Bildung für nachhaltige Entwicklung: Standortfaktor in Frankfurt am Main

Von Michael Schlecht

Um eine nachhaltige Entwicklung in einer Stadt wie Frankfurt am Main zu gestalten, braucht es Wissen, Können und Wollen. Wissen, um die Herausforderungen wie die Globalisierung und den Klimawandel zu verstehen. Können, um mit technischen Möglichkeiten, sozialen oder wirtschaftlichen Innovationen umgehen zu können. Und schließlich den Willen, gemeinsam neue Wege zu einer nachhaltigen, gerechten und lebenswerten Stadt zu gehen.

Die Frankfurter Stadtverordneten haben deshalb bereits 2008 die Beteiligung der Stadt an der damaligen UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (BNE) beschlossen. Das Netzwerk „Nachhaltigkeit lernen in Frankfurt“ wurde gegründet, und zahlreiche Projekte und Programme wurden ins Leben gerufen. Dabei hat sich BNE als Impuls für Innovation, Partizipation und Integration in der Bildungslandschaft bewährt. Für diese innovative Arbeit wurde Frankfurt 2016 als Kommune im Rahmen der deutschen Umsetzung des UNESCO-Weltaktionsprogramms Bildung für nachhaltige Entwicklung ausgezeichnet.

Integration

Frankfurt ist eine wachsende Stadt. Jahr für Jahr erhöht sich die Zahl der Einwohner um über 10.000. Kennzeichnend ist auch eine hohe Fluktuation; die Hälfte der Bevölkerung tauscht sich innerhalb von 10 Jahren aus. Die Bevölkerung setzt sich aus Menschen aus rund 170 verschiedenen Nationen zusammen.

Die diverse, wachsende und mobile Stadtbevölkerung stellt Frankfurt vor große Herausforderungen. Es gilt die Neubürger, ob geplant Zugezogene oder nach Frankfurt Geflüchtete, aktiv in die Stadt zu integrieren und die soziale Kohärenz in der Stadtgesellschaft zu fördern.

Bildung ist ein Schlüssel zur Integration. Die Einrichtung von Intensivklassen für Geflüchtete an den Schulen, die Angebote für Familien wie „Mama lernt Deutsch“, die Qualifizierung städtischer Mitarbeiter im Bereich interkultureller Kompetenz sind Beispiele einer erfolgreichen Integrationsarbeit. Im BNE-Programm „Schuljahr der Nachhaltigkeit“ werden bereits Grundschulkindern globale Fragestellungen vermittelt und Empathie angebahnt. Dass Bildung und Integration in Frankfurt zusammen gedacht werden, wird auch durch die Verortung in einem gemeinsamen Dezernat deutlich.

Partizipation

Die wachsende Stadt soll als Chance genutzt werden, Frankfurt als lebenswerte und zukunftsfähige Metropole zu gestalten. Dabei müssen unterschiedliche Interessen und Bedürfnisse sowie ökonomische, ökologische und soziale Aspekte berücksichtigt werden. Das im Jahr 2016 in Bürgerversammlungen vorgestellte integrierte Stadtentwicklungskonzept dient als Entwicklungsrahmen. Durch eine umfangreich angelegte Bürgerbeteiligung wurde hier versucht, Wissen, Sichtweisen und kreative Potenziale der Stadtgesellschaft in den Planungsprozess zu integrieren.

An den Frankfurter Schulen lernen Kinder und Jugendliche Beteiligung ganz praktisch. Beispiele hierfür sind das bewährte Programm zur Schulhofgestaltung oder die Beteiligung von Schülerinnen und Schülern bei der Schulwegplanung. Viele Schulen beteiligten sich aktiv an den Bildungswettbewerben „Stadt der Zukunft“ und „Brücken in die Zukunft“. Für dieses Engagement wurden die Schülerinnen und Schüler in der Paulskirche geehrt. Der festliche Rahmen macht die Bedeutung und den Stellenwert der Partizipation von Kindern und Jugendlichen in der Stadtgesellschaft deutlich. 

Innovation

Die nachhaltige Entwicklung von Städten erfordert technische wie soziale Innovation. Beides ist ohne Bildung nicht denkbar. Zwei Beispiele machen dies deutlich:

Frankfurt setzt seit Jahren auf die Förderung von Energieeffizienz zur Verminderung der CO2-Emissionen. Alle neuen Schulen und viele Wohngebäude werden nach Passivhaus-Standard gebaut. Für diese wie andere Transformationen ist nicht nur Akzeptanz gefragt, sondern ein aktives Handeln. Im Rahmen des Klimaschutzkonzepts der Stadt nimmt deshalb Klimabildung eine wichtige Rolle ein, etwa beim temporären „Plus-Energie-Haus“ oder beim Angebot von Lernwerkstätten zum Thema „Passivhaus“ für Schulen. Technische Innovation wird hier durch Bildungs- und Vermittlungsprozesse zum Erfolg geführt.

Neue nachhaltige Bewegungen bringen soziale Innovation in die Stadtgesellschaft: Als FabLab-Initiative, als Transition-Town-Gruppe, als Urban-Gardening-Projekt oder als Repair-Café erproben sie nachhaltige Formen des Lebens und Wirtschaftens. Sie können helfen, eine Praxis zu entwickeln, an der sich gesellschaftlicher Wandel in der Stadt orientieren kann. 

