Die Deutsche UNESCO-Kommission

begrüßt den Beschluss der 32. UNESCO-Generalkonferenz, ein völkerrechtlich verbindliches Übereinkommen zum Schutz der Vielfalt kultureller Inhalte und künstlerischer Ausdrucksformen ausarbeiten zu lassen und bei der 33. Generalkonferenz 2005 zu beraten;

betrachtet den Erhalt des kulturpolitischen Gestaltungsspielraums der Mitgliedstaaten und der öffentlichen und privaten Kultureinrichtungen angesichts des fortschreitenden Liberalisierungsdrucks in einer zunehmend globalisierten Weltwirtschaft als eine vorrangige Aufgabe;

begrüßt die aktive Beteiligung der Bundesregierung an der Ausarbeitung des Übereinkommens und regt an, das nationale Verhandlungsmandat voll beizubehalten und zugleich die Abstimmung mit den anderen Mitgliedstaaten des Europarats und der Europäischen Union zu suchen;

begrüßt die zeitnahe Befassung des Deutschen Bundestags und seiner Ausschüsse mit den Kernfragen des Übereinkommens; die Verbände der Kulturträger sollen hierzu angehört werden;

begrüßt die erfolgreiche Initiierung der Bundesweiten Koalition für Kulturelle Vielfalt;

bestätigt ihre Bereitschaft, den Prozess der Ausarbeitung des Übereinkommens konstruktiv zu begleiten sowie diese Arbeit mit Sachverstand, Kooperation und sachwerten Leistungen zu ermöglichen;

fordert die Bundesregierung auf, den Prozess der Ausarbeitung des Übereinkommens zum Schutz der Vielfalt kultureller Inhalte und künstlerischer Ausdrucksformen im Rahmen der UNESCO mit einer breiten und konzentrierten gesellschaftlichen Fachdebatte zu begleiten und die Bundesweite Koalition für Kulturelle Vielfalt mit entsprechenden Mitteln auszustatten.

Hintergrund:

Im Herbst 2003 hat die UNESCO auf ihrer 32. Generalkonferenz beschlossen, ein Übereinkommen zum Schutz der kulturellen Vielfalt auszuarbeiten. Ein Ziel des Übereinkommens ist es, die im Rahmen der Verhandlungen in der Welthandelsorganisation (WTO) über Liberalisierung des Handels mit Gütern und Dienstleistungen in den letzten Jahren entstandenen Gräben zu überwinden und eine pragmatische Perspektive der arbeitsteiligen Zusammenarbeit zwischen der WTO und der UNESCO zu entwickeln. Komplementär zu den handelspolitisch ausgerichteten WTO-Verträgen und -Verhandlungen soll das Übereinkommen eine kulturpolitische Berufungsgrundlage bieten, in der nicht unterschreitbare Prinzipien der Kulturverträglichkeit festgeschrieben sind. Ein Rechtsinstrument zur kulturellen Vielfalt könnte die Auslegung von Rechtsregelungen der WTO etwa bei der Beilegung von Streitfällen beeinflussen.

Es ist mittlerweile internationaler Konsens, dass Güter und Dienstleistungen im Bereich Bildung und Kultur eine Doppelnatur haben. Sie sind ohne Zweifel handelbar; dienen jedoch auch Zielsetzungen, die über den Markt hinausreichen. Es ist deshalb unverzichtbar, Gestaltungsmöglichkeiten für nationale Bildungs- und Kulturpolitik zu erhalten und in internationaler Zusammenarbeit zu entwickeln. Diese Aufgabe kann die UNESCO aber nur in Synergie, nicht in Konfrontation mit der Welthandelsorganisation erfüllen.

Die Deutsche UNESCO-Kommission setzt sich dafür ein, dass das Übereinkommen zur Verwirklichung des Menschenrechts auf kulturelle Selbstbestimmung der/des Einzelnen und sozialer Gruppen beiträgt. Nach ihrer Verfassung ist die UNESCO vor allem dem Ziel des freien Flusses von Ideen in Bildung, Wissenschaft und Kultur verpflichtet. Freihandel und der freie Fluss von Ideen in Wort und Bild müssen kein Gegensatz sein. Liberalisierung des Handels mit Dienstleistungen in Bildung, Kultur und Medien eignet sich nicht als Schreckgespenst, wenn nationale Ausnahmeforderungen ebenso wie der Freihandel selbst an die Beachtung internationaler Vereinbarungen über Menschenrechte und Grundfreiheiten gebunden werden. Ein UNESCO-Übereinkommen zur kulturellen Vielfalt soll deshalb keine Hürden für kulturellen Dialog und Austausch aufbauen, sondern zur arbeitsteiligen Zusammenarbeit zwischen der UNESCO und der Welthandelsorganisation beitragen.

Die Deutsche UNESCO-Kommission begleitet den Beratungsprozess in einer Koalition für Kulturelle Vielfalt unter Einbeziehung verschiedener Sparten der Kulturarbeit. Das Berliner Fachgespräch am 14. Juni 2004 war die Auftaktveranstaltung dieser bundesweiten Koalition. In ihm wurden von 70 Experten konkrete Erwartungen an das Übereinkommen mit Fallbeispielen aus den verschiedenen Bereichen der Kulturproduktion, -vermittlung und -verwertung erörtert.

Derzeit gibt es weltweit elf solcher Koalitionen (unter anderem in Kanada, Australien, Frankreich, Südkorea, Senegal, Chile), deren Arbeit von einem Liaisonkomitee mit beratendem Status bei der UNESCO begleitet wird. Die deutsche Koalition kooperiert eng mit diesen internationalen Netzwerken.