Welterbe in Deutschland

Welterbe Residenzensemble Schwerin: Familiengeschichte in Szene gesetzt

Mit seinen unzähligen verspielten Türmchen und der malerischen Lage im See gehört das Schweriner Schloss zu den beliebtesten Schlössern Deutschlands. Seit Juli 2024 gehört es auch zum UNESCO-Welterbe – als Herzstück des Residenzensembles Schwerin, zusammen mit mehr als 30 weiteren Gebäuden und Gärten in der Stadt.

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Friedrich Franz II. war gerade 19 Jahre alt, als er nach dem Tod seines Vaters im März 1842 die Führung des Hauses Mecklenburg-Schwerin antrat. Kaum im Amt, überraschte der junge Großherzog seine Berater mit einer mutigen Entscheidung – ohne die es heute vermutlich kein Welterbe in Schwerin gäbe: Er ließ den vom Vater angeordneten Bau eines Palais am Schweriner „Alten Garten“ stoppen, das der Familie als neues Zuhause hätte dienen sollen.

Wenige Jahre zuvor hatte die großherzogliche Familie beschlossen, ihren Hauptsitz aus Ludwigslust zurück an den Regierungssitz Schwerin zu verlegen und damit zum tradierten Herrschaftsort des Hauses Mecklenburg-Schwerin zurückzukehren. Das Schweriner Schloss indes hatte der Vater nicht ehrwürdig genug als Familiensitz gefunden, denn der imposante Bau, dessen Fundamente auf Relikten eines Slawenwalles aus dem 10. Jahrhundert ruhen, war in die Jahre gekommen und stark sanierungsbedürftig. Deshalb hatte er die Errichtung eines neuen Palais angeordnet.

Aber Friedrich Franz II. hatte eine größere Vision als sein Vater: Anstelle des neuen Palais wollte er das Schloss wieder herrichten und umbauen lassen, nicht einfach als Familiensitz, sondern als gestalterische Inszenierung der bis ins Mittelalter zurückreichenden Familiengeschichte. „Man spricht hier auch vom ‚Kapital der Ahnen'“, erklärt Ralf Weingart, Leiter des Schweriner Schlossmuseums. „Das Haus Mecklenburg-Schwerin hatte im 19. Jahrhundert keine bedeutende wirtschaftliche, militärische oder politische Macht. Deshalb waren die lange, lückenlose Ahnenreihe und Herrschaftstradition das wichtigste Kapital im Verkehr mit anderen Dynastien. Die Strategie war sehr erfolgreich, unter anderem sicherte man sich durch Heirat enge verwandtschaftliche Verbindungen zum preußischen Königshaus und zum Zarenhof in Russland.“

Wie sorgfältig die Inszenierung geplant war, zeigt sich zum Beispiel am so genannten Thronappartement des Schlosses – einer für das 19. Jahrhundert typischen Raumfolge dreier, steigernd aufeinander bezogener Säle, die hochgestellter Besuch auf dem Weg zum Herrscher passieren musste. Von der vergleichsweise schlichten „Schlössergalerie“ mit Darstellungen der zahlreichen Familienschlösser betraten Besucher die langgestreckte Ahnengalerie. Der Weg durch den prächtigen, kunstvoll vertäfelten Raum führt vorbei an lebensgroßen Porträts sämtlicher regierenden und stammerhaltenden Herzöge des Hauses Mecklenburg-Schwerin seit dem Mittelalter. Viel Recherche war nötig, um die Gemälde im 19. Jahrhundert zusammenzutragen bzw. anfertigen zu lassen. „Die Bilder der frühesten Vorfahren wurden eigens für die Ahnengalerie gemalt, weil man keine Gemälde aus dem 13. oder 14. Jahrhundert zur Verfügung hatte", erzählt Weingart. „Als Vorbilder dienten unter anderem Darstellungen von Grablegen und Kirchenmalereien.“

Wer an den Ahnen vorbei defiliert war, trat schließlich im Thronsaal dem Großherzog gegenüber. Dass die üppige Gestaltung des Raums mit zahlreichen vergoldeten Details, Wappen, Marmorsäulen, Skulpturen und Malereien geradezu erschlagend wirkte, nennt Weingart eine „Strategie der Überwältigung“. Der 1,5 Etagen hohe Raum, der Baldachin über dem goldverzierten Thron, die in Deckenbildern dargestellte Verschränkung göttlicher und weltlicher Autorität, das glänzende Holzparkett mit den Perlmutt-Intarsien, die überlebensgroßen Gemälde des Großherzogs und seiner Frau links und rechts vom Thron – alle Gestaltungselemente vermittelten eine übergeordnete Botschaft: Das Haus Mecklenburg-Schwerin ist herausragend in Geschichte und Gegenwart.

Historistische Vielfalt

Auch an der Außenfassade des Schlosses ist die großherzogliche Freude an der Inszenierung erkennbar – und der Wille, die historische Bedeutung seiner Familie herauszustellen. Der im 19. Jahrhundert aufkommende Baustil des Historismus gab Friedrich Franz II. und seinem Hofbaumeister Georg Adolf Demmler die perfekten Stilmittel dafür: Durch die Nachahmung und das Zitieren historischer Baustile konnte der Großherzog auch architektonisch die lange Herrschaftstradition seiner Dynastie herausstellen.

Gut erkennbar sind etwa in der Fassade des Schweriner Schlosses zahlreiche Terrakotta-Elemente im sogenannten Johann-Albrecht-Stil. Diese lokale Variante der Renaissance-Architektur ist nach Herzog Johann Albrecht I. benannt, einem Vorfahren von Friedrich Franz II. Dessen bauliche Ambitionen verschafften dem Terrakotta-Baustil im 19. Jahrhundert im Raum Mecklenburg eine zweite Blütezeit.

Wer indes allein den Johann-Albrecht-Stil oder das Schloss in den Blick nimmt, verpasst schnell, dass Schwerin viele verschiedene historistische Stile nebeneinander zu bieten hat – ein echtes Alleinstellungsmerkmal des Residenzensembles. Hinter der Neorenaissance-Fassade des Mecklenburgischen Staatstheaters etwa verbirgt sich ein neobarocker Theatersaal mit reichem Stuck und viel Gold. Die zwischen 1863 und 1869 erbaute Paulskirche mit ihren hohen Spitzbogenfenstern lässt sich der Neogotik zurechnen.

Die Liste der Baumeister, die Pläne zur Gestaltung von Schloss und anderen Gebäuden beigesteuert haben, umfasst die großen Namen der Architektur-Szene des 19. Jahrhunderts, darunter neben Demmler auch Gottfried Semper, Friedrich August Stüler und Ernst Friedrich Zwirner. Auf Forschungsreisen in Frankreich ließ sich Demmler unter anderem vom Schloss Chambord inspirieren. Die Gartenanlage rund um das Schloss hingegen ist im Stil der englischen Landschaftsgestaltung gehalten, entworfen von dem preußischen Star-Gartenkünstler Peter Joseph Lenné.

Mehr als die Summe seiner Teile

Am besten lässt sich das Zusammenspiel der Baustile, Gebäude und Parks in Schwerin erfassen, wenn man sie als ein Gesamtkunstwerk betrachtet, das die gesamte Infrastruktur des höfischen Lebens in Schwerin widerspiegelt. Neben dem Schloss, dem Theater und drei Kirchen gehören Militärgebäude dazu, der Bahnhof, eine ehemalige Schule für höfische Beamte, verschiedene Palais und Wohnhäuser, sogar ein Krankenpferdestall ist Teil des Ensembles. Lange Sichtachsen verbinden die einzelnen Elemente zu einem harmonischen Ganzen. „Das Besondere in Schwerin ist, dass wir nicht wie an anderen Orten alle Funktionen und Teile der Residenz in einem Schloss integriert haben, sondern dass sich das Ensemble vom Schloss aus in die ganze Stadt hinein entwickelt hat“, sagt Lucas Scharfe von der Stabsstelle Weltkulturerbe der Schweriner Stadtverwaltung.

Ungewöhnlich ist aus heutiger Sicht außerdem, dass viele der historischen Gebäude so gut erhalten sind. Grund dafür ist unter anderem, dass die Stadt im zweiten Weltkrieg als Angriffsziel keine hohe Priorität hatte. „Man kann mit einem weinenden Auge auf die nicht ganz so dynamische industrielle Entwicklung im frühen 20. Jahrhundert schauen. Die hat es aber auch möglich gemacht, dass sich der Kern des 19. Jahrhunderts hier bei uns so gut erhalten hat“, sagt Dr. Rico Badenschier, Oberbürgermeister von Schwerin. „Daher ist es vielen Schwerinerinnen und Schwerinern sehr bewusst, was wir hier haben. Lange bevor es in der DDR ein Denkmalschutzgesetz gab, hatten wir hier schon eine Denkmalsatzung, 1961 war das.“ Auch die Welterbe-Bewerbung sei aus der Bürgergesellschaft heraus entstanden, betont Badenschier.

Die heutige Schlossherrin ist demokratisch gewählt

Zum Erhalt vieler Gebäude hat zudem beigetragen, dass sie durchgehend genutzt wurden. Die drei Hoflieferanten-Gebäude im Ensemble beherbergen heute einige der ältesten Unternehmen der Stadt, in anderen Bauwerken residieren Ministerien. Auch das Schloss wurde durchgehend genutzt, wenn auch mit häufigen Wechseln. Nachdem 1918 die Monarchie in Deutschland ein Ende fand, ging das Schloss in Staatsbesitz über. Seitdem diente es unter anderem als Museum, Lazarett, Sitz des sowjetischen Militärs und pädagogische Schule. Seit Herbst 1990 ist es wieder Regierungssitz: Neben dem Schlossmuseum beherbergt es den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern. „Die Besonderheit dieses Schlosses ist natürlich, dass wir eine sehr unterschiedliche Nutzung haben: zum einen die Herzkammer der Demokratie, zum anderen aber auch noch die museale Nutzung mit dem Thronsaal“, sagt Birgit Hesse, Landtagspräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern. „Das ist gerade für uns Parlamentarier eine tolle Herausforderung, weil man gut den Unterschied zwischen einer Demokratie und beispielsweise einer Monarchie vermitteln kann.“

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