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Zukunft Stadt. Zwischen Erbe und Transformation

Hauptversammlung der Deutschen UNESCO-Kommission diskutierte die Rolle von Erbe, Lern- und Transformationsprozessen für eine nachhaltige Stadtentwicklung

Die Transformation von Städten wird maßgeblich über den Erfolg der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen entscheiden. Bevölkerungsexplosion, Migration, Klimawandel und Infrastrukturmaßnahmen erzeugen einen starken sozialen und kulturellen Veränderungsdruck in den Städten weltweit – sie bedrohen urbanes Kulturerbe und setzen zugleich Innovationspotenzial frei. Welche Rolle Erbe und Lernen für die Transformationsprozesse einer nachhaltigen Stadtentwicklung spielen, diskutierte die 77. Hauptversammlung der Deutschen UNESCO-Kommission (DUK) am 29. Juni 2017 in Bonn.

Staatsministerin Prof. Dr. Maria Böhmer erläuterte in ihrem Festvortrag Ideen für eine nachhaltige Stadtentwicklung und legte ihre Sicht auf das Engagement Deutschlands in der UNESCO dar. Prof. Dr. Frauke Kraas, Professorin am Geographischen Institut der Universität zu Köln, präsentierte anschließend die Perspektive urbaner Transformation in den Entwicklungs- und Schwellenländern Asiens. Ihre Thesen diskutierte sie im Anschluss mit Dr. Manfred Beck, Vorsitzender des Fachforums Kommunen zur nationalen Umsetzung des UNESCO-Weltaktionsprogramms Bildung für nachhaltige Entwicklung und Prof. Dr. Wolfgang Kaschuba, Vorsitzender des Fachausschusses Kultur und des Beirats Vielfalt kultureller Ausdrucksformen der DUK. Die Diskussion moderierte die Journalistin Dr. Tanja Busse.

Nachhaltigkeit undenkbar ohne Bildung

Was bedeutet ökonomische, ökologische und soziale Nachhaltigkeit für Stadtentwicklung? Und was hat die UNESCO damit zu tun? Staatsministerin Böhmer begann ihre Festrede mit einem Blick auf die urbanen Herausforderungen und den Beitrag der UNESCO zu nachhaltiger Stadtentwicklung. „Nachhaltigkeit ist undenkbar ohne Bildung“, sagte die Staatsministerin. „Deshalb sind Ziel 11 und Ziel 4 der Agenda 2030 zu Recht eng miteinander verknüpft. Deshalb ist die UNESCO so wichtig.“

Angesichts von vehementen Urbanisierungsprozessen ist der Mensch mit seinen Bedürfnissen Ausgangspunkt und Maßstab jedes Planungsprozesses. Bedeutendes immaterielles und gebautes Erbe wie das Weltkulturerbe ermöglicht die Stärkung der Identifikation mit einer Stadt bei gleichzeitiger Anpassung an moderne Lebensweisen. Mit der erfolgreichen Nominierung der Genossenschaftsidee und -praxis für die Liste des Immateriellen Kulturerbes der Menschheit hat Deutschland 2016 dem immateriellen Kulturerbe national und international einen Innovationsschub gegeben. Kompetenz entwickeln, um Verantwortung zu übernehmen, soziale Integration und Teilhabe, diese zentralen Voraussetzungen einer nachhaltigen Stadtentwicklung werden durch die Genossenschaftsidee von rund 800 Millionen Menschen in über 100 Ländern gefördert.

Urbanes Kulturerbe als Hebel für Transformation

Frauke Kraas betonte, dass die Stadtentwicklung in Asiens Entwicklungs- und Schwellenländern von Wachstumsrhetorik dominiert wird. Regierung und Privatwirtschaft konzentrieren sich auf die schnelle und preiswerte Entwicklung weniger Städte. Durch ein „Kopieren des Westens“ werden nicht-nachhaltige Pfadabhängigkeiten übernommen. Ökologische und soziale Probleme werden vernachlässigt; Partizipation gilt als hinderlich für Wachstum. Kaum werden Konzepte integrierter Stadtentwicklung diskutiert, zum Beispiel die räumliche Verteilung städtischer Funktionen. Urbanes Kulturerbe kann dabei Hebelwirkung für Transformation und für kulturell und sozial angepasste Lösungen entfalten.

Bildung, Lernen und Partizipation in die Stadtentwicklung integrieren

In der anschließenden Podiumsdiskussion schlug Wolfgang Kaschuba einen Bogen zu den stadtplanerischen Herausforderungen der europäischen Stadt im 21. Jahrhundert. Hierzu zählen der Umgang mit Zuwanderung und auch städtische Verdichtung. Städte brauchen die Fähigkeit, sich ständig selbst zu erneuern, um einen hohen Lebenswert zu bieten. Ein Schlüssel dazu ist der öffentliche Raum.

Manfred Beck präsentierte seine Erfahrungen als Stadtdirektor in Gelsenkirchen im Ruhrgebiet – einem allein durch die Verfügbarkeit von Arbeitsplätzen entstandenem Raum. Während seiner Amtszeit schrumpfte die Bevölkerung dreizehn Jahre lang, bis durch Migration und Zuzug von Flüchtlingen die Kehrtwende erfolgte: In den letzten drei Jahren stieg die Bevölkerung Gelsenkirchens um 10.000 Einwohner. Gelsenkirchens Strategie für diese Herausforderungen lautet: Bildung und Lernen in die Stadtentwicklung zu integrieren.

Intensiv gelebte Nachbarschaft ist für Frauke Kraas in Asien das tragende Element städtischen Lebens – im Gegensatz zu dem häufig anonymen nachbarschaftlichen Zusammenleben in europäischen Städten. Wolfgang Kaschuba zufolge sind in Europa heute interessengeleitete neuen „Wahlnachbarschaften“ der Ersatz hierfür. Elemente der Vergemeinschaftung entwickeln sich entlang der Herausforderungen der Stadt. Ernsthafte Formen der Konsultation und Partizipation der Bürgerinnen und Bürger an Projekten der Stadtentwicklung ist mittlerweile in vielen Städten die Norm. Wolfgang Kaschuba hob die Bedeutung der Moderation zivilgesellschaftlicher Prozesse hervor. Einzelnen Initiativen muss verständlich gemacht werden, welche Rolle die von ihnen vertretenen Anliegen im Kontext der Gesamtsituation einer Stadt spielen.

In Asien gibt es laut Frauke Kraas kaum Vereine und organisierte Zivilgesellschaft, somit fehlt eine Voraussetzung für partizipative Diskurse. Im Zuge der Globalisierung und Zuwanderung muss offener darüber diskutiert werden, wie andere Gesellschaften mit „Stadt“ umgehen. „copy-paste“ Instrumente der Stadtentwicklung sind nicht mehr geeignet.

Ein neues Leitbild von Urbanität?

Es gibt nicht „die Stadt“, hier war sich das Panel einig. Regensburg und Gelsenkirchen stehen vor völlig unterschiedlichen Herausforderungen. Zugleich ist das Anknüpfen an lokale Traditionen für die meisten Städte zentraler Faktor für Identifikation. „Der Reichtum Deutschlands wurde im Ruhrgebiet und im Saarland erarbeitet“ – mit diesem Bezug wurde laut Manfred Beck in Gelsenkirchen positive Identifikation der Einwohner mit dem Ruhrgebiet geschaffen.

Hintergrund

Auf der dritten Gipfelkonferenz von UNHABITAT, des Wohn- und Siedlungsprogramms der Vereinten Nationen, hat die Staatengemeinschaft im Oktober 2016 in Quito, Ecuador die „New Urban Agenda“ verabschiedet. Auf Basis der Ziele nachhaltiger Entwicklung (SDGs) der Vereinten Nationen fördert sie weltweit eine nachhaltige Stadtentwicklung. Ziel 11 der SDGs ist ein eigenständiges Ziel zu nachhaltiger Stadtentwicklung.

Weitere Informationen

Städte und Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)
Kurzporträts sieben deutscher BNE-Kommunen  
The New Urban Agenda - Ergebnis von Habitat III, dem dritten Weltsiedlungsgipfel der Vereinten Nationen