Erfahrungsbericht einer ehemaligen kulturweit-Freiwilligen

Ich habe den Joker gezogen beim Deutschen Akademischen Austauschdienst in Kairo

Viktoria Zwer aus Salzgitter war kulturweit-Freiwillige beim Deutschen Akademischen Austauschdienst in Kairo. Sie wollte sich selbst ein Bild vom Nahen Osten machen, einer Region, die die meisten nur aus den Medien kennen. WDR-Korrespondentin Anna Osius hat Viktoria in Ägyptens Hauptstadt getroffen.

Publikation

kulturweit Magazin 2017/2018.
Deutsche UNESCO-Kommission / Freiwilligendienst kulturweit, 2018

In der zehnteiligen Reportage-Reihe #jungeKulturbotschafter berichtet der WDR-Hörfunk über kulturweit-Freiwillige in aller Welt. Der gesamte Beitrag von Kairo-Korrespondentin Anna Osius war erstmals auf WDR 3 zu hören.

www.kulturweit.de/jungekulturbotschafter

Hupend stauen sich die Autos auf einer der großen Innenstadtstraßen von Kairo. Die Luft ist schwer von Blei, eine brütende Hitze legt sich auf jede Bewegung. Kairo im Hochsommer. Nur einer scheint das alles nichts auszumachen: Viktoria öffnet lachend die Pforte zu einer alten Villa neben der großen Straße. DAAD steht in großen blauen Lettern an der Glastür. Deutscher Akademischer Austauschdienst. Hier ist die neue Heimat von Viktoria Zwer. Die junge Deutsche mit den langen blonden Haaren ist vor fast einem Jahr nach Kairo gekommen, um hier als Entsandte des Freiwilligendienstes kulturweit zu arbeiten. Der Nahe Osten war ihre absolute Wunschregion. „Ich finde es gerade in der heutigen Situation eine entscheidende Region“, sagt Viktoria.

„Durch die Flüchtlingskrise sind wir damit konfrontiert, uns mit dem Nahen Osten, mit den Konflikten und mit einer anderen Religion auseinanderzusetzen. Warum gehe ich also nicht sofort in die Region und mache mir selbst ein Bild davon“, fragt die junge Frau.

Viktoria kommt eigentlich aus dem niedersächsischen Salzgitter. In Erfurt hat die 22-Jährige Staatswissenschaften auf Bachelor studiert und sich auf den Nahen Osten spezialisiert. Dann erfuhr sie vom kulturweit-Programm, das von der Deutschen UNESCO-Kommission gefördert wird. „Meine Mitbewohnerin in Erfurt sagte, sie war ein halbes Jahr in Bangkok und hat da kulturweit gemacht“, erinnert sich Viktoria. „Ich hatte noch nie davon gehört und habe mir nicht viele Chancen ausgerechnet, genommen zu werden, aber es hat tatsächlich funktioniert“, erzählt sie immer noch staunend. „Kairo, da wollte ich schon immer mal hin. Da kommen direkt die Bilder hoch: Pyramiden, Nil. Ich habe den Joker gezogen.“

Bevor aber der Flieger nach Kairo startete, ging es erstmal zum Vorbereitungsseminar in die Nähe von Berlin. Die jungen kulturweit-Stipendiaten werden sehr eng begleitet und auf ihren Auslandsaufenthalt eingestimmt. So auch beim Vorbereitungstreffen mit allen Freiwilligen, die gemeinsam mit Viktoria ausgereist sind. „Da sitzen 220 Freiwillige auf einer Wiese und man konzentriert sich darauf, was die nächsten Monate passiert, auch wenn Schwierigkeiten auftauchen“, erinnert sie sich. Und dennoch, auf das, was dann kam, konnte Viktoria keiner vorbereiten, erzählt sie lachend. So manchen Kulturschock müsse man wohl einfach erleben. „Mein erster Tag hier war das Opferfest. Am Morgen habe ich einen Kuhkopf vor meiner Tür gefunden, weil meine Nachbarn geschlachtet hatten“, berichtet sie. „Das war mein erster Eindruck von Kairo und ich war ein bisschen im Kulturschock. Das war mein Start hier."

Die 22-Jährige lacht, sie strahlt Mut aus. Und Selbstbewusstsein. Mit ihrem Vorhaben, alleine für ein ganzes Jahr in den Nahen Osten zu gehen, stieß Viktoria in ihrem Familien- und Freundeskreis nicht unbedingt auf Verständnis. Im Gegenteil, ihre Mutter arbeitet bei der Polizei, erzählt sie. „Meine Mutter hat durch ihre berufliche Laufbahn immer wieder Kontakt mit den Negativ-Beispielen von Menschen gerade aus muslimischen Ländern und hat dadurch viele Vorurteile, was das Bild des Islam angeht. In meiner Familie ist es schwierig, dagegen anzukämpfen und zu sagen, nicht jeder Moslem ist ein Verbrecher. Sondern zu sagen, die Leute sind total gastfreundlich, sie sind nett und warmherzig."