Das Netzwerk „Nachhaltigkeit lernen in Frankfurt“ hat diese Initiativen aufgegriffen. Gemeinsam wurde Ende 2015 die Tagung „Nachhaltigkeit selbst in die Hand nehmen“ durchgeführt. Hieraus entstand ein Handlungsplan, der sich an der Roadmap des Weltaktionsprogramms BNE orientiert und als Leitfaden für die Aktivitäten der nächsten Jahre dienen soll.

Erfolgskriterien

Mit dem Beschluss der Stadtverordnetenversammlung zur Beteiligung an der UN-Dekade BNE wurde das Netzwerk „Nachhaltigkeit lernen in Frankfurt“ gegründet. Hier ist es gelungen, Akteure zusammenzubringen, die aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen kommen und vielfältige Interessen verfolgen. Vertreter aus Institutionen, Unternehmen, Zivilgesellschaft und Schulen sind vertreten. Das Netzwerk hat sich zum entscheidenden Movens der Etablierung von BNE in der Frankfurter Bildungslandschaft entwickelt. In ihm finden personengebundene soziale und politische Prozesse statt, von der alle Akteure profitieren. Das Netzwerk ermöglicht schrittweise einen Wandel zu mehr Nachhaltigkeit, ohne über zentrale Durchgriffsmöglichkeiten zu verfügen. Statt des Bohrens harter Bretter sind die Suche nach Möglichkeiten sowie ein langer Atem gefragt. Möglich wurde dies durch den Blick auf die Akteure: Offenheit, dialogische Kommunikation, Beharrlichkeit und Freude am praktischen Erfolg. Nach den fast 10 Jahren der UN-Dekade hat Bildung für nachhaltige Entwicklung in Frankfurt einen hohen Stellenwert erreicht.

Herausforderungen

Die erfolgreiche Arbeit verläuft nicht linear und bleibt nicht ohne Rückschläge. Die Zusammenarbeit im Netzwerk bedarf der sorgfältigen Pflege, des zielgerichteten Ausbaus und zukunftsorientierter Impulse.

Erforderlich ist ein Umsteuern auf mittel- und langfristige Zukunftsinteressen. Hierbei gilt es, teilweise vorhandenes „Silodenken“ und Routinen bei Verwaltung, Unternehmen und NGOs zu hinterfragen und zu überwinden. Getragen von gegenseitiger Wertschätzung kann Bildung hier einen Dialog über gemeinsame Ziele und Vorteilspartnerschaften moderieren.

Bei der baulichen Stadtentwicklung können die Ausrichtung auf wirtschaftliche Interessen und fest gefügte Akteurskonstellationen der Teilhabe entgegenstehen. Hierdurch können Exklusionsdynamiken verstärkt und städtische Eigenarten zurückgedrängt werden. Beteiligung darf kein formaler Vorgang sein, sondern muss Entscheidungsmöglichkeiten transparent machen und tatsächliche Teilhabe ermöglichen. Bildung für nachhaltige Entwicklung vermittelt hier Kompetenzen für einen informierten Dialog, die Bildungsprozesse können selbst zur Teilhabe führen.

Vision

Bereits 2013 hat in Frankfurt der zivilgesellschaftliche Dialog „Schöne Aussichten“ für mehr solidarische Lebensqualität in Frankfurt begonnen. Die entwickelten Indikatoren beziehen sich unter anderem auf das „Miteinander in Arbeit und Wirtschaft“, die Qualität von Bildungsangeboten, den Zugang zu Kultureinrichtungen, die Achtung der Natur und das „friedliche Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen, Generationen und Lebensformen“. Sie lesen sich heute wie lokale Ziele für die Sustainable Development Goals. Bildung wird hier als transformatorische Bildung einen entscheidenden Beitrag leisten. Sie wird die lokale Bildungslandschaft in Institutionen, Netzwerken und der täglichen pädagogischen Praxis durchdringen.

Das „Schuljahr der Nachhaltigkeit“ ist an allen Grundschulen etabliert, an allen weiterführenden Schulen werden regelmäßig Projektwochen zur nachhaltigen Entwicklung durchgeführt, in Oberstufen arbeitet das „Lernlabor Nachhaltigkeit“ in Zusammenarbeit mit Forschungseinrichtungen. Bildung für nachhaltige Entwicklung wird auch in der Stadt stärker sichtbar werden. Ein „Haus der Zukunft“ kann ein Leuchtturm in der Frankfurter Bildungslandschaft sein. Bereits 2016 hat das Netzwerk „Nachhaltigkeit lernen in Frankfurt“ im Rahmen eines städtebaulichen Wettbewerbs die Konzeption und den architektonischen Entwurf vorgestellt. 2030 wird es viele „Häuser der Zukunft“ geben!

Michael Schlecht ist seit 20 Jahren Geschäftsführer des stadtnahen Vereins Umweltlernen in Frankfurt, der im Auftrag der Stadt die Aktivitäten zum Weltaktionsprogramm BNE koordiniert. Zuvor war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Biologiedidaktik der Goethe-Universität Frankfurt. Er hat Lehramt für die Fächer Biologie und Gesellschaftswissenschaften studiert.