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Die deutsche Bildungspolitik unter dem Eindruck der Globalen Bildungsagenda 2030

Hauptversammlung der Deutschen UNESCO-Kommission diskutierte Perspektiven der Bildungspolitik

Im September 2015 beschloss die Weltgemeinschaft mit der Globalen Nachhaltigkeitsagenda auch eine neue Bildungsagenda. Sie fordert, dass bis 2030 für alle Menschen weltweit eine chancengerechte, inklusive und hochwertige Bildung Realität wird. Zudem sollen alle Menschen die Möglichkeit zum lebenslangen Lernen erhalten. Auch Deutschland ist nun gefordert, die Bildungsagenda 2030 umzusetzen. Wie dies gelingen kann, diskutierten Teilnehmer der öffentlichen Veranstaltung im Rahmen der 76. Hauptversammlung der Deutschen UNESCO-Kommission (DUK) zum Thema "Die deutsche Bildungspolitik unter dem Eindruck der Globalen Bildungsagenda 2030" am 16. Juni 2016 in Potsdam.

Staatsminister a.D. Julian Nida-Rümelin, Professor für Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, hielt den Festvortrag zu seiner "Philosophie einer humanen Bildung". Im Anschluss diskutierte er mit Ministerin a.D. Ute Erdsiek-Rave, Bildungspolitikerin und Vorsitzende des Expertenkreises Inklusive Bildung der DUK, und dem Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Christoph Wulf, DUK-Vizepräsident, über das Verhältnis seines Ansatzes zur Globalen Bildungsagenda 2030. Die Diskussion moderierte Minister a.D. Walter Hirche, Vorsitzender des Fachausschusses Bildung der DUK. 

"Bildung ist Grundlage einer funktionierenden Demokratie"

Nida-Rümelin begann seinen Vortrag mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit einer anthropologischen Selbstverständigung. Insofern jeder Bildungspolitik ein mehr oder weniger implizites Menschenbild zugrunde liege, sei eine diesbezügliche Vergewisserung unabdingbar. Im Gegensatz zu der weit verbreiteten Reduktion bildungspolitischer Zusammenhänge auf quantitative Messverfahren sei dies jedoch keine rein empirische, sondern vielmehr eine normative Frage. In der Folge skizzierte Nida-Rümelin wichtige Elemente seines humanistischen Menschenbilds, für das der Selbstweck von Bildung charakteristisch sei: "Bildung ist etwas, was man um ihrer selbst willen wollen sollte und nicht als bloßes Instrument für andere Zwecke.“ Bildung sei dazu bestimmt, so führte Nida-Rümelin diesen Gedanken aus, Menschen zu Autoren eines selbstbestimmten und stimmigen Lebens zu befähigen. Zugleich sei sie die Grundlage einer funktionierenden Demokratie. Demokratie setze voraus, dass Menschen in der Lage sind, sich ein vernünftiges Urteil zu bilden und auf dieser Basis zu begründeten Entscheidungen zu kommen. "Ohne diese Bildungsidee hängt die Demokratie in der Luft", so Nida-Rümelin.

Der enge Zusammenhang zwischen Demokratie und kultureller Vielfalt weise auch auf die Notwendigkeit eines inklusiven Bildungsbegriffs hin. Nida-Rümelin fasste dies in die Formel: "Eine Demokratie, die abhängt von einem hohen Maß an Homogenität, ist eine schwache Demokratie. Eine starke, vitale Demokratie ist vereinbar mit einer Vielfalt von unterschiedlichen individuellen und kollektiven kulturellen Lebensformen." Mit Blick auf die spezifisch deutsche Bildungslandschaft betonte Nida-Rümelin, dass diese Kultur gleicher Anerkennung auch auf die Unterschiedlichkeit verschiedener Länder und ihrer Bildungssysteme auszuweiten sei. Bildungsinstitutionen seien tief in der Kultur eines Landes verankert. Im Gegensatz zu internationalen Homogenisierungsbemühungen ist er daher der Auffassung, dass unterschiedliche Länder sehr unterschiedliche Bildungssysteme und Bildungsinhalte haben dürften.