Viktoria war es wichtig, in den Nahen Osten zu gehen und zu beweisen, dass es eine andere Realität gibt. Eine, die mit dem Bild, das viele in Deutschland haben, nicht übereinstimmt. „Generell war die Reaktion, wenn ich das erzählt habe: Ist da nicht Krieg? Meine Oma dachte, da ist es mit fließend Wasser schwierig und hat mich gefragt, ob ich schon im Nil gebadet habe“, erzählt sie. „Das Bild von Ägypten bei meiner Familie und meinen Freunden ist vollkommen anders als die Realität. Ich versuche da jetzt auch entgegenzuwirken und sage ihnen: Kommt her, schaut es euch an. Man kann hier als blondes junges Mädchen leben, ohne Probleme zu haben.“ Auf ihrer neuen Arbeitsstelle, dem DAAD, wurde Viktoria sofort herzlich begrüßt, erzählt sie. Und das Beste: Sie macht als Langzeitpraktikantin einen Job, der ihr richtig Spaß macht. Zusammen mit ihrer Kollegin betreut sie ein eigenes Projekt, war von der ersten Idee bis zur Umsetzung dabei: „Falling Walls Egypt“, ein Wettbewerb für junge Tüftler und Vordenker aus Ägypten, die mit ihren Ideen der Gesellschaft helfen könnten. Viktoria klickt sich durch die Bewerber-Videos. 80 junge Ägypter haben sich bereits beworben und hoffen auf den Hauptgewinn: eine Reise nach Berlin zum internationalen Endausscheid.

„Ich freu mich darüber“, sagt die junge Freiwillige. „Wenn das Event gut läuft, werde ich unheimlich stolz darauf sein und noch meinen Kindern erzählen, dass ich das organisiert habe, als ich für ein Jahr in Kairo war.“ Viktoria ist überzeugt: Sie hat mit ihrem Praktikumsplatz Glück gehabt. Von anderen kulturweit-Teilnehmern habe sie manchmal auch negative Erlebnisse gehört: wenn der Praktikumsplatz nicht passe, die Arbeit eher langweilig sei oder die Integration im Land schwer falle. Probleme, die Viktoria nicht hat.

Der Grundgedanke des kulturweit-Programms ist es, aus jungen Menschen sogenannte Kulturbotschafter zu machen, ihnen fremde Kulturen nahezubringen, aber sie auch als Botschafter der deutschen Lebensweise in ihren Gastländern zu sehen. „Die Menschen sehen mich als deutsche Person“, betont Viktoria. „Das stimmt dann mit ihrem Deutschlandbild überein oder auch nicht. Ich versuche da auch gegen Vorurteile zu arbeiten. Ohne dass ich gezielt etwas mache, sondern einfach dadurch, dass ich mit meinem Hintergrund und meiner Erziehung hier bin. Damit vermittele ich den Leuten, wie es in Deutschland aussieht. Das ist quasi, was man als Kulturbotschafter macht“, fasst sie zusammen. „Es passiert dann automatisch, dass man immer pünktlich ist. Ich werde diese innere deutsche Uhr auch nicht los. Ich kann nicht anders. Ich versuche schon zu spät zu sein und bin dann pünktlich. So läuft das hier als Kulturbotschafter.“

Ihr Chef in Kairo, Roman Luckscheiter, hört das gerne. Der Leiter des DAAD und Deutschen Wissenschaftszentrums in Kairo sieht in den kulturweit-Freiwilligen eine große Bereicherung. Viele Sonderprojekte könnten sonst nicht umgesetzt werden, sagt er. „Dadurch dass wir über 1700 ägyptische Wissenschaftler pro Jahr nach Deutschland schicken, haben wir natürlich ein riesiges Netzwerk“, erläutert Luckscheiter. „Die Nachfrage ist in der Tat riesig und wächst auch. Sie können das auch an den Zahlen der Deutschlerner sehen: Die haben sich zwischen 2010 und 2015 verdoppelt. Das alles führt dazu, dass wir uns hier nicht langweilen. Und da sind wir natürlich sehr dankbar, dass wir über das kulturweit-Programm Leute wie Viktoria Zwer im Team haben, die Sondermaßnahmen betreuen. Das ist ein großer Gewinn für uns.“

Neben Viktoria ist seit März noch eine zweite kulturweit-Freiwillige im DAAD Kairo, im September kommt ein neuer Teilnehmer. Die Unterstützung durch die Freiwilligen sei wertvoll, so Luckscheiter. „Der Name sagt ja schon, es ist freiwillig und von vornherein mit großer Motivation verbunden. Uns freut, dass diese Motivation hier in Kairo und in Ägypten nicht enttäuscht wird.“ Viktoria fühlt sich hier mittlerweile schon ganz wie zuhause. Für sie ist die Zeit beim DAAD mehr als nur ein Praktikum. Sie hat hier ihren Berufswunsch gefunden und will deswegen auch noch länger in Kairo bleiben, auch wenn ihr kulturweit-Jahr endet. Ihre Perspektive habe sich in diesem Jahr verändert, sagt sie.

Und eines steht für Viktoria fest: Das kulturweit-Jahr in Kairo war das Beste, das ihr passieren konnte. „Ich habe hier Freunde gefunden, die ich mein Leben lang behalten werde. Ich hab mit so vielen Leuten hier zusammengewohnt. Ich hab Kollegen hier kennengelernt und so viele Orte“, schwärmt sie. „Die Pyramiden beindrucken mich jedes Mal. Wenn ich daran vorbeikomme, kann ich meinen Blick nicht abwenden. Und jeden Abend sehe ich die Sonne im Nil versinken, wenn ich aus meinem Zimmer gucke – für mich ist Kairo ein zweites Zuhause geworden.“

Dieser Beitrag stammt aus dem kulturweit Magazin 2017/2018

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