Erklärung des Vorstands

Erklärung der Deutschen UNESCO-Kommission zum rechtsextremistischen Anschlag in Halle

In ihrer ersten Vorstandssitzung (29.10.2019) nach dem rechtsextremistischen Anschlag in Halle erklärte die Deutsche UNESCO-Kommission:

Wir sind bestürzt, dass die jüdische Gemeinde in Halle an ihrem höchsten Feiertag Yom Kippur einem brutalen Anschlag ausgesetzt war, der zum Ziel hatte, möglichst viele Juden zu töten. Nur besondere Umstände haben dies verhindert. Dennoch wurden zwei Menschen getötet, weitere schwer verletzt. Wir sprechen den Familien und Freunden der Opfer unsere Anteilnahme aus.

Dieser Anschlag hat erneut das zunehmende Ausmaß von Hass und rechtsextremer Gewaltbereitschaft offenbart. Es ist ein Anschlag, der darauf ausgelegt war, Nachahmer anzustiften. Es ist zugleich ein Anschlag auf uns alle, auf die Menschenrechte, unsere demokratischen Werte, das friedliche und respektvolle Zusammenleben der Menschen.

Wir teilen die Auffassung von Bundespräsident Steinmeier, dass dieser Tag „ein Tag der Scham und der Schande“ ist und treten als Deutsche UNESCO-Kommission dafür ein, dass Juden ihren Glauben in Deutschland und überall auf der Welt offen leben können. Aber wir stellen fest, dass Antisemitismus und Rassismus nie aus unserem Land verschwunden sind, dass sie sich bei uns und weltweit in bedrohlicher Weise in der Gesellschaft ausbreiten und neue Dimensionen annehmen, auch - aber nicht nur - im Internet. Wir wenden uns gegen alle Formen des Antisemitismus und Rassismus, gerade auch gegen ihre verdeckten Formen im Alltag.

Staat, Politik und Zivilgesellschaft sind gefordert, Versäumnisse im Kampf gegen Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus aufzuarbeiten und Lehren daraus zu ziehen. Es gilt, der Radikalisierung sowie der Verrohung entgegenzuwirken und Ausgrenzung, Hass, Hetze und Gewalt den geistigen Nährboden zu entziehen.

Der Anschlag auf die Synagoge von Halle hat uns einmal mehr vor Augen geführt, wie verletzlich unsere Werte, Menschenrechte, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind. Die Deutsche UNESCO-Kommission wird daher ihren Beitrag zur Auseinandersetzung mit dem aktuellen politischen und gesellschaftlichen Kontext von Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus intensivieren. Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation, die Zuständigkeitsfelder der UNESCO, sind der Schlüssel für ein friedvolles Zusammenleben der Menschen. Sie sind auch genau die Handlungsfelder, auf die es jetzt besonders ankommt.

→ Wir werden deshalb einen klaren Schwerpunkt bei Prävention durch Bildung setzen.

Bildung spielt eine Schlüsselrolle bei der Auseinandersetzung mit Vorurteilen und Stereotypen und der Entwicklung von Empathie und Ambiguitätstoleranz. Ein ganzheitliches Bildungsverständnis ist entscheidend, um die Widerstandskraft gegen Antisemitismus und Rassismus zu stärken. Zugleich muss eine zeitgemäße Bildung zur Bearbeitung von antisemitischen, rassistischen und menschenverachtenden Vorurteilsstrukturen beitragen und entsprechende Vorfälle in Schule und Gesellschaft kompetent aufgreifen und thematisieren, um zur Überwindung des Antisemitismus beitragen zu können.

Dazu werden wir den UNESCO/OSZE-Leitfaden zur Bildungsarbeit gegen Antisemitismus (2018) verstärkt in die Bildungsdiskussion einbringen.

Die Deutsche UNESCO-Kommission wird mit dem Netzwerk der UNESCO-Projektschulen mit seinen annähernd 300 Schulen in Deutschland Anstrengungen unternehmen, um die Bildungsarbeit zur Bekämpfung des Antisemitismus und Rassismus weiter zu entwickeln und zu verstärken. Hierzu wird die Begleitung qualitativ hochwertiger Bildungsprojekte auf der Ebene der einzelnen Schulen im Feld der Wahrnehmung der Vielfalt jüdischen Lebens und seiner aktuellen Situation in Deutschland ebenso gehören wie multiperspektivische Ausstellungs-, Stolperstein- und Rechercheprojekte zur Judenfeindschaft.

Wir unterstützen die Arbeit der Länder für adäquate Fort- und Weiterbildungen für Lehrkräfte und die Verankerung entsprechender Studieninhalte im Bereich des Studiums und der Ausbildung von Lehrkräften zur Steigerung ihrer Handlungskompetenz im Umgang mit Antisemitismus, Diskriminierung und Rassismus. Hierzu gehört auch das flächendeckende Angebot neuer Fortbildungsformate, um Lehrkräfte für die Auseinandersetzung mit Verschwörungstheorien, Fake News und Hate Speech im digitalen Raum besser vorzubereiten.

→ Wir unterstützen die offene und kritische Auseinandersetzung durch Kunst und Kultur und rücken Vielfalt in den Blick.

Durch den geschichtsbewussten Umgang mit unserem materiellen und immateriellen Kulturerbe wollen wir Wege zur Überwindung von Antisemitismus und Rassismus eröffnen. Wir wenden uns gegen Desinformation, Hetze, Gewalt und Hass in Sprache und Kommunikation.

→ Wir sehen mit großer Sorge, dass die Glaubwürdigkeit der UNESCO durch die Zunahme von politischen Spannungen in ihren Gremien gelitten hat.

Dazu zählt der Nahostkonflikt, der sich mehrfach in unangemessen israelkritischen Resolutionen niedergeschlagen hat.

Daher begrüßen wir die Anstrengungen der UNESCO-Generaldirektorin Azoulay, Konfrontationen zu überwinden und antisemitischen Positionen entgegenzuwirken. In den UNESCO-Gremien wie auch in anderen UN-Gremien selbst braucht es eine ehrliche und kritische Auseinandersetzung mit den Botschaften und Folgen der eigenen Arbeit.

„Da Kriege im Geist der Menschen entstehen, muss auch der Frieden im Geist der Menschen verankert werden.“

Diese in der Verfassung der UNESCO niedergelegte Überzeugung macht uns stark im Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus.