Auf ein Wort,

Lernen die Welt zu verändern – das neue UNESCO-Programm für Bildung für nachhaltige Entwicklung und die Agenda 2030 („ESD for 2030“)

Porträt von Prof. Dr. Maria Böhmer

Prof. Dr. Maria Böhmer
Präsidentin der Deutschen UNESCO-Kommission

Nach fünf Jahren UNESCO-Weltaktionsprogramm Bildung für nachhaltige Entwicklung zieht Prof. Dr. Maria Böhmer im Interview Bilanz und spricht mit uns über den Mannheimer Appell der Deutschen UNESCO-Kommission „Lernen die Welt zu verändern“.

In diesem Jahr wird Bilanz gezogen zum UNESCO-Weltaktionsprogramm Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE). Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Erfolge der vergangenen fünf Jahre in Deutschland?

Wir stellen fest, dass BNE inzwischen vielerorts als wichtiger Treiber für Wandel verstanden und genutzt wird. Mit unserer Arbeit ist es uns gelungen, dass viele Kitas, Schulen und Behörden, aber auch Kommunen und Landesregierungen BNE in ihre Leitlinien und Lehrpläne aufgenommen haben. Ein wichtiger Schritt dafür war der Nationale Aktionsplan BNE. 2017 haben Bund, Länder, Kommunen, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft gemeinsam konkrete Ziele und Maßnahmen vereinbart, um BNE dauerhaft in der deutschen Bildungslandschaft zu verankern. Mehr als 300 Selbstverpflichtungen liegen zum Nationalen Aktionsplan vor. Sie beweisen, dass viele Institutionen in Deutschland inzwischen die Dringlichkeit von BNE verstanden haben und neue, innovative Wege gehen.

Dank vieler engagierter Initiativen wird BNE immer mehr zu einer gelebten Praxis. Sie verbinden auf kreative Weise ökologische Nachhaltigkeitsziele mit sozialen und wirtschaftlichen. Zum Beispiel in einem Projekt, bei dem Schülerinnen und Schüler älteren Menschen zeigen, wie sie die Fahrplanauskunft der öffentlichen Verkehrsmittel über ihr Smartphone nutzen können. Dabei erklären sie auch Sonderfunktionen wie das Online-Ticket. Dieses Lernen zwischen den Generationen bedeutet Unterstützung nachhaltiger Mobilität, und zugleich mehr Freiheit für Ältere. Jedes Jahr zeichnen wir als Deutsche UNESCO-Kommission zusammen mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung solche Initiativen aus. Die steigende Bewerberzahl zeigt, dass BNE in Deutschland Fahrt aufnimmt.

Die Deutsche UNESCO-Kommission hat sich im Mannheimer Appell „Lernen die Welt zu verändern“ zum UNESCO-Folgeprogramm zu BNE geäußert. Wie soll BNE künftig anders verstanden werden und mit welchem Ziel?

Trotz aller Fortschritte, BNE befindet sich noch immer in einer Art Nische. Denn an einigen Stellen wird BNE noch immer als Bildung zu einem einzelnen Thema verstanden. Unser Ziel ist aber, dass Institutionen wie Schulen oder Jugendzentren BNE als ein umfassendes Bildungskonzept verstehen und auf alle Themenbereiche anwenden.

Wir machen in unserem Appell deutlich: BNE ist Treiber für die gesamte Agenda 2030 – also für alle Weltprobleme unserer Zeit. BNE ist damit ein wichtiger Teil der Bildungsqualität und absolut notwendig, um andere Bildungsziele wie Chancengerechtigkeit, inklusive Bildung und lebenslanges Lernen zu erreichen. BNE ist in unseren Augen zugleich eine transformative und politische Bildung.

Im Mannheimer Appell äußert sich die Deutsche UNESCO-Kommission auch zu den Bezügen zwischen BNE und der Agenda 2030. Welche Aspekte sind Ihnen dabei besonders wichtig und wo sehen Sie Handlungsbedarf?

Für die 17 Ziele der globalen Nachhaltigkeitsagenda kommt BNE eine besondere Rolle zu. Ich erinnere daran, dass alle Staaten sich verpflichtet haben, diese bis 2030 zu erreichen. Leider sind die Fortschritte bislang unzureichend, wie allein das zunehmende Artensterben zeigt.

BNE ist ein unerlässliches Mittel, um alle 17 Ziele zu erreichen. Diese Bedeutung von BNE arbeitet das UNESCO-Folgeprogramm „ESD for 2030“ deutlich heraus. Dabei sollten wir Zielkonflikte der Agenda, wie sie etwa zwischen Ziel 12 „nachhaltige Konsum und Produktion“ und Ziel 8 „menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum“ durchaus bestehen, stärker in den Blick nehmen und kritisch reflektieren. Gute BNE hilft dabei, Zielkonflikte zu erkennen und ausgewogene und wirksame Lösungen zu finden.

Das betrifft auch unsere tagtäglichen Entscheidungen: Unsere Welt erfordert globales Denken und Handeln. Das fängt bei den Lebensmitteln, die ich konsumiere, an und betrifft auch die Verkehrsmittel, die ich nutze. Gleichzeitig dürfen wir aber unsere Lebenslust nicht verlieren: Nicht jede Entscheidung muss in globaler Verantwortung erfolgen – aber die, auf die es ankommt. BNE bedeutet, in diesen Zusammenhängen denken zu lernen und genau deshalb halte ich es für notwendig, BNE als Bildungskonzept stark zu machen, das globales Denken und Handeln vor Ort ermöglicht.
 

Mit dem Appell verpflichtet sich die Deutsche UNESCO-Kommission dazu, ihre Kooperation mit der Bundesregierung, den Ländern und den UNESCO-Netzwerken weiterzuführen. Wo genau wünschen Sie sich eine stärkere Zusammenarbeit und mehr Engagement der Partner?

Gemeinsam mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung arbeiten wir daran, BNE in allen Bildungsbereichen in Deutschland zu verankern. Dabei sind wir auf einem guten Weg, wir profitieren gegenseitig von unseren Möglichkeiten und unserem Erfahrungsschatz. Das hat sich etwa bei der gemeinsamen Arbeit am Nationalen Aktionsplan gezeigt, wo Vertreterinnen und Vertreter von Bund, Ländern und Zivilgesellschaft ihre jeweilige Verantwortung und ihr Fachwissen eingebracht haben. Ich wünsche mir, dass wir uns in Zukunft noch enger untereinander austauschen, um das Engagement für BNE, das vielerorts gelebt und weiterentwickelt wird, sichtbar zu machen.

Ein wichtiger Punkt ist dabei die Aus- und Fortbildung von Lehrkräften, Erzieherinnen und Erziehern und anderem Bildungspersonal. BNE braucht einen festen Platz in allen Lehr- und Ausbildungsplänen. Außerdem haben wir in den vergangenen Jahren festgestellt, dass manche Bildungsprogramme, die nachhaltiges Handeln zum Ziel haben, nicht immer auf die bewährten Grundsätze von BNE zurückgreifen. Hier sind unter anderem die Länder gefragt. Als DUK arbeiten wir diesbezüglich vor allem mit den UNESCO-Netzwerken intensiv zusammen. Auch die Bundesregierung fördert nachhaltige Entwicklung gemäß der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie auf vielfältige Art und Weise, zum Beispiel in den Bereichen biologische Vielfalt oder Rohstoffeffizienz. Aus unserer Sicht ist es sinnvoll, solche Förderung deutlich stärker mit Bildung allgemein und gerade mit BNE zu koppeln.

Aber allein das Wissen um nachhaltige Entwicklung reicht nicht aus. Nachhaltiges Handeln setzt auch Werte und Haltungen voraus. Jeder Mensch muss hier unterschiedlich angesprochen werden. Daher ist eines unserer Ziele, weitere Partnerinnen und Partner für BNE zu gewinnen, etwa aus den Bereichen Wirtschaft oder Kultur.
 

Fridays for Future ist nur eine von vielen Initiativen, weshalb nachhaltige Entwicklung gerade in aller Munde ist. Was hat solche gesellschaftliche Artikulation aus Ihrer Sicht mit BNE zu tun?

Viel! Aus meiner Sicht zeigen diese Initiativen, dass BNE schon viele Früchte getragen hat. Diese zivilgesellschaftlichen Bewegungen führen uns vor Augen, dass viele Menschen verstanden haben: So wie heute können wir nicht weitermachen, wenn wir unseren Planeten als einen lebenswerten Ort erhalten wollen. Großartig ist, dass dies gerade die jungen Menschen nicht nur verstanden haben, sondern dass sie einen Wandel sehr beharrlich und selbstbewusst einfordern. Mit ihrem Einsatz bewegen sie viele andere Menschen, nicht nur ihr eigene Umfeld, dazu, sich mit nachhaltiger Entwicklung auseinanderzusetzen. BNE wird immer mehr aus der Gesellschaft heraus getragen und genau das wollen wir mit unserer Arbeit erreichen.

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