Die politische Bedeutung der Verhandlungen über ein Transatlantisches Freihandels- und Investitionsabkommen zwischen der EU und den USA (TTIP) steht außer Frage. Angesichts der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise in der Europäischen Union wird mit einem solchen Abkommen zudem die Hoffnung verbunden, dass von ihm weitere Impulse zur wirtschaftlichen Entwicklung in der geplanten Freihandelszone ausgehen werden.
Aus Sicht der Deutschen UNESCO-Kommission muss jedoch dringend sichergestellt werden, dass bei den Verhandlungen der völkerrechtlichen Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union als Vertragsparteien des UNESCO-Übereinkommens zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen von 2005 Rechnung getragen wird. Deutschland und Frankreich waren Mit-Initiatoren dieses Übereinkommens. Die EU-Mitgliedsstaaten haben dieses Übereinkommen als Gruppe gemeinsam verhandelt und sein Inkrafttreten im März 2007 mit großem Einsatz herbeigeführt. Sie haben sich verpflichtet, gemeinsam für die Zielsetzungen des Übereinkommens in multi- und bilateralen Verhandlungen einzutreten.
Kulturelle Güter und Dienstleistungen sowie audiovisuelle Mediendienste sind nicht nur Wirtschaftsgüter, sondern zugleich Träger kultureller und gesellschaftlicher Werte. Wegen ihres Doppelcharakters als Kultur- und Wirtschaftsgut fallen sie in den Anwendungsbereich des UNESCO-Übereinkommens. Dieses stellt sicher, dass auch bei fortschreitender Deregulierung des Handels mit Gütern und Dienstleistungen Kultur- und Medienpolitik sowie öffentliche Kunst- und Kulturförderung, einschließlich der Förderung von Kultur- und Kreativwirtschaft, im Sinne der Wahrung der kulturellen Vielfalt weiterhin als politische Instrumente erhalten bleiben. Insbesondere bei internationalen Handelsvereinbarungen muss der besondere Doppelcharakter von kulturellen und audiovisuellen Dienstleistungen als Kultur- und Wirtschaftsgut gewahrt bleiben.
Hierbei geht es vorrangig um künftige politische Gestaltungsmöglichkeiten im Interesse unseres europäischen Gesellschaftsverständnisses. In diesem Sinne begrüßt die Deutsche UNESCO-Kommission die sich seit Februar 2013 entwickelnde öffentliche Debatte zu den mit diesem Verhandlungsprojekt verbundenen Sachfragen.
Die Deutsche UNESCO-Kommission
- geht davon aus, dass Deutschland und die Europäische Union ihren völkerrechtlichen Selbstverpflichtungen als Vertragsparteien des UNESCO-Übereinkommens zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen von 2005 nachkommen und dabei insbesondere kulturpolitische Belange bei der Verhandlung von Handelsabkommen berücksichtigen;
- weist darauf hin, dass Abkommen zum Abbau von Handelsschranken im Bereich von Kultur, Wissenschaft, Bildung und Medien nicht zu einem Verbot öffentlicher Förderung und damit zu einer Gefährdung des reichen und vielfältigen Kulturlebens in Deutschland führen dürfen;
- fordert, dass dem Doppelcharakter von kulturellen Gütern und Dienstleistungen sowie audiovisuellen Mediendiensten als Kultur- und als Wirtschaftsgut auch in dem geplanten Freihandelsabkommen EU-USA Rechnung getragen wird;
- erwartet größtmögliche Transparenz bei der Erteilung des Verhandlungsmandats an die EU-Kommission, bei der Aushandlung des Abkommens und bei der Analyse der sich aus den konkreten Bestimmungen des Freihandelsabkommens ergebenden Konsequenzen für den Kultur-, Bildungs- und Mediensektor in Deutschland und in Europa;
- weist darauf hin, dass die weitreichenden Auswirkungen, die ein solches Abkommen für die kulturelle Infrastruktur und das Kultur-, Wissenschafts- und Bildungsangebot in Deutschland haben kann, einer informierten und breiten gesellschaftlichen Debatte bedürfen und nicht allein einer wirtschaftspolitischen Betrachtung unterworfen werden dürfen;
- regt an, die Analyse und Bewertung möglicher Auswirkungen eines Investitions- und Handelsabkommens auf den Kultur-, Bildungs- und Mediensektor in Deutschland und Europa zum Gegenstand eines Gutachtens zu machen, das hierzu belastbare Aussagen ermöglicht