Inklusive Bildung in Deutschland stärken

Resolution der 71. Hauptversammlung der Deutschen UNESCO-Kommission, Berlin, 24. Juni 2011

Resolutionen der Deutschen UNESCO-Kommission

Über die Verabschiedung von Resolutionen der Deutschen UNESCO-Kommission beschließt die Hauptversammlung auf ihrer jährlichen Tagung.

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I.

Jedes Kind ist einzigartig. Es hat ein Recht auf Achtung, Wohlergehen, Entfaltung seiner Persönlichkeit und auf vielfältige Entwicklungschancen, so niedergelegt im UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes. Dass alle Menschen weltweit Zugang zu qualitativ hochwertiger Bildung erhalten und ihre Potenziale entfalten können, ist eines der wichtigsten Ziele der UNESCO. Dieser Anspruch ist universal und gilt unabhängig von Geschlecht, Herkunft, sozialen oder ökonomischen Voraussetzungen, Behinderung oder besonderen Lernbedürfnissen.

Inklusion im Bildungswesen ist Voraussetzung, um die Ziele des Aktionsplans "Bildung für Alle" erreichen zu können und insbesondere die Bildungsqualität zu steigern. Inklusion rückt die unterschiedlichen Bedürfnisse aller Lernenden in den Mittelpunkt und begreift Vielfalt als Chance für Lern- und Bildungsprozesse. Inklusive Bildung erfordert flexible Bildungsangebote und dementsprechende strukturelle und inhaltliche Anpassungen in der frühkindlichen Bildung, dem Schulwesen, der Aus- und Weiterbildung und dem Hochschulwesen. Individuelle Förderung und Unterricht in heterogenen Gruppen sind die Grundlage für eine inklusive Entwicklung. Inklusion beinhaltet das Recht auf gemeinsamen Unterricht in einer allgemeinen Schule. In der von Deutschland und der Europäischen Union ratifizierten UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen ist dieses als Menschenrecht definiert.

Deutschland hat im Vergleich zu vielen seiner europäischen Nachbarn einen erheblichen Nachholbedarf bei der Entwicklung zu einem inklusiven Bildungswesen. Auch die Unterschiede zwischen den Ländern sind groß. Sowohl die bisherigen gesetzlichen Regelungen als auch die schulische Praxis haben zu Quoten von Schülern mit Förderbedarf an allgemeinen Schulen zwischen 7% und 45% geführt. Barrieren müssen zügig abgebaut und die erforderlichen Strukturen eines inklusiven Bildungssystems aufgebaut werden, um Inklusion umfassend in allen Bildungsbereichen zu ermöglichen.

II.

Die Deutsche UNESCO-Kommission

  • bekräftigt die Forderung der 48. UNESCO-Weltkonferenz der Bildungsminister im November 2008 in Genf, Bildungssysteme inklusiv zu gestalten;
  • unterstreicht das in der UN-Behindertenrechtskonvention verankerte Menschenrecht auf gemeinsames Lernen in der frühkindlichen Bildung und in der Regelschule;
  • begrüßt das Konzept der Inklusion, das die unterschiedlichen Bedürfnisse aller Lernenden in den Mittelpunkt rückt und Vielfalt als Chance für Lern- und Bildungsprozesse begreift;
  • ist überzeugt, dass Inklusion als übergreifendes Prinzip sowohl die Bildungspolitik als auch die Bildungspraxis leiten muss;
  • betont, dass durch eine gute Umsetzung dieser Leitidee die Qualität in der Bildung gesteigert und die Chancengleichheit verstärkt wird.

III.

Die Deutsche UNESCO-Kommission fordert Bund, Länder und Kommunen auf,

  1. in den Schulgesetzen der Länder bisher enthaltene Vorbehalte gegenüber Integration oder Inklusion aufzuheben und das individuelle Recht auf den Besuch allgemeiner und berufsbildender Schulen zu verankern und praktisch zu verwirklichen;
  2. zügig Aktionspläne auf Landes- und kommunaler Ebene zur inklusiven Bildung zu erarbeiten;
  3. inklusive Bildung als Leitidee in der Aus- und Fortbildung aller pädagogischen Berufe einschließlich aller Lehrämter zu verankern und mit entsprechenden Pflichtanteilen auszugestalten;
  4. die Sonderschulen planvoll in das allgemeine Schulwesen zu überführen; dabei die materiellen Ressourcen und die sonderpädagogische Kompetenz der Lehrkräfte aus den bisherigen Sonderschulen zur systemischen und individuellen Beratung und Unterstützung für die Förderung der Schülerinnen und Schüler in den inklusiv arbeitenden Bildungseinrichtungen einzusetzen; wo sinnvoll, Unterstützungssysteme ohne Schüler außerhalb der allgemeinen Schulen für die Umsetzung inklusiver Bildung zu nutzen;
  5. die notwendige sächliche, personelle und finanzielle Ausstattung für die Umsetzung inklusiver Bildung zu sichern;
  6. alle kommunalen Strukturen in die inklusive Entwicklung einzubinden und die Zusammenarbeit von Jugendhilfe und sozialen Diensten mit allen Bildungseinrichtungen zu fördern;
  7. wissenschaftliche Forschung  zu inklusiver Bildung und deren Umsetzung in Deutschland zu fördern;
  8. öffentlich für eine inklusive Bildung einzutreten und den Wissensaustausch über inklusive Bildungspraxis zu unterstützen.