Porträt von Isabell Kempf, der Direktorin des UNESCO-Instituts für Lebenslanges Lernen in Hamburg.
© UNESCO Institute for Lifelong Learning

Isabell Kempf

Isabell Kempf ist seit Januar 2024 Direktorin des UNESCO-Instituts für Lebenslanges Lernen in Hamburg.

Was ist "lebenslanges Lernen"? 

Isabell Kempf: Lebenslanges Lernen ist wie ein persönlicher Werkzeugkoffer, den man sein ganzes Leben lang füllt – mit neuen Fähigkeiten, Wissen und Erfahrungen, die helfen, sich in einer ständig verändernden Welt zurechtzufinden und Gesellschaften aktiv mitzugestalten. Es ist mehr als Bildung – es ist die Fähigkeit, sich immer wieder neu zu erfinden, Lösungen für globale Herausforderungen wie den Klimawandel oder soziale Ungleichheit zu finden und ein erfülltes Leben zu führen. Kurz gesagt: Es ist das Handwerkszeug, um mit den Veränderungen der Zeit nicht nur Schritt zu halten, sondern sie aktiv mitzugestalten.

Welche Herausforderungen sehen Sie in den nächsten Jahren? 

Trotz weltweiter Bemühungen, das Nachhaltigkeitsziel 4 ( 4) – inklusive, gleichberechtigte und hochwertige Bildung sowie lebenslanges Lernen für alle – zu erreichen, sind wir noch weit von unserem Ziel entfernt. Die globale Bildungskrise ist nach wie vor alarmierend: 250 Millionen Kinder gehen nicht zur Schule, 754 Millionen Erwachsene besitzen keine grundlegenden Lese- und Schreibkenntnisse, und weniger als 5 Prozent der Erwachsenen haben Zugang zu Lernmöglichkeiten.

Angesichts zahlreicher globaler Herausforderungen stehen Regierungen weltweit vor der schwierigen Frage, in welche Bereiche sie investieren sollen. Dabei ist es unerlässlich, zu betonen, dass Bildung und Lernen Schlüsselrollen spielen, um alle Globalen Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Lebenslanges Lernen ist entscheidend, um Armut und Hunger zu bekämpfen, die Klimakrise zu bewältigen, friedliche Gesellschaften zu fördern – kurzum: um die Zukunft unserer Welt zu gestalten. Nicht zuletzt ist Bildung ein Menschenrecht und öffentliches Gut.

Gipfeltreffen wie der Transforming Education Summit 2022 und der -Gipfel 2023 haben die Dringlichkeit hervorgehoben, entschlossen zu handeln, um bis 2030 inklusive, gerechte und hochwertige Bildung sowie lebenslanges Lernen für alle sicherzustellen. Jetzt ist die Zeit gekommen, diese Zusagen in konkrete Taten umzusetzen.

Welche Strategien wird das UIL implementieren, um den zukünftigen Herausforderungen zu begegnen? Welche Synergien ergeben sich zwischen verschiedenen Bildungseinrichtungen und -akteuren und dem UIL?

Mein Team und ich unterstützen Mitgliedstaaten weltweit dabei, ihre Zusagen zur Förderung des lebenslangen Lernens in die Tat umzusetzen. Dies tun wir, indem wir sie bei der Entwicklung von Gesetzen und politischen Leitlinien begleiten, innovative Programme in den Ländern umsetzen und die notwendige Datenbasis schaffen, um evidenzbasiertes politisches Handeln zu ermöglichen.

Lassen Sie mich zwei Beispiele nennen:
Erstens das Globale Netzwerk der Lernenden Städte. Mit mittlerweile 365 Städten aus über 75 Ländern haben wir eine Plattform geschaffen, die Megastädte wie Shanghai und Bogotá mit deutschen Städten wie Hamburg, Bonn, Dresden und Gelsenkirchen verbindet. Gemeinsam arbeiten diese Städte daran, lebenslanges Lernen für insgesamt 390 Millionen Menschen Realität werden zu lassen. Im Fokus stehen dabei Themen wie die Bekämpfung des Klimawandels durch Bildung oder das Lernen zur Gesundheitsförderung.

Zweitens der Welterwachsenenbildungsbericht, den wir GRALE nennen – eine Abkürzung für Global Report on Adult Learning and Education. Derzeit bereiten wir die sechste Ausgabe dieses Berichts vor. Ziel ist es, nicht nur einen umfassenden Überblick über den Stand der Erwachsenenbildung weltweit zu geben, sondern auch die Rolle der Erwachsenenbildung in Transformationsprozessen zu beleuchten.