In der anschließenden Podiumsdiskussion schlug Christoph Wulf einen Bogen von dem humanistischen Ansatz Nida-Rümelins zur Bildungsdiskussion der UNESCO. Die Präambel der UNESCO-Verfassung mit ihrer Aussage "Da Kriege im Geist der Menschen entstehen, muss auch der Frieden im Geist der Menschen verankert werden" beinhalte selbst ein Bildungsprogramm. In grundlegenden Schriften zum Bildungsbegriff, wie dem Delors-Bericht von 1996 oder dem Bericht "Rethinking Education" von 2015, seien wichtige Aspekte eines normativen Bildungsbegriffs erarbeitet worden. Dazu gehörten unter anderem lebenslanges Lernen, Lernen für die Praxis, Lernen für das eigene Leben, Nachhaltigkeit und der Respekt vor Differenz. Vor dem Hintergrund normativer Bildungsziele sei es schließlich entscheidend, so Wulf weiter, dass diese Bildungsziele tatsächlich realisiert würden. Die Globale Bildungsagenda schlage daher Strategien zur Umsetzung und ein entsprechendes Monitoring vor.

"Die Bildungsagenda muss in die alltägliche Bildungspolitik übersetzt werden"

Ute Erdsiek-Rave äußerte die Hoffnung, dass die Ziele der Bildungsagenda 2030 nun Gehör in Deutschland fänden: "Die Ziele der Bildungsagenda – Gerechtigkeit, Inklusion, Qualität und Weiterbildung – müssen wirklich ankommen in Deutschland und in alltägliche Bildungspolitik übersetzt werden." Der am 16. Juni erschienene Bildungsbericht von Bund und Ländern zeige, dass Chancengerechtigkeit in der Bildung nach wie vor ein zentrales Problem in Deutschland sei. In diesem Zusammenhang dürfe die Forderung nach Integration von Flüchtlingskindern nicht auf die Flüchtlinge selbst abgewälzt werden. Integration sei vielmehr eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Schließlich benannte Erdsiek-Rave die Veränderung von Bildung durch die fortschreitende Digitalisierung als eine der zentralen Herausforderungen in der Bildungspolitik, auf die es eine Antwort zu finden gelte.

Teilnehmer aus dem Plenum wiesen darauf hin, dass die zusätzlichen Mittel, die vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise für den Bildungsbereich aufgewendet werden, nachhaltig im Hinblick auf die Ziele der Bildungsagenda 2030 eingesetzt werden sollten. Von mehreren Teilnehmern wurde betont, dass eine Beschränkung auf kognitive Lerninhalte eine Verkürzung von Bildung darstelle. Christoph Wulf unterstrich: "Wir müssen unseren Bildungsbegriff im guten Sinne erweitern. Es gibt etwa den Bereich der kulturellen, der ästhetischen, der sozialen Bildung. Wenn wir dies aufgeben, verlieren wir sehr viel."

Moderator Walter Hirche sprach in diesem Zusammenhang davon, "dass die Fachwissenschaften zu einer Segmentierung im Bildungsbereich beitragen", und äußerte die Hoffnung, "dass wir zu einer neuen Ganzheitlichkeit kommen, die in den kulturellen Kern unserer gesamten Bildungsbemühungen hineinführt". Die Diskussion zeigte, dass die Globale Bildungsagenda 2030 mit ihren Schwerpunkten Chancengerechtigkeit, Qualität, Inklusion und lebenslanges Lernen nicht nur zentrale bildungspolitische Herausforderungen beschreibt, sondern auch eine Chance bietet, diesen Herausforderungen im Kontext der deutschen Bildungspolitik zu begegnen.

Hintergrund

Die Vereinten Nationen haben im September 2015 Ziele nachhaltiger Entwicklung (SDGs) für die gesamte Staatengemeinschaft verabschiedet. Integraler Bestandteil der SDGs ist eine globale Bildungsagenda für die Jahre 2016 bis 2030, für die die UNESCO im UN-System federführend ist. Das Bildungsziel innerhalb der nachhaltigen Entwicklungsagenda lautet: "Bis 2030 für alle Menschen inklusive, chancengerechte und hochwertige Bildung sicherstellen sowie Möglichkeiten zum lebenslangen Lernen fördern."

Weitere Informationen

Bildung 2030

Aktionsrahmen Bildung 2030

Bildung überdenken (Rethinking Education)