Betrieb sehen, sondern hören und sogar riechen. So wird die Wassernutzung früherer Tage erlebbar. „Wenn die Räder laufen oder wenn man an den Kanälen in der Altstadt entlang schlendert, spürt man: Wasser ist etwas Lebendiges“, sagt Antonia Hager. „Und somit ist auch unser Welterbe lebendig.“

Antonia Hager, Welterbe-Beauftragte der Stadt Augsburg, im Interview

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