Zu Ihrer Frage nach Synergien: Die enge Zusammenarbeit mit vielen Akteuren ist ein entscheidender Erfolgsfaktor unserer Arbeit. Wir kooperieren nicht nur mit den Teams am UNESCO-Hauptsitz, den weiteren UNESCO-Instituten und dem in Bonn angesiedelten UNESCO-Zentrum für Berufsbildung (UNEVOC), sondern auch mit zahlreichen zivilgesellschaftlichen Akteuren. Ein zentraler Partner ist beispielsweise die internationale Sektion des Deutschen Volkshochschul-Verbands (DVV International), mit der wir eng zusammenarbeiten, um die Erwachsenenbildung in Ländern weltweit zu fördern. In der Ukraine haben wir beispielsweise in den letzten Monaten gemeinsam mit dem DVV International sechs UNESCO Learning Cities bei der Stärkung von Lernangebot im aktuellen Kriegskontext unterstützt.

Wie bewerten Sie die Rolle von technologischer Innovation (beispielsweise KI) und Digitalisierung im Kontext des lebenslangen Lernens, und welche Maßnahmen planen Sie, um sicherzustellen, dass Bildung für alle zugänglich bleibt?

Digitale Technologien spielen eine zentrale Rolle, um Bildung als grundlegendes Menschenrecht weltweit zu gewährleisten. Sie bieten enorme Chancen, den Zugang zu Bildung zu erweitern, Inklusion zu fördern und die Relevanz sowie Qualität des Lernens nachhaltig zu verbessern. Insbesondere im Bereich des lebenslangen Lernens eröffnen IKT-gestützte Ansätze neue Möglichkeiten, Bildung flexibler, individueller und skalierbarer zu gestalten.

Künstliche Intelligenz hat das Potenzial, einige der größten Herausforderungen im Bildungswesen zu bewältigen. Sie kann Lehr- und Lernpraktiken transformieren, indem sie personalisierte Lernwege ermöglicht, den Lernfortschritt analysiert und evidenzbasierte Empfehlungen für Lehrkräfte und Lernende liefert. Auch in der Erwachsenenbildung kann KI dazu beitragen, den Lernprozess effektiver und an die spezifischen Bedürfnisse der Lernenden angepasst zu gestalten.

Gleichzeitig ist es essenziell, dass der Einsatz dieser Technologien auf ethischen Leitlinien basiert und von den Grundsätzen der Inklusion und Gerechtigkeit geleitet wird. Technologische Innovation darf nicht dazu führen, bestehende Ungleichheiten zu vertiefen. Stattdessen müssen digitale Bildungsangebote so gestaltet sein, dass sie die Bildungschancen insbesondere für benachteiligte Gruppen verbessern.

Ein kritischer Punkt bleibt jedoch der Zugang zu diesen Technologien. Laut hat etwas mehr als ein Drittel der Weltbevölkerung nach wie vor keinen Zugang zum Internet. Diese digitale Kluft muss dringend geschlossen werden. Gleichzeitig müssen wir sicherstellen, dass Nutzer*innen weltweit über Informations- und Medienkompetenzen verfügen, um Hassrede und Desinformation im Netz zu erkennen und ihr wirksam entgegenzutreten.

Wie wird das Institut sicherstellen, dass lebenslanges Lernen inklusiv ist und die Vielfalt der Lernenden weltweit anspricht?

Qualitativ hochwertige Lernangebote müssen für alle zugänglich sein. Die Verringerung von Ungleichheiten ist eine grundlegende Voraussetzung, um das Recht auf hochwertige Bildung für alle zu gewährleisten. Derzeit profitieren jedoch vor allem jene von Bildungsangeboten, die bereits in der Vergangenheit Zugang zu Bildungschancen hatten. Menschen mit Defiziten in Wissen, Fertigkeiten und Kompetenzen sind hingegen am stärksten von Ausgrenzung bedroht.

Genau auf diese Gruppen richten wir unser besonderes Augenmerk – seien es Geflüchtete, Mädchen und Frauen, von Armut Betroffene oder Inhaftierte. Gemeinsam mit Ländern weltweit arbeiten wir daran, flexible Bildungswege zu schaffen, um insbesondere denjenigen, die in jungen Jahren keinen Zugang zu Bildung hatten, Lernmöglichkeiten zu eröffnen. 

Das Versprechen des lebenslangen Lernens gilt für alle – und dieses Ziel treibt unser tägliches Handeln an.

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