Zwischenstaatlicher Ausschuss Immaterielles Kulturerbe
Neu auf den weltweiten UNESCO-Listen 2021
Der Zwischenstaatliche UNESCO-Ausschuss für Immaterielles Kulturerbe tagte 2021 vom 13. bis 18. Dezember in Paris. Der Ausschuss berät unter anderem darüber, welche Kulturformen und Modellprogramme in die internationalen UNESCO-Listen des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen werden. In diesem Jahr wurden 47 Anträge in die Listen aufgenommen.
Repräsentative Liste des Immateriellen Kulturerbes
Die Repräsentative Liste des Immateriellen Kulturerbes der Menschheit zeigt beispielhaft die weltweite Vielfalt des Immateriellen Kulturerbes. Auf seiner 16. Sitzung hat der UNESCO-Ausschuss die folgenden Kulturformen aufgenommen:
Fjiri (Bahrain)
Fjiri ist eine musikalische Darbietungsform und eng mit dem Perlentauchen in Bahrain verbunden. Sie wurde seit dem späten 19. Jahrhundert praktiziert, um Beharrlichkeit, Kraft und Einfallsreichtum auszudrücken – jene Eigenschaften, die für die Herausforderungen auf See am wichtigsten waren. Beim Fjiri sitzen die Singenden in einem Kreis und spielen verschiedene Arten von Trommeln, Fingerspiele und den Jahl, einen Tontopf, der zum Klangkörper umfunktioniert wird. Im Inneren des Kreises befinden sich die Tanzenden. Obgleich es Fjiri ursprünglich nur auf der Insel Muharraq gab, erreicht diese, unter anderem durch Festivals verbreitete Tradition, heute ein breites Publikum in allen Regionen Bahrains.
Namurs Stelzenturniere (Belgien)
Die Stelzenturniere in der belgischen Stadt Namur haben ihren Ursprung im 15. Jahrhundert. Während der Wettkämpfe treten zwei Mannschaften gegeneinander an, die versuchen sich gegenseitig zu Boden zu werfen. Die Mélans, die die Altstadt Namurs vertreten, kämpfen auf gelben und schwarzen Stelzen, während die Avresse für die Neustadt sowie die umliegenden Dörfer mit roten und weißen Stelzen antreten. Jede Begegnung beginnt mit dem feierlichen Einmarsch beider Mannschaften. Gespielt wird in der Regel anlässlich von Festen auf Straßen und Plätzen. Die Teilnehmenden sind zwischen sieben und 70 Jahren alt, wobei seit 2018 auch Frauen und Mädchen offiziell trainiert werden.
Großfest von Tarija (Bolivien)
Zu Ehren des Heiligen Rochus finden im bolivianischen Tarija jedes Jahr im August und September zahlreiche Paraden, Musikfestivals, Wettbewerbe und Feuerwerke statt. Die Ursprünge dieses Großfestes sind in der Kolonialzeit zu finden, als die Bevölkerung den Heiligen anrief, um Krankheiten zu heilen und ihre Liebsten zu beschützen. Von religiösen Familien und den katholischen Gemeinden gepflegt, ist das Großfest von Tarija immens gewachsen. Die Einwohnerinnen und Einwohner schmücken ihre Straßen aufwendig für lange, feierliche Prozessionen, Wallfahrende führen Konzerte und Tanzdarbietungen auf. Traditionelles Kunsthandwerk und regionale Speisen ergänzen das Angebot.
Visoko, der mehrteilige Gesang in Dolen und Satovcha (Bulgarien)
Visoko ist eine Gesangsform in den Dörfern Dolen und Satovcha der Region Blagoevgrad in Bulgarien. Grundsätzlich von zwei Parteien gesungen, unterscheiden sich tiefer, hoher und gemischter Visoko-Gesang. Im Gegensatz zur durchgehend gesungenen tiefen Form werden in der hohen Form wiederholt Rufe ausgestoßen, die eine Oktave über dem Grundton liegen. Diesen Ausrufen folgen ein Abwärtsschleifen und ein rezitativartiges Aufsagen des Liedtextes in tiefen Registern. Der gemischte Visoko, von vier Parteien gesungen, vereint hohe und tiefe Form. In den Texten wird typischerweise die Natur beschworen, weshalb diese Sommerlieder auch häufig bei der Feldarbeit gesungen wurden. Eine Gruppe begann den Visoko von ihrem Feld aus und erhielt Antwort von der zweiten Gruppe auf dem Nachbarfeld. Vor allem dieser hohe Visoko blieb ein Schlüsselelement für die Identität Dolens und Satovchas. Heute gibt es spezielle Singgruppen in den beiden Dörfern.
Kongolesische Rumba (Demokratische Republik Kongo und Republik Kongo)
Die Kongolesische Rumba ist eine in den urbanen Räumen der Kongo-Republiken verbreitete Musik- und Paartanzgattung. Sie geht auf einen alten Tanz namens „nkumba“ zurück, was auf Kikongo „Hüfte“ bedeutet. Die Rumba wird sowohl zu Fest- als auch Traueranlässen aufgeführt. Jüngere Generationen lernen sie unter anderem in Klubs und Tanzschulen kennen. Heute spielt die Rumba nicht nur eine identitätsstiftenden, sondern zunehmend auch wirtschaftliche Rolle, da die Orchesterszene stetig wächst.
Trommeltanz und -gesang der Inuit (Dänemark / Grönland)
Trommeltanz und Trommelgesang sind künstlerische Ausdrucksformen der Inuit in Grönland. Zu festlichen Anlässen und gesellschaftlichen Veranstaltungen aufgeführt, wird während des Tanzes die Trommel, die sogenannte „gilaat“, in verschiedene Richtungen gehoben und gesenkt. Dabei versetzt ein Knochen- oder Holzschlägel ihrem Rahmen rhythmische Stöße. Der begleitende Gesang ist eine lyrische Erzählung. Sie handelt häufig von Liebe, Sehnsucht, Humor und Jagd sowie anderen alltäglichen Dingen. Für die Inuit stehen Trommeltanz und -gesang symbolisch für Gleichheit und Solidarität, denn sie sind Allgemeingut und allen Menschen unabhängig von Alter, Geschlecht, sozialem Status oder ihren politischen Ansichten zugänglich.
Nordische Klinkerboot-Traditionen (Dänemark, Finnland, Island, Norwegen, Schweden)
Klinkerboote sind schmale, offene Holzboote mit einer Länge von fünf bis zehn Metern. Seit fast zweitausend Jahren werden die Boote mit den gleichen Grundtechniken gebaut: Dünne Bohlen werden entlang des Kiels befestigt und überlappend durch Metallnieten, Holznägel oder Seile miteinander verbunden. Der Rumpf des Bootes ist mit einem Rahmengestell verstärkt. Um sich die nötigen Kenntnisse und Fertigkeiten für diese traditionelle Form des Bootsbaus anzueignen, sind bis zu zehn Jahre nötig. Ursprünglich für Fischfang und Transport genutzt, sind Klinkerboote als Symbol des gemeinsamen nordischen Küstenerbes heute vor allem bei Festen, Regatten und Sportveranstaltungen zu finden.
Pasillo: Tanz und Poesie (Ecuador)
Der Pasillo, was wörtlich „kleiner Schritt“ bedeutet, ist eine Musik- und Tanzart, die im 19. Jahrhundert in Ecuador während der südamerikanischen Unabhängigkeitskriege entstand. Sie verschmilzt Elemente indigener Musik, wie des Yaraví, mit vielen anderen Genres, darunter dem Walzer, dem Menuett und dem spanischen Bolero. Ein Paar tanzt den Pasillo in kurzen Schritten, meist begleitet von Gitarren. Aufgeführt wird der Pasillo vorrangig in Ballsälen, bei öffentlichen Zeremonien, auf Festivals, in Radio- und Fernsehprogrammen sowie bei Konzerten. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um ein vertontes Gedicht mit Texten über Liebe, Trauer, Tod, Familie, Heimat und das alltägliche Leben der Menschen.
Das Geigenspiel in Kaustinen (Finnland)
In der traditionellen Volksmusik, die im finnischen Kaustinen und seiner Umgebung beheimatet ist, ist die Geige das bestimmende Instrument. Hauptsächlich nach Gehör gespielt, zeichnet sich ihr Spiel durch Rhythmen aus, die leicht zu tanzen sind. Stil und Technik existieren seit mehr als 250 Jahren. Es gibt ein Repertoire von mehreren Hundert Melodien, die privat, aber auch bei öffentlichen Festen und Zeremonien, bei Konzerten und Jam-Sessions sowie beim jährlichen Volksmusikfestival in Kaustinen gespielt werden. Die Bedeutung der Musik spiegelt sich auch in vielen Straßennamen und dem Wappen des Ortes, das eine Geige ziert.
Falknerei: Erweiterung der bereits bestehenden Eintragung (Belgien, Deutschland, Frankreich, Irland, Italien, Kasachstan, Katar, Kirgisistan, Kroatien, Mongolei, Marokko, Niederlande, Österreich, Pakistan, Polen, Portugal, Saudi-Arabien, Slowakei, Spanien, Republik Korea (Südkorea), Syrien, Tschechien, Ungarn, Vereinigte Arabische Emirate)
Der Ursprungsgedanke der Falknerei war die Beschaffung von Nahrung für den Menschen durch Greifvögel. Über die Zeit entwickelte sich die Praktik weiter und umfasst nunmehr auch Aspekte des Tier-, Umwelt- und Naturschutzes. Durch Zucht und Training entsteht eine enge Bindung zwischen den Falknerinnen, Falknern und den Greifvögeln. Die Kulturform der Falknerei findet sich in vielen Ländern weltweit. Es existieren lokale Variationen, die grundlegenden Praktiken aber sind über die 3500-jährige Tradition relativ konstant geblieben. Die Weitergabe des Wissens und Könnens erfolgt innerhalb von Familien oder durch Ausbildungen in Vereinen und Schulen.
Joumou: traditionelle Kürbissuppe (Haiti)
Joumou ist eine traditionelle haitianische Kürbissuppe, die mit Gemüse, Kochbananen, Fleisch, Nudeln und Gewürzen zubereitet wird. Sie ist ein tief in der haitianischen Identität verwurzeltes, festliches Gericht. Ihre Zubereitung fördert den sozialen Zusammenhalt und die Zugehörigkeit zwischen den Gemeinschaften. Ursprünglich war die Suppe den Sklavenhaltern vorbehalten, doch mit der Unabhängigkeit von Frankreich machte die Bevölkerung Haitis sie zu einem Symbol ihrer neu errungenen Freiheit und zu einem Ausdruck ihrer Würde und Widerstandsfähigkeit. Sie wird aus Giraumon zubereitet, einer Kürbissorte, die einst von der indigenen Bevölkerung der Karibik angebaut wurde, und am 1. Januar – dem Unabhängigkeitstag Haitis – als erste Mahlzeit des Jahres verzehrt. Sie ist zudem ein traditionelles Sonntagsfrühstück. Die Zubereitung der Joumou-Suppe ist eine Familien- und Gemeinschaftsangelegenheit.
Durga Puja in Kolkata (Indien)
Durga Puja, die zehntägige Anbetung der Hindu-Muttergöttin Durga, wird jedes Jahr im September oder Oktober gefeiert. Vor dem Fest formen Kunsthandwerkerinnen und Kunsthandwerker Bildnisse von Durga und ihrer Familie aus ungebranntem Ton aus dem Fluss Ganges. Am Eröffnungstag Mahalaya werden die Tonfiguren mit gemalte Augen verziert, damit die Götterfamilie zum Leben erwacht, bevor sie am letzten Tag wieder im Fluss versenkt werden. Aus dieser Tradition heraus bedeutet Durga Puja für viele Menschen in Indien auch „Heimkehr“ beziehungsweise die Rückkehr zu den eigenen Wurzeln. Das Fest gilt mit seinen groß angelegten Installationen, Pavillons, seinem Trommelspiel und der Verehrung Durgas als fruchtbarer Boden für Kunst und Design.
Gamelan (Indonesien)
Bereits in Reliefskulpturen des Borobudur-Tempels aus dem 8. Jahrhundert abgebildet, bezeichnet Gamelan das traditionelle indonesische Schlagzeugorchester. Es besteht hauptsächlich aus kunstvoll handgeschmiedeten Metallschlaginstrumenten wie Xylophonen, Gongs, Gong-Glockenspielen, Trommeln, Becken, aber auch aus Streichinstrumenten und Bambusflöten. Gamelan-Musik folgt präzisen Regeln in Bezug auf Stimmung, Ausgestaltung, metrische Muster und Spieltechnik. Beispielsweise wird die Melodie von mehreren Instrumenten gleichzeitig gespielt. Auch ein Rhythmus kann durch das Einzelspiel mehrerer Instrumente zusammengefügt werden. Menschen aller Altersgruppen spielen Gamelan, typischerweise bei religiösen Zeremonien, traditionellen Schauspielen, Festivals und Konzerten. Gamelan wird auch in der Musiktherapie eingesetzt.
Traditionelle Handwerkskunst des Al-Naoor (Irak)
Al-Naoor ist ein Wasserschöpfrad aus Holz, das an den Flussarmen des Euphrat eingesetzt wird, wo der Wasserstand deutlich niedriger ist als die angrenzenden Felder. Das Rad besteht aus vierundzwanzig Holzspeichen und Tonkrügen, die mit Palmblattseilen am äußeren Rand befestigt sind. Das Rad mit einem Durchmesser von acht bis zwölf Metern ist vertikal zwischen zwei steinernen Sockeln am Flussufer angebracht. Indem die Strömung das Rad dreht, sammeln die Krüge das Wasser aus dem Fluss, tragen es zur Spitze des Rades und gießen es dort in die Wasserwege, die zu den Feldern führen. Der Einbau eines Al-Naoor wird von Festen mit traditionellen Gedichten, Gesängen und Tänzen begleitet. In jüngerer Zeit wird das Al-Naoor-Rad zur Stromerzeugung und zum Betrieb von Kornmühlen genutzt. Nicht zuletzt für diejenigen, die an seiner Herstellung beteiligt sind, ist Al-Naoor eine wichtige Lebensgrundlage.
Trüffeljagd und -gewinnung in Italien, Wissen und Praxis (Italien)
Wissen und Techniken zur Trüffelsuche werden in Italien seit Jahrhunderten mündlich überliefert, vor allem über Geschichten, Fabeln, Anekdoten und Redewendungen. Bis heute prägen sie das Leben vieler ländlicher Gemeinden, in denen häufig noch Volksfeste zu Beginn und Ende der Saison gefeiert werden. Die Trüffelsuche selbst besteht aus zwei Schritten: der Jagd und der Gewinnung. Die Jagd meint das Identifizieren von Wachstumsgebieten der Trüffel, wozu ein entsprechend trainierter Hund dient. Für die darauffolgende Gewinnung wird ein spezieller Spaten genutzt, der den Boden schont. Die traditionellen Jagdpraktiken gewährleisten die saisonale Regeneration der Trüffelarten. Sie erfordern ein breites Spektrum an Fähigkeiten und Kenntnissen über Klima, Vegetation, die Bewirtschaftung natürlicher Ökosysteme und das Trainieren der Hunde.
Kabary, die Redekunst Madagaskars (Madagaskar)
Die Kabary ist eine poetisierte Rede in Madagaskar, die vor Publikum gehalten wird. Sie ist stark formalisiert und besteht aus Redewendungen, Sinnsprüchen, rhetorischen Figuren und Wortspielen. Der rituelle Stil der Rede wurde ursprünglich von Gemeindeoberhäuptern verwendet, um über soziale und administrative Angelegenheiten zu informieren. Im Laufe der Zeit verband sich die Kabary untrennbar mit dem gesellschaftlichen Leben Madagaskars. Heute wird sie bei Festen, Beerdigungen, offiziellen Zeremonien und Veranstaltungen vorgetragen. In der Praxis finden madegassische Kabary als Dialog statt, bei dem meist zwei Redende oder „mpikabary“ gemeinsam vor einer Versammlung auftreten. Obwohl traditionell von älteren, sozial hochgestellten Männern vorgetragen, wird die Kabary heute zunehmend von Frauen und jüngeren Männern gehalten.
Songket (Malaysia)
Songket ist ein malaysisches Schmucktuch, in das Gold- oder Silberfäden eingewoben werden. Dadurch scheint das Metall vor seinem farbigen Hintergrund zu schweben. Gewoben wird Songket auf einem sogenannten „kek“, einem traditionellen Bodenwebstuhl mit zwei Pedalen. Monatelang arbeiten hochqualifizierte Webende an einem einzigen Tuchballen. Die Technik datiert aus dem 16. Jahrhundert und wird seitdem von Generation zu Generation weitergegeben. Der jeweilige Stil kann anhand der Muster identifiziert werden, die geometrische Formen und organische Elemente abbilden, so zum Beispiel Blumen, Vögel und Insekten. Ursprünglich war das Songket den Königsfamilien vorbehalten. Heute wird es in ganz Malaysia zu Hochzeiten, Geburten und anderen festlichen Anlässen getragen.
L-Ghana, eine maltesische Volksliedtradition (Malta)
Ghana (gesprochen „ana“) beschreibt drei verwandte Arten gereimter maltesischer Volkslieder. Die beliebteste ist die „schlagfertige“ Ghana, ein improvisiertes Duell zwischen einem oder zwei Gesangspaaren, das sich auf Reime, überzeugende Argumentation und vor allem – wie der Name schon sagt – auf Schlagfertigkeit konzentriert. Die zweite Art, die „faktische“ Ghana, ist eine lange Ballade. Eine einzelne Person trägt sie in der Regel auswendig vor, um wichtige Ereignisse im kollektiven Gedächtnis zu bewahren. Die „Bormla“-Ghana schließlich hat einfache Texte, die mit einem großen Tonumfang und melismatisch (eine Silbe auf mehrere Töne) gesungen werden. Ghana-Sessions finden das ganze Jahr über in öffentlichen und privaten Räumen sowie bei Open-Air-Festivals statt.
Kulturerbe der Boka-Marine Kotors: festliche Darstellung von Erinnerung und kultureller Identität (Montenegro)
Die Boka-Marine ist eine nichtstaatliche Seeschifffahrtsorganisation, die im Jahr 809 in der Hafenstadt Kotor gegründet wurde. Bestehend aus Seeleuten mit militärischen, wirtschaftlichen, erzieherischen und humanitären Aufgaben, hat sie ihren Ursprung in der Ankunft der Reliquien des Heiligen Tryphon, des Schutzpatrons der Stadt. Während der letzten 200 Jahre erinnerte die Boka-Marine vorrangig eine an maritime Geschichte und Tradition. Sie steht Männern, Frauen und Kindern jedes Alters offen und tritt aktiv für die Achtung der Menschenrechte sowie der religiösen und kulturellen Vielfalt ein. Bei feierlichen Anlässen wie dem Sankt-Tryphon-Fest tragen ihre Mitglieder farbenfrohe Uniformen, historische Waffen und führen den traditionellen Kolo-Tanz auf.
Tbourida (Marokko)
Die Tbourida ist eine marokkanische Reitübung aus dem 16. Jahrhundert. In arabisch-berberischer Tradition simuliert eine Eskadron, bestehend aus einer ungeraden Anzahl Reitender und Pferde, zwei aufeinanderfolgende Militärparaden. In der „hadda“, dem Salut, trabt die Eskadron in gerader Linie auf die Bahn, vollführt eine akrobatische Waffenübung und kehrt wieder an ihren Ausgangspunkt zurückkehren. Darauf folgt die „talqa“, bei der die Reitenden zum Galopp ansetzen und eine Runde Platzpatronen aus ihren Gewehren abfeuern. Dies symbolisiert den kollektiven Aufbruch in den Krieg. Die Reitenden tragen historische Kleidung, eine kleine Kopie des Korans und alte arabische Schwerter. Zaumzeug und Sättel der Pferde sind auf traditionelle Weise hergestellt und dekoriert.
Korso-Kultur: Blumen- und Fruchtparaden in den Niederlanden (Niederlande)
Der Blumenkorso ist eine jährliche Parade von geschmückten Festwägen oder Booten. Ursprünglich aus Südfrankreich und Italien stammend, verbreitete sich die Tradition in den Niederlanden während des 19. Jahrhunderts. Die Fluss- oder Straßenparaden werden häufig von Musikgruppen und Theateraufführungen begleitet, die auch nachts auf beleuchteten Festwägen stattfinden. Zum Teil ganze Nachbarschaften bereiten monatelang eines der Gefährte vor und dekorieren es in den letzten Tagen vor der Parade mit frischen Blumen, Obst und Gemüse. Die Korsokultur ist mehr als nur Parade und Wettbewerb. Das Gefühl sozialen Zusammenhalts und die gelebte Solidarität sind in der Regel ausschlaggebend für die Teilnahme.
Stickereikunst in Palästina (Palästinensische Gebiete)
Die in den Palästinensischen Gebieten weitverbreitete Kunst ist eine gemeinschaftsbildende und generationenübergreifende Tradition, bei der die Motive mit Seidenfäden auf Wolle, Leinen oder Baumwolle gestickt werden. Die Wahl der Farben und Motive gibt dabei Aufschluss über die regionale Identität sowie den Familien- und Wirtschaftsstand. Die bestickte Kleidung besteht in der Regel aus einem langen Kleid, einer Hose, einer Jacke, einem Kopfschmuck und einem Schleier. Jedes dieser Stücke ist mit einer Vielzahl von Symbolen, darunter Vögel, Bäume und Blumen, bestickt. Auf dem Hauptkleidungsstück, dem locker sitzenden Kleid, „thob“ genannt, sind Brust, Ärmel und Manschetten mit Stickereien überzogen. Bestickte, vertikale Stoffstreifen laufen das Kleid von der Taille abwärts hinunter.
Das Fronleichnamsfest Corpus Christi in Panama (Panama)
Das Fronleichnamsfest Corpus Christi in Panama verbindet katholische Tradition mit volkstümlichen Bräuchen. Es ist geprägt von Schauspiel, Musik, Burlesque-Tänzen sowie farbenfrohen Kostümen und Masken. Einen Tag vor dem Fest zeigt eine Theater- und Musikaufführung den Kampf zwischen Gut und Böse um die menschliche Seele. Bei der folgenden Prozession tanzen die Teilnehmenden einem Priester mit Monstranz nach, in einigen Gemeinden auf einem Teppich aus Blumen. Nach der Prozession feiern die Menschen auf den Straßen und in ihren Häusern, wo Essen und Getränke geteilt werden. Damit das Wissen um diese Traditionen erhalten bleibt, werden Jugendliche bei den aufwendigen Vorbereitungen eng miteinbezogen.
Awajún-Keramik (Peru)
Die indigene Bevölkerungsgruppe der Awajún im Norden Perus betrachtet Keramik als Sinnbild für ihre harmonische Beziehung zur Natur. Der Herstellungsprozess umfasst fünf Schritte: das Sammeln der Materialien, das Modellieren, das Brennen, das Dekorieren und die Endbearbeitung. Jede Phase hat eine übertragene Bedeutung und damit verbundene Werte, die seit Jahrtausenden mündlich überliefert werden. Die Töpfe sind mit geometrischen Mustern dekoriert, die von Pflanzen, Tieren, Bergen und Sternen inspiriert sind. Sie werden zum Kochen, Trinken, Essen und Servieren von Speisen sowie für Rituale und Zeremonien verwendet.
Blumenteppiche für die Fronleichnamsprozessionen (Polen)
Die Tradition der Blumenteppiche in Polen ist eng mit dem Fronleichnamsfest verbunden. Familien fertigen diese Teppiche, um die Straße vor ihren Häusern für die Feiertagsprozession zu schmücken. Die verwendeten Blumen werden von den umliegenden Feldern oder aus Familiengärten gepflückt. Erde, Sand, Baumrinde und frisch geschnittenes Gras können ebenfalls Verwendung finden. Die Vorbereitung dauert mehrere Stunden. Das Endergebnis ist ein kollektives Kunstwerk, in dem sich Kreativität und Wertschätzung für die Schönheit der Natur ausdrücken.
Das Gemeindefest von Campo Maior (Portugal)
Das Gemeindefest von Campo Maior ist eine beliebte Veranstaltung, bei der die Straßen der Stadt mit Millionen von Papierblumen in verschiedenen Formen, Farben und Mustern geschmückt werden. Nach der gemeinschaftlichen Entscheidung über Termin, Konzept und Farbthema arbeiten die verschiedenen Straßenzüge neun Monate lang eigenständig an ihren Dekorationen. Wegen des freundschaftlichen Wettbewerbs zwischen ihnen wird der eigene Schmuck bis zum Vorabend der Feierlichkeiten geheim gehalten. Über Nacht verwandelt sich die Stadt dann in eine farbenfrohe Festmetropole mit offenen Türen und ohne soziale Unterschiede.
Arabische Kalligrafie (Algerien, Ägypten, Bahrain, Irak, Jordanien, Jemen, Kuwait, Libanon, Mauretanien, Marokko, Oman, Palästinensische Gebiete, Saudi-Arabien, Sudan, Tunesien, Vereinigte Arabische Emirate)
Die arabische Kalligrafie verwendet die 28 Buchstaben des arabischen Alphabets kursiv geschrieben von rechts nach links. Sie war ursprünglich dazu gedacht, die Schrift lesbar und verständlich zu machen. Im Laufe der Jahrhunderte entwickelte sie sich zu einer islamisch-arabischen Kunstform. Die fließende Schrift bietet selbst innerhalb eines Wortes viele Gestaltungsmöglichkeiten, da Buchstaben auf mannigfache Weise gestreckt und verformt werden können. Traditionell mit natürlichen Materialien arbeitend, verwendet die moderne Kalligrafie häufig synthetische Farbe oder Sprühfarben, etwa beim Calligraffiti. Im Handwerk und Design wird die arabische Kalligrafie zudem für Marmor- und Holzschnitzereien, Stickereien und Metallradierungen genutzt. Die Kunstform ist auch in nicht-arabischen Ländern weit verbreitet und wird von Menschen jeden Alters praktiziert.
Ceebu jën, eine kulinarische Kunst des Senegal (Senegal)
Ceebu jën ist ein Gericht, das von der senegalesischen Insel Saint-Louis stammt. Obwohl das Rezept von Region zu Region variiert, besteht es in der Regel aus Fischsteak, Reis, getrocknetem Fisch, Meeresfrüchten und saisonalem Gemüse wie Zwiebeln, Petersilie, Knoblauch, Chili, Tomaten, Karotten, Auberginen, Weißkohl, Maniok, Süßkartoffeln, Okraschoten und Lorbeerblättern. Ceebu jën wird zu Veranstaltungen und bei der Bewirtung von Gästen gereicht. Viele Bräuche begleiten das Gericht. So es zum Beispiel verboten, beim Essen mit erhobenem Knie zu sitzen, die Schüssel muss mit der linken Hand gehalten werden und Reiskörner dürfen nicht auf den Boden fallen.
Moutya (Seychellen)
Moutya, ein Feuertanz mit einfacher Choreographie, wurde im frühen 18. Jahrhundert durch versklavte Menschen vom afrikanischen Festland auf die Seychellen gebracht. Als Trost gegen Not und Knechtschaft tanzten sie ihn nachts weit entfernt von den Häusern der französischen Siedler. Begleitet wird Moutya von großen Trommeln mit schmalen Rändern aus Ziegenfell. Ihr Erhitzen über dem Feuer markiert den Beginn des Tanzes. Sobald auf den erwärmten Trommeln die ersten Takte geschlagen werden, gibt es Rufe aus dem Publikum, auf welche die Tänzerinnen mit hohen Stimmen antworten. Männer und Frauen bewegen sich daraufhin in einem moderaten Tempo. Sie kommen sich näher, berühren sich beim Tanz aber nicht. Moutya wird meist spontan sowie bei gesellschaftlichen Zusammenkünften und kulturellen Veranstaltungen getanzt.
Dumbara Rata Kalala: traditionelle Handwerkskunst (Sri Lanka)
Dumbara Rata Kalala sind traditionelle, handgefertigte Matten, die in Sri Lanka als Wandbehang oder Kissenbezüge verwendet werden. Die in den Dörfern Kalasirigama und Alokagama wohnhaften Kinnara fertigten sie zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert für den Königspalast und die herrschenden Eliten an. Heute werden die Ziermatten für Menschen auf der Insel und für Touristen hergestellt. Die für die Matten werden aus Hanfblättern hergestellt, deren Fasern gewaschen, sonnengetrocknet, gekämmt und mit traditionellen Kräutern des Dumbara-Tals eingefärbt werden. Auf dem Webstuhl fügen die Kinnara Schmuckmotive hinzu, indem sie einen mit Faserfäden versehenen schmalen Holzstreifen einer Nadel gleich durch das Material ziehen. Dumbara-Matten sind ein traditionelles Produkt von großer kultureller Bedeutung für Sri Lanka, weshalb das Wissen um ihre Herstellung von Generation zu Generation weitergegeben wird.
Al-Qudoud al-Halabiya (Syrien)
Al-Qudoud al-Halabiya ist eine traditionelle Musikform aus Aleppo mit ursprünglich religiösem Hintergrund. Die Texte variieren je nach Anlass, wobei versierte Singende ihre Texte auch improvisieren können. Begleitet von einem kleinen Ensemble, sind diese Kunstschaffenden bekannt für ihre tiefen Stimmlagen und die Höhepunkte ihrer Darbietung, bei denen sie eine Note lange halten oder eine Phrase scheinbar endlos wiederholen. In diesen Momenten reagiert das Publikum mit dem „tarab“, dem Jubel. Die Zuschauerinnen und Zuschauertanzen tanzen traditionell zur dieser Musik, indem sie ihre Arme ausstrecken und den Oberkörper bewegen. Die Qudoud-Musik ist ein wichtiger Bestandteil der Kultur Aleppos.
Falak (Tadschikistan)
Falak, was Himmel, Vermögen und Universum bedeutet, ist die traditionelle Volksmusik der tadschikischen Bergvölker. Die kann von einer einzelnen Person entweder a cappella, mit einem Begleitinstrument oder mit einem Ensemble und Tanzenden aufgeführt werden. Falak-Lieder handeln meist von Liebe, Schmerz, Leid, Heimat, Trennung und der Hoffnung auf Wiedervereinigung von Eltern und Kind oder zwei Liebenden. Begleitet wird die Falak von traditionellen tadschikischen Schlag- und Streichinstrumenten, darunter Violinen und Flöten. Die eigentlichen Spielleute, die Falakkhons, führen ihre Musik zu Festen und Zeremonien auf. Aber Falak wird auch im Freien bei der Arbeit auf den Feldern oder beim Hüten der Herden in den Bergen gesungen.
Nora: Tanztheater in Südthailand (Thailand)
Nora ist eine akrobatische und mit Improvisationsgesang verbundene Form des Tanztheaters im Süden Thailands. Eine Aufführung beginnt in der Regel mit einer langen mündlichen Anrufung. Dann folgt der Tanz der Hauptfigur mit kräftigen und kunstvollen Bewegungen der Beine, Arme und Finger. Die Handlung basiert meist auf Geschichten über frühere Leben Buddhas oder über legendäre Heldenfiguren. Begleitet wird Nora von schneller Musik, wobei eine traditionelle Oboe die Melodie trägt und die kräftigen Rhythmen von Trommeln, Gongs, Becken und Klanghölzern geschlagen werden. Die Hauptfiguren von Nora tragen farbenfrohe Kostüme mit Kronen oder reichen Kopfbedeckungen, dazu Perlen, um die Hüfte gebundene Flügel, verzierte Schals und Schwanenschwänze, die ihnen ein vogelähnliches Aussehen verleihen.
Hüsn-i Hat, traditionelle Kalligrafie in islamischer Kunst in der Türkei (Türkei)
Der Hüsn-i-hat ist die jahrhundertealte türkische Kunst der Kalligrafie. Ursprünglich nutzte man sie zur Niederschrift des Koran, der Überlieferungen des islamischen Propheten Mohammed und von Poesie. Auch staatliche Korrespondenz sowie Inschriften an öffentlichen und religiösen Gebäuden wurden mit Hüsn-i-hat geschrieben. Noch heute verwendet man sie in sakralen und literarischen Werken, in Moscheen, türkischen Bädern und Tempeln.
Traditionelle Herstellung und Spielweise der Dutar (Turkmenistan)
Die Dutar ist sowohl ein traditionelles Instrument als auch eine Musikform aus Turkmenistan. Das Instrument ist eine langhalsige, zweisaitige Laute mit einem birnenförmigen Körper, der von einem dünnen hölzernen Resonanzboden bedeckt ist. Klangkörper und Resonanzboden sind aus einem Stück Maulbeerholz gefertigt, der Hals aus dem getrockneten Stamm eines Aprikosenbaums. Die Dutar wird in allen Hauptgattungen turkmenischer Musik verwendet. Die Musikform Dutar ist in zwei Typen unterteilt: „dutarchy“, Instrumentalmusik, und „bagshy”, Musik mit Gesang. In Turkmenistan ist die Dutar-Musik ein Bestandteil von Festen, Zeremonien, gesellschaftlichen Zusammenkünften und Unterhaltungsprogrammen.
Örnek, die krimtatarische Schmucksymbolik (Ukraine)
Örnek ist ein Symbolsystem, das in Stickerei, Weberei, Töpferei, Metallgravur, Schmuckherstellung, Holzschnitzerei, Glas- und Wandmalerei verwendet wird. Die Symbole sind jeweils so angeordnet, dass eine sprechende Komposition entsteht. Insgesamt gibt es rund 35 Symbole, jedes mit seinen eigenen Bedeutungen. Eine Rose symbolisiert zum Beispiel eine verheiratete Frau, eine Pappel oder Zypresse symbolisiert einen erwachsenen Mann. Dabei wird die Symbolik gerade der floralen Ornamente immer durch die einzigartige Farbpalette und die jeweils verwendeten Kombinationen verändert oder unterstrichen. So symbolisiert eine Tulpe in einer Rose die Liebe oder Vereinigung eines Mannes und einer Frau. Viele Symbole gelten auch als schützende Zeichen.
Bakhshi-Kunst (Usbekistan)
Epische Dichtungen spielen eine wichtige Rolle im musikalischen und poetischen Erbe Usbekistans. Auf Mythen, Legenden und Volksmärchen basierend, handeln die jahrhundertealten Gedichte meist von Patriotismus, Pflicht, Liebe, Freundschaft und Solidarität. Der Begriff „bakhshi“ bezieht sich dabei auf die Aufführung einer Dichtungen mit musikalischer Begleitung, unter anderem auf der „dombra”, einem Saiten-, und dem „kobuz“, einem Streichinstrument. Die Geschichtenerzähler, auch „bakhshis“ genannt, tragen die Dichtungen auswendig vor. Obwohl die Erzähler traditionell Männer waren, machten sich im 19. Jahrhundert auch Frauen die Tradition zu eigen.
Festzyklus zum Johannistag (Venezuela)
Die Feierlichkeiten zum Johannistag in Venezuela haben ihren Ursprung in den afro-venezolanischen Gemeinden des 17. Jahrhunderts. Obgleich die Tradition von Anfang an stark vom Katholizismus beeinflusst war, zeugt sie noch heute vom kulturellen Erbe aus Subsahara-Afrika. Für die Praktizierenden, die Sanjuaneros genannt werden, sind sie ein Symbol des Widerstands, der Freiheit und zugleich eine Form des Andenkens an ihre versklavten Vorfahren. In vielen Gemeinden beginnen die Festlichkeiten Anfang Mai. Sie sind geprägt vom Trommeln und Tanzen, Geschichtenerzählen und Gesang. Zudem finden ziehen zahlreiche Prozessionen mit Statuen Johannes des Täufers durchs Land, dessen Bildnis am 24. Juni in Flüssen getauft wird. Dabei steigen viele Gläubige selbst ins Wasser, um von ihm gesegnet zu werden. In der Regel endet das Fest am 16. Juli.
Die Kunst des xòe-Tanzes der Tai in Vietnam (Vietnam)
Xòe ist ein Tanz, dessen Bewegungen menschliches Handeln in Religion, Kultur, Leben und Arbeit symbolisieren. Es gibt drei Hauptarten des xòe: Ritual, Kreis und Darstellung. Die rituellen und darstellenden xòe-Tänze sind nach Requisiten benannt, die bei bestimmten Aufführungen verwendet wurden. Zum Beispiel gibt es Schal-xòe, Fächer-xòe oder Blumen-xòe. Obwohl einfach, versinnbildlichen die Tanzbewegungen den Wunsch nach Gesundheit und Harmonie in der Gemeinschaft. Der Tanz wird von verschiedenen Musikinstrumenten begleitet, darunter Trommeln, Gongs und Schilfflöten. Von Generation zu Generation weitergegeben, ist der xòe-Tanz zu einem Symbol der Gastfreundschaft und zu einem wichtigen Identitätsmerkmal für die Tai im Nordwesten Vietnams geworden.
Dringend erhaltungsbedürftiges Immaterielles Kulturerbe
Mit der Liste des dringend erhaltungsbedürftigen Immateriellen Kulturerbes macht die UNESCO auf Wissen und Können aufmerksam, dessen Lebendigkeit bedroht ist. Folgende Kulturformen hat der Zwischenstaatliche Ausschuss 2021 neu in diese Liste aufgenommen:
Bau und Gebrauch des verbreiterten Einbaums in der Soomaa-Region (Estland)
Der verbreiterte estnische Einbaum ist ein kanuähnliches Boot aus der Soomaa-Region. Bootsbauende fertigen ihn gemeinsam aus einem einzigen Stamm, meist dem einer Espe. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts wurde er vorrangig für Transport und Fischfang genutzt und war fester Bestandteil der Alltagskultur. Doch die Einführung moderner und günstigerer Bootstypen sowie ein weitreichendes Straßennetz haben seine Nutzung in Soomaa stark eingeschränkt. Auch der Bevölkerungsrückgang in der Region, die steigenden Preise für geeignete Bäume und nicht zuletzt der nachlassende Wissenstransfer an jüngere Generationen haben dazu geführt, dass heute nur noch fünf Menschen diesen traditionellen Bootsbau praktizieren. In den letzten zehn Jahren fertigten sie lediglich ein bis zwei Einbäume im Jahr.
Kulturelle Praktiken und Ausdrucksformen rund um das Schlaginstrument M'Bolon (Mali)
Das M’Bolon ist ein Musikinstrument aus dem Süden Malis. Sein Klangkörper wird aus einem Flaschenkürbis gefertigt und anschließend von einer Kuhhaut umspannt. Die in ihrer Anzahl variierenden Spielsaiten sind an einem langen bogenförmigen Holzsteg befestigt. Um den Klang zu verstärken, tragen Musizierende häufig eine Art mit Metallblättchen und -ringen versehenen Trichter an der Hand. M‘Bolons kommen bei etwa bei öffentlichen Veranstaltungen, Zeremonien und Festen zum Einsatz. Obwohl das M’Bolon traditionell von allen Menschen gespielt werden kann, bedrohen unter anderem die Urbanisierung und das abnehmende Interesse junger Menschen an dem Instrument seinen Fortbestand.
Wegfindung und Kanubau auf den Karolinen (Mikronesien)
Mikronesische Gemeinden, insbesondere auf den entlegeneren Yap-Inseln, pflegen noch heute die jahrhundertealte Tradition, ozeantaugliche Kanus herzustellen und sie nur durch Wegfindung, das heißt ohne Karten und Instrumente, zwischen weit voneinander entfernten Inseln zu navigieren. An der Herstellung der Kanus nimmt bis heute die ganze Gemeinde teil. Dabei werden Aushöhlung und Feinarbeit fast ausschließlich mit einer Dechsel durchgeführt. Einst ermöglichten diese Kanus und die Fähigkeiten ihrer Steuerleute die Besiedelung tausender Inseln im Pazifischen Ozean. Heute existieren nur noch vier Gilden, die diese traditionellen Fertigkeiten bewahren. Den Fortbestand ihrer Tradition bedrohen unter anderem Bevölkerungsschwund, das moderne Transportwesen und die zunehmende Schädigung der örtlichen Flora und Fauna.
Tais: ein traditioneller Stoff (Timor-Leste)
Der handgewebte Tais-Stoff spielt in der Bevölkerung von Timor-Leste eine bedeutende Rolle. Die Menschen nutzen ihn zu Dekorationszwecken, für Zeremonien und Feste sowie zur Herstellung traditioneller Kleidung. Auch Neugeborene werden mit Tais willkommen geheißen. Der Stoff drückt kulturelle Identität und Klassenzugehörigkeit aus, ist aber auch ein Wertgegenstand. Unter anderem kann er als Mitgift oder als Bußgeldausgleich verwendet werden. Bei seiner äußerst aufwendigen Herstellung kommen aber nur einfache Werkzeuge zum Einsatz. Aufgrund der Konkurrenz durch industriell produzierte Stoffe und der Vorliebe jüngerer Generationen für moderne Kleidung sinkt die Zahl der Tais-Webereien allerdings kontinuierlich.
Register Guter Praxisbeispiele
Die ins UNESCO-Register guter Praxisbeispiele aufgenommenen Modellprojekte zeigen, wie Immaterielles Kulturerbe effektiv und mit innovativen Methoden erhalten, an kommende Generationen weitergeben und lebendig weiterentwickelt werden kann. Folgende Programme wurden 2021 in das Register aufgenommen:
Programm für den Erhalt der traditionellen Kalligrafie im Iran (Iran)
Als Computerprogramme und digitale Schriftsätze aufkamen, begann die traditionelle Kalligrafie im Iran zu verschwinden. Doch bereits vor dem Beginn der 1980er-Jahre startete die Gesellschaft Iranischer Kalligrafen eine Initiative zur großflächigen Förderung von öffentlichen und privaten Kalligrafie-Lehrgängen. Die Initiative gewann schnell an Popularität und wurde wenige Jahre später in ein nationales Programm umgewandelt. Ziel war es, die Kunst der Kalligrafie in die moderne iranische Lebenswirklichkeit zu integrieren. Im Rahmen des inzwischen stark erweiterten Programms werden Bücher und Broschüren veröffentlicht, Ausstellungen organisiert und akademische Lehrprogramme entwickelt.
Förderung und Erhalt traditioneller Ernährungsweisen und Lebensmittel in Kenia (Kenia)
In Kenia waren traditionelle Formen der Ernährung aufgrund historischer Entwicklungen bedroht. Doch in Zusammenarbeit mit Fachleuten aus der Wissenschaft und lokalen Gemeinschaften begann die Regierung 2007, traditionelle Lebensmittel und das mit ihnen verbundene Wissen – Rezepte, Zeremonien und sonstiger Praktiken – zu dokumentieren. Im Anschluss organisierten sie eine intensive Werbekampagne für traditionelle Lebensmittel. Gemeinsam mit der UNESCO startete Kenia zudem ein Pilotprojekt, um traditionelle Ernährungsweisen zu identifizieren und Vorschulkinder auf deren Gefährdung aufmerksam zu machen. Aus diesen Projekten entstanden zahlreiche unabhängige Initiativen, die sich dem Thema widmen.
Nomadenspiele: Kulturerbe wiederentdecken, Vielfalt feiern (Kirgisistan)
Das Kulturerbe der Bevölkerung Kirgisistans ist eng mit dem nomadischen Lebensstil verbunden. Durch die häufig erzwungene Sesshaftigkeit während der Sowjetzeit, waren viele Elemente dieses Erbes, insbesondere die Nomadenspiele, zunehmend bedroht. Erst nach der Unabhängigkeit 1991 belebten zahlreiche lokale Gemeinschaften ihre Traditionen und damit auch die Nomadenspiele wieder. In einer ersten großen Versammlung 2007 mit den noch praktizierenden Spielenden wurde beschlossen, dass die verbliebenen Spiele offiziell dokumentiert und die Bevölkerung Kirgistans, insbesondere Kinder und Jugendliche, stärker für sie interessiert werden sollten. Inzwischen sind die Nomadenspiele sowohl Teil der Schulbildung als auch ein kulturelles Großereignis. 2014 wurden die ersten Nomaden-Weltspiele organisiert, die heute regelmäßig ausgerichtet werden. Zuletzt fanden sich dazu Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus 82 Ländern ein.
Die Schule der lebendigen Traditionen (Philippinen)
Im Jahr 1995 erklärte die Nationale Kommission für Kultur und Kunst es offiziell für notwendig, überliefertes Wissen und traditionelle Praktiken auf den Philippinen vor drohender Entwertung zu bewahren. Daraufhin entstanden die Schulen der lebendigen Traditionen: informelle, von den Gemeinschaften vor Ort verwaltete Lernzentren, in denen traditionelles Wissen und Können an jüngere Generationen weitergegeben werden konnten. Was prioritär zu bewahren sei, entschieden jeweils die Ältesten und Leitungen einer Gemeinschaft